netzwerke in der demokratie diewelt auf französisch ... - Die Gazette
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auch nur partielle Proteste von e<strong>in</strong>zelnen, <strong>in</strong><br />
speziellen Fällen, nie geme<strong>in</strong>same. Je<strong>der</strong><br />
wollte weiterarbeiten. Ke<strong>in</strong>er dachte daran,<br />
daß es zu Ende gehen würde. Ich konnte mich<br />
auch nie spalten, <strong>in</strong> dem S<strong>in</strong>ne: So denke ich<br />
wirklich, und so denke ich, wenn ich arbeite.<br />
Insofern war ich e<strong>in</strong> relativ geschlossener<br />
Mensch, aber eben auch etwas bescheuert, e<strong>in</strong>geschränkt,<br />
bl<strong>in</strong>d. Das mache ich mir rückblickend<br />
zum Vorwurf. (S. 490)<br />
<strong>Die</strong> Antwort dar<strong>auf</strong> hätte man <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> kostbarsten Filme dieser Provenienz<br />
f<strong>in</strong>den können, von e<strong>in</strong>em ihrer<br />
mächtigsten und auch künstlerisch<br />
glücklichsten Männer realisiert. Es ist<br />
<strong>der</strong> rätselhafte Satz: „Der Schlaf <strong>der</strong> Vernunft<br />
gebiert Ungeheuer.“ Goya natürlich,<br />
Titel e<strong>in</strong>es Caprichos.<br />
„He<strong>in</strong>rich He<strong>in</strong>e. Wer war er wirklich?“<br />
Der Buchtitel wirkt anmaßend<br />
und irreführend zugleich. Anmaßend,<br />
weil er vorgibt, Antworten <strong>auf</strong> e<strong>in</strong>e<br />
Frage zu enthalten, die sich <strong>in</strong> fünfzig<br />
Jahren mo<strong>der</strong>ner He<strong>in</strong>e-Forschung als<br />
unbeantwortbar herausgestellt hat.<br />
Irreführend, weil Loss<strong>in</strong>s Thema e<strong>in</strong><br />
ganz an<strong>der</strong>es ist: <strong>Die</strong> Suche nach He<strong>in</strong>es<br />
jüdischer Identität; nach se<strong>in</strong>er<br />
Stellung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Geschichte des Judentums.<br />
Wer vom 670-Seiten-Wälzer des<br />
israelischen Journalisten, He<strong>in</strong>e-Amateurs<br />
und -Kenners Yigal Loss<strong>in</strong> die<br />
def<strong>in</strong>itive Lösung des Rätsels He<strong>in</strong>e<br />
erwartet, <strong>der</strong> wird enttäuscht. Wie Loss<strong>in</strong><br />
mit se<strong>in</strong>em Thema umgeht und wie<br />
<strong>auf</strong>schlussreich se<strong>in</strong>e Ergebnisse s<strong>in</strong>d,<br />
darüber kann man geteilter Me<strong>in</strong>ung<br />
se<strong>in</strong>.<br />
Doch das Buch verdient Aufmerksamkeit<br />
aus e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en Grund:<br />
Wegen <strong>der</strong> durchschlagenden Wirkung,<br />
die es bei se<strong>in</strong>em Ersche<strong>in</strong>en im<br />
Jahr 2000 <strong>in</strong> Israel hatte. 23 Wochen<br />
lang stand es – so <strong>der</strong> Verlag – dort <strong>auf</strong><br />
<strong>der</strong> Bestsellerliste. Se<strong>in</strong>e erstaunliche<br />
Breitenwirkung hat dazu beigetragen,<br />
dass <strong>der</strong> Boykott <strong>auf</strong>gehoben wurde,<br />
mit dem He<strong>in</strong>e <strong>in</strong> Israel von Anfang an<br />
belegt war. Zur Unperson erklärt worden<br />
war er durch das Junktim politisch<br />
e<strong>in</strong>flussreicher orthodoxer Funktionäre.<br />
Weil er, e<strong>in</strong> Deutscher jüdischer<br />
He<strong>in</strong>rich He<strong>in</strong>e und die Folgen<br />
Eigentlich hätte man so e<strong>in</strong>e Behauptung<br />
verbieten müssen. Auch noch 1971<br />
unter dem Meridian von Berl<strong>in</strong>, Hauptstadt<br />
<strong>der</strong> DDR. Denn so gut wie je<strong>der</strong><br />
DEFA-Film bezeugt, wie wahr dieser<br />
Satz Goyas ist.<br />
Dass dies und vieles Ähnliche aber<br />
nicht geschah, das ist das eigentliche<br />
Wun<strong>der</strong> des abgeschlossenen Son<strong>der</strong>sammelgebiets<br />
DEFA: Deutsche Filmaktiengesellschaft<br />
Berl<strong>in</strong> und Babelsberg<br />
1946 - 1992.<br />
Oskar Holl<br />
Ingrid Poss, Peter Warnecke (Hrsg.), <strong>Die</strong><br />
Spur <strong>der</strong> Filme. Zeitzeugen über die<br />
DEFA, 568 Seiten, 24,90 Euro<br />
Ch. L<strong>in</strong>ks Verlag, Berl<strong>in</strong> 2006<br />
Wirkungen e<strong>in</strong>es Buches<br />
Herkunft, <strong>der</strong> <strong>auf</strong> Deutsch schrieb, sich<br />
se<strong>in</strong>erzeit, <strong>in</strong> den Jahren <strong>der</strong> Metternich’schen<br />
Restauration, aus Gründen<br />
<strong>der</strong> Assimilation hatte protestantisch<br />
t<strong>auf</strong>en lassen. Und mit <strong>der</strong> T<strong>auf</strong>e hatte<br />
er – nach orthodoxer Lehrme<strong>in</strong>ung –<br />
se<strong>in</strong> Judentum verraten. E<strong>in</strong>e Verordnung<br />
von 1942 verbietet es <strong>in</strong> Israel bis<br />
heute, Straßen nach get<strong>auf</strong>ten Juden zu<br />
benennen.<br />
Loss<strong>in</strong>s Buch hat e<strong>in</strong>e öffentliche<br />
Debatte über den S<strong>in</strong>n dieses Boykotts<br />
ausgelöst und den Bann <strong>auf</strong>gehoben,<br />
<strong>der</strong> <strong>auf</strong> He<strong>in</strong>e lag. Im Jahr nach se<strong>in</strong>em<br />
Ersche<strong>in</strong>en, am 13. Dezember 2001,<br />
He<strong>in</strong>es 204. Geburtstag, wurde <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> schönsten Viertel von Jerusalem<br />
e<strong>in</strong>e Straße nach ihm benannt und<br />
unter <strong>in</strong>ternationaler Anteilnahme e<strong>in</strong>geweiht.<br />
Welches unter den Abertausenden<br />
von He<strong>in</strong>e-Büchern kann sich<br />
e<strong>in</strong>er vergleichbar konkreten politischen<br />
Wirkung rühmen?<br />
Seit 2006 liegt das Buch <strong>auf</strong> Deutsch<br />
vor, übersetzt von se<strong>in</strong>em hiesigen Verleger<br />
Abraham Melzer. Es hat sich nun<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kulturraum und <strong>auf</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Buchmarkt zu behaupten, für die weniger<br />
diese aktuell politischen als vielmehr<br />
literarische und wissenschaftliche<br />
Kriterien gelten. <strong>Die</strong>sen genügt es nicht<br />
durchweg.<br />
Loss<strong>in</strong>s Thema ist ke<strong>in</strong>esfalls neu. Der<br />
Frage nach He<strong>in</strong>es jüdischer Identität<br />
s<strong>in</strong>d schon an<strong>der</strong>e, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sache und den<br />
Möglichkeiten ihrer Darstellung kompetentere<br />
He<strong>in</strong>e-Spezialisten nachgegangen.<br />
Und so bleiben die hier mit viel<br />
Enthusiasmus und nicht ganz so viel<br />
Know-how zusammengetragenen Ergebnisse<br />
zum<strong>in</strong>dest partiell unbefriedigend,<br />
jedenfalls für e<strong>in</strong> He<strong>in</strong>e-kundiges<br />
deutsches Publikum. Wer präzise Analysen,<br />
fundierte Thesen und schlüssige<br />
Antworten erwartet, <strong>der</strong> wird sie nicht<br />
f<strong>in</strong>den. <strong>Die</strong> von bunt ane<strong>in</strong>an<strong>der</strong>gereihten<br />
Zitaten überbordende Darstellung<br />
schreckt we<strong>der</strong> vor den alten Klischees<br />
<strong>der</strong> He<strong>in</strong>e-Biografik zurück<br />
noch vor so problematischen Vere<strong>in</strong>fachungen<br />
wie <strong>der</strong>, He<strong>in</strong>e sei <strong>der</strong> erste<br />
Prophet des Holocaust gewesen.<br />
Gänzlich ausgeblendet bleibt die<br />
neuere europäische und das heißt <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Regel die deutschsprachige He<strong>in</strong>e-Forschung.<br />
Loss<strong>in</strong> nimmt we<strong>der</strong> die<br />
He<strong>in</strong>e-Biografien zur Kenntnis, die <strong>in</strong><br />
Deutschland und Frankreich <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
He<strong>in</strong>e-Renaissance <strong>der</strong> letzten Jahrzehnte<br />
entstanden s<strong>in</strong>d, noch die Spezialuntersuchungen<br />
zu se<strong>in</strong>em Thema,<br />
He<strong>in</strong>es Judentum. Ja, nicht e<strong>in</strong>mal die<br />
beiden großen historisch-kritischen<br />
He<strong>in</strong>e-Editionen, die Grundlage aller<br />
neueren Interpretation, werden systematisch<br />
genutzt und <strong>in</strong> den Quellen<br />
angeführt. Reich vertreten dagegen ist<br />
die israelische und die transatlantische<br />
Literatur. Wohl, weil sie sich als Zeugnis<br />
für das ganz <strong>auf</strong> israelische Verhältnisse<br />
abzielende Rehabilitations-Unternehmen<br />
He<strong>in</strong>e besser eignet.<br />
Ob Loss<strong>in</strong> damit e<strong>in</strong> breiteres deutsches<br />
Lesepublikum gew<strong>in</strong>nen kann,<br />
bleibt fraglich. Denn die hiesigen Leser<br />
leben <strong>in</strong> Sachen He<strong>in</strong>e bekanntlich nicht<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Diaspora, son<strong>der</strong>n s<strong>in</strong>d seit den<br />
Jahren <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>gutmachung antisemitischer<br />
He<strong>in</strong>e-Verfolgung und Hei<br />
ne-Verachtung heute mit He<strong>in</strong>e-Büchern,<br />
He<strong>in</strong>e-Kongressen, He<strong>in</strong>e-Universitäten,<br />
He<strong>in</strong>e-Schulen und He<strong>in</strong>e-<br />
Straßen wohl eher überfüttert als<br />
unterversorgt. Aber dass es Loss<strong>in</strong>s Buch<br />
gelungen ist, Israel mit se<strong>in</strong>em verlorenen<br />
Sohn He<strong>in</strong>rich He<strong>in</strong>e zu versöhnen,<br />
ist Verdienst genug. Wie komplex, kompliziert<br />
und ambivalent dessen Verhältnis<br />
zum Judentum auch immer gewesen<br />
se<strong>in</strong> mag.<br />
Edda Ziegler<br />
Yigal Loss<strong>in</strong>: He<strong>in</strong>rich He<strong>in</strong>e. Wer war er<br />
wirklich?, Neu-Isenburg: Melzer Verlag<br />
2006. 671 S., 24, 95 Euro<br />
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