netzwerke in der demokratie diewelt auf französisch ... - Die Gazette
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Wegen e<strong>in</strong>er Hitlerkarikatur, die Joachim <strong>in</strong> die<br />
Schulbank schnitzte, müssen die drei Brü<strong>der</strong> 1942<br />
die Schule verlassen und kommen nach Freiburg <strong>auf</strong><br />
e<strong>in</strong> katholisches Internat. Joachim meldet sich nach<br />
Arbeitsdienst- und Flakhelferzeit zur Wehrmacht,<br />
um <strong>der</strong> SS zu entgehen. Das führt zu heftigen Konflikten<br />
mit dem Vater: „Zum Verbrecherkrieg Hitlers“<br />
melde man sich pr<strong>in</strong>zipiell nicht freiwillig, so<br />
dessen Maxime. Jacob Burckhardts Kultur <strong>der</strong><br />
Renaissance wird von Joachim während <strong>der</strong> Bahnfahrten<br />
von Berl<strong>in</strong> nach Freiburg studiert, <strong>in</strong>mitten<br />
fanatischer Volksgenossen. Hier sche<strong>in</strong>t rückblickende<br />
Eitelkeit durch – Kompensation für Karlshorst?<br />
-, auch wenn die Kunst <strong>in</strong> jenen Jahren tatsächlich<br />
<strong>in</strong> zahllosen Gesprächen unter Freunden<br />
e<strong>in</strong>e Art Trost bot, von dem man sich heute kaum<br />
mehr e<strong>in</strong>e Vorstellung machen kann. Das Freiheit<br />
verheißende Fanfarensignal <strong>in</strong> Beethovens Fidelio<br />
blieb <strong>in</strong> <strong>der</strong> Realität aber aus, was Joachim mit tiefer<br />
Skepsis erfüllte.<br />
„Stolz <strong>auf</strong> die Abweichung“: So beschrieb Fests<br />
jüngerer Bru<strong>der</strong> W<strong>in</strong>fried Jahrzehnte später e<strong>in</strong>e<br />
typische Charaktereigenschaft dieser ungewöhnlichen<br />
Familie. Im Wissen um die eigene Opposition<br />
gegenüber dem Nationalsozialismus trat er entsprechend<br />
selbstbewusst gegenüber den Amerikanern<br />
<strong>auf</strong>, <strong>in</strong> <strong>der</strong>en Gefangenschaft er nach se<strong>in</strong>em Überleben<br />
im Zweimannloch rasch geriet. Nach an<strong>der</strong>thalb<br />
Jahren im Lager <strong>in</strong> Frankreich trifft er die Familie<br />
<strong>in</strong> Freiburg und Berl<strong>in</strong> allmählich wie<strong>der</strong>. Auch<br />
<strong>der</strong> Vater kehrte aus russischer Gefangenschaft<br />
heim, wenngleich <strong>in</strong> vielem e<strong>in</strong> gebrochener Mann.<br />
Es war überstanden, doch um den Preis lasten<strong>der</strong>,<br />
elementarer Erfahrungen.<br />
Für Joachim Fest beg<strong>in</strong>nt jedenfalls die Zeit allmählicher<br />
Entfaltung <strong>in</strong> <strong>der</strong> frühen Bundesrepublik.<br />
Noch etwas ziellos landet er im Journalismus –<br />
gerne hätten wir gewusst, was se<strong>in</strong> Vater zu dieser<br />
doch vergleichsweise unseriösen, wenig bürgerlichen<br />
Berufswahl se<strong>in</strong>es Sohnes gesagt hat, <strong>der</strong> doch<br />
eigentlich lange „Privatgelehrter“ hatte werden wollen,<br />
sehr zum Amüsement <strong>der</strong> Familie.<br />
Durch se<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>dheit und Jugend war Joachim<br />
Fest früh antitotalitär und nonkonform geimpft.<br />
Das zeitlebens skeptische Menschenbild des konservativen<br />
Fest rührte sicher auch von Leuten wie dem<br />
Gefreiten Schnei<strong>der</strong> her, <strong>der</strong> Fest durch Denunziation<br />
im Zusammenspiel mit dem Oberfeldwebel<br />
fast vors Kriegsgericht gebracht hätte und nach <strong>der</strong><br />
Gefangennahme durch die Amerikaner lauthals<br />
me<strong>in</strong>te, von den Verbrechen <strong>der</strong> Nazis nichts<br />
gewusst zu haben. Daher war Fest später <strong>der</strong> normative<br />
Überschuss <strong>der</strong> bundesrepublikanischen L<strong>in</strong>ken<br />
e<strong>in</strong> Gräuel: „Den Muff von 1000 Jahren hatten<br />
die 68er <strong>in</strong> ihren Jeans“ – Fest war nie zimperlich<br />
gegenüber Gegnern; gerne stürzte er sich <strong>in</strong> die geistige<br />
Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> L<strong>in</strong>ken. Se<strong>in</strong>e<br />
allerletzte Schlacht, nach Grass, schlug er posthum<br />
gegen Jürgen Habermas, die, Ende Oktober öffentlich<br />
geworden, rasch zur Farce zu werden drohte und<br />
die e<strong>in</strong>en Schatten <strong>auf</strong> das Er<strong>in</strong>nerungswerk warf:<br />
Gegen Ende se<strong>in</strong>er Jugen<strong>der</strong><strong>in</strong>nerungen notierte<br />
Andreas Pöhlmann<br />
Fest ohne Namensnennung, aber entschlüsselbar,<br />
jenes mittlerweile wi<strong>der</strong>legte Gerücht, Habermas<br />
hätte e<strong>in</strong>en 1945 als HJ-Führer verfassten Brief<br />
Jahre später, als er ihn <strong>in</strong> die Hände bekam, verschluckt,<br />
um se<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>stige nationalsozialistische<br />
Überzeugung zu verbergen. Alexan<strong>der</strong> Fest, <strong>der</strong><br />
Sohn und dazu Verleger se<strong>in</strong>es Vaters, hat klargestellt,<br />
dass <strong>der</strong> sterbende Joachim Fest dieses<br />
Gerücht im Manuskript nicht mehr hat korrigieren<br />
können. Dennoch ahnt man bei <strong>der</strong> Lektüre <strong>der</strong><br />
Habermas-Passage im Buch wie<strong>der</strong> etwas von jener<br />
Mischung aus Kühle und Leidenschaftlichkeit,<br />
durch die er se<strong>in</strong>en l<strong>in</strong>ken Antipoden auch mit<br />
unfe<strong>in</strong>en Mitteln zu Leibe rücken konnte – die ihn<br />
ihrerseits über viele Jahrzehnte als <strong>in</strong>tellektuelle<br />
Zentralgestalt deutscher Bürgerlichkeit durchaus<br />
hasserfüllt betrachteten.<br />
Es ist e<strong>in</strong> Glück, dass Joachim Fest, <strong>der</strong> am<br />
8. Dezember 80 Jahre alt geworden wäre, diese Jugen<strong>der</strong><strong>in</strong>nerungen<br />
vor se<strong>in</strong>em Tod am 11. September<br />
noch vollenden konnte. Denn <strong>in</strong> <strong>der</strong> Summe<br />
legte <strong>der</strong> „Metabürger“ Fest (Durs Grünbe<strong>in</strong>) damit<br />
e<strong>in</strong> Buch vor, das wie kaum e<strong>in</strong> zweites als Longseller<br />
über die Jahre h<strong>in</strong>weg pädagogisch im wohlverstandenen<br />
S<strong>in</strong>ne wirken könnte. Denn es handelt sich<br />
um e<strong>in</strong>e demokratische Verhaltenslehre, <strong>in</strong> guten<br />
wie vor allem <strong>in</strong> schlechten Zeiten, voller Anschauung<br />
und Dramatik, <strong>in</strong> stilistischer Meisterschaft<br />
und dabei selbst <strong>in</strong> ihren offen dargebotenen kle<strong>in</strong>en<br />
Schwächen menschliches Maß beweisend. Joachim<br />
Fest ist es gelungen, E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Werdegang<br />
zu bieten und zugleich e<strong>in</strong> Hausbuch deutscher Bürgerlichkeit<br />
zu verfassen.<br />
In den siebziger Jahren hatte Fests älterer Freund,<br />
<strong>der</strong> Publizist und e<strong>in</strong>stige Emigrant Sebastian Haffner,<br />
Fests großer Hitler-Biografie se<strong>in</strong>e berühmten<br />
Anmerkungen zu Hitler gleichsam komplementär<br />
zur Seite gestellt. Drei Jahrzehnte später s<strong>in</strong>d beide<br />
wie<strong>der</strong>um vere<strong>in</strong>t, über den Tod h<strong>in</strong>aus <strong>in</strong> ihren Vermächtnissen:<br />
Künftig wird man Haffners posthume,<br />
im Jahr 2000 erschienene Geschichte e<strong>in</strong>es<br />
Deutschen und Fests Ich nicht als die beiden autobiografischen<br />
Tugendlehren lesen, die <strong>der</strong> deutschen<br />
Geschichte des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts entstammen<br />
und diese als Mahnung überdauern.<br />
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