24.10.2013 Aufrufe

netzwerke in der demokratie diewelt auf französisch ... - Die Gazette

netzwerke in der demokratie diewelt auf französisch ... - Die Gazette

netzwerke in der demokratie diewelt auf französisch ... - Die Gazette

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Die</strong> Genauigkeit <strong>der</strong> Fest’schen Er<strong>in</strong>nerungen verblüffte<br />

viele Beobachter unter an<strong>der</strong>em auch deshalb,<br />

weil gleichzeitig Günter Grass se<strong>in</strong> literarisches<br />

Er<strong>in</strong>nerungsbuch Beim Häuten <strong>der</strong> Zwiebel vorlegte.<br />

Kurz vor se<strong>in</strong>em Tod – und vor dem Ersche<strong>in</strong>en se<strong>in</strong>es<br />

eigenen Buches – schlug Fest angesichts des späten<br />

Bekenntnisses von Grass, <strong>in</strong> den letzten Kriegsmonaten<br />

1944/1945 bei <strong>der</strong> Waffen-SS gekämpft zu<br />

haben, noch e<strong>in</strong>mal se<strong>in</strong>e (vorletzte) Schlacht. Er<br />

attackierte Grass vehement und warf ihm via BILD,<br />

Spiegel, Weltwoche und Cicero lautstark das jahrelange<br />

Schweigen vor, gerade angesichts <strong>der</strong> öffentlichen<br />

Rolle, die dieser zeitlebens gespielt hatte. Zudem<br />

stieß er sich an den von Grass beschriebenen<br />

Er<strong>in</strong>nerungslücken aus jener Zeit, die diesem nur<br />

noch verschwommen präsent war. Das war von Fest<br />

<strong>in</strong> dieser breit zitierten Heftigkeit, bei aller jahrelang<br />

gepflegten Gegnerschaft zu Grass (<strong>der</strong> <strong>in</strong> Ich nicht am<br />

Ende auch e<strong>in</strong>en kritischen Absatz bekommt), nicht<br />

son<strong>der</strong>lich nobel; es sieht selten gut aus, wenn zwei<br />

alte verdiente Männer aus ihren E<strong>in</strong>mannlöchern<br />

nicht herauskommen und sich öffentlich bekriegen.<br />

Doch beson<strong>der</strong>s fe<strong>in</strong>s<strong>in</strong>nig war Fest nie, wenn es<br />

gegen den Moralismus <strong>auf</strong> <strong>der</strong> <strong>in</strong>tellektuellen L<strong>in</strong>ken<br />

g<strong>in</strong>g. Da fuhr er, ebenso wie die Gegenseite, auch<br />

schweres Geschütz <strong>auf</strong>. Tatsächlich störte jedoch im<br />

Falle Grass die diffuse, zudem literarisch verbrämte<br />

Rekonstruktion <strong>der</strong> Vergangenheit auch viele an<strong>der</strong>e<br />

Leser und Rezensenten. Dass das verspätete SS-<br />

Bekenntnis bei e<strong>in</strong>em lauten Vergangenheits-Aufarbeiter<br />

wie Grass mehr als unschön und kopfschüttelnd<br />

zu kritisieren ist, versteht sich von selbst. Lange<br />

kann man sich darüber Gedanken machen, wie sehr<br />

Grass diesen geheimen, von ihm verschwiegenen,<br />

höchst persönlichen „Schuldmotor“ brauchte, um<br />

se<strong>in</strong> Werk und se<strong>in</strong>e öffentliche Rolle auszufüllen.<br />

Jenseits solcher Moral- und Geschmacksfragen<br />

jedoch ist die Frage weitaus <strong>in</strong>teressanter, warum <strong>in</strong><br />

den Fest’schen Er<strong>in</strong>nerungen alles deutlich erkennbar<br />

ist, was bei Grass im Grauschleier allenfalls schemenhaft<br />

sichtbar wird.<br />

Mit beiden Büchern liegen die Ergebnisse<br />

zweier gänzlich unterschiedlicher lebenslanger<br />

Beschäftigungen mit selbst erlebter Vergangenheit<br />

vor – und es ist e<strong>in</strong>er beson<strong>der</strong>en Laune des Schicksals<br />

zu verdanken, dass das deutsche Publikum beide<br />

Formen gleichzeitig studieren kann. Der Schriftsteller<br />

musste zeitlebens das Material se<strong>in</strong>er Vergangenheit<br />

verformen, verän<strong>der</strong>n, variieren, um daraus<br />

Literatur zu erschaffen. <strong>Die</strong>s geschah <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em allmählichen<br />

Prozess, <strong>in</strong> dem die künstlerische Fiktion<br />

naturgemäß immer wichtiger war als die Realität.<br />

Der verschwommene Blick zurück, von Grass selber<br />

als Problem formuliert, entstand aus se<strong>in</strong>er Arbeit<br />

als Schriftsteller. <strong>Die</strong> Phantasie stand da immer über<br />

<strong>der</strong> Wirklichkeit. An<strong>der</strong>e Autoren g<strong>in</strong>gen seit jeher<br />

an<strong>der</strong>s vor im Umgang mit dem Material<br />

Geschichte, er<strong>in</strong>nert sei an Walter Kempowski o<strong>der</strong><br />

Uwe Johnson. Doch jüngst hat <strong>der</strong> junge Schriftsteller<br />

Daniel Kehlmann, wahrlich ke<strong>in</strong> großer Anhän-<br />

Anonym<br />

ger <strong>der</strong> Blechtrommler-Ästhetik, dar<strong>auf</strong> h<strong>in</strong>gewiesen,<br />

dass Grass nur hierzulande als Realist rezipiert,<br />

im Ausland dagegen sehr viel stärker <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er surrealistischen<br />

Tradition gesehen würde. So verstanden,<br />

folgt die diffuse Er<strong>in</strong>nerung des Literaturnobelpreisträgers<br />

dessen jahrzehntelanger Schaffenslogik.<br />

Auch die von ihm erlebte Realität se<strong>in</strong>er existenziellen<br />

Erfahrung <strong>der</strong> letzten Kriegsmonate wurde von<br />

ihm förmlich ausgesaugt, bis sie nur noch als Er<strong>in</strong>nerungsschatten<br />

<strong>in</strong> wackeligen Strichen nachzuzeichnen<br />

war – kompensiert mit kräftiger Phantasie.<br />

Vorhalten kann man dem Schriftsteller dessen verschwommenen<br />

Blick zurück kaum, da er aus se<strong>in</strong>em<br />

arbeitsbed<strong>in</strong>gt verfremdenden Umgang mit <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

herrührt.<br />

Joachim Fest hat dagegen den an<strong>der</strong>en Weg<br />

gewählt, seit den 1950er Jahren. In all se<strong>in</strong>en<br />

Büchern, die sich mit <strong>der</strong> NS-Vergangenheit ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzten,<br />

kam es <strong>auf</strong> die genaue Rekonstruktion<br />

an. Er tra<strong>in</strong>ierte diesen Rückblick, den Umgang und<br />

die E<strong>in</strong>ordnung von Fakten. <strong>Die</strong> Sicht des Historikers<br />

wie des Journalisten unterschied sich vom<br />

Selbstverständnis des Künstlers und Schriftstellers.<br />

Der diagnostische Blick, den Fest <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en historischen<br />

Werken e<strong>in</strong>geübt hatte, kam ihm nun bei se<strong>in</strong>en<br />

eigenen Jugen<strong>der</strong><strong>in</strong>nerungen zu Hilfe. Joachim<br />

Fest hat sich also am Ende se<strong>in</strong>es Lebens noch e<strong>in</strong>mal<br />

tief <strong>in</strong> den Brunnen se<strong>in</strong>er Vergangenheit h<strong>in</strong>abgelassen.<br />

Ganz so unergründlich, wie Thomas<br />

Mann me<strong>in</strong>te, war er doch nicht; erstaunlich viel<br />

för<strong>der</strong>te Fest mit Hilfe zahlreicher Gesprächsnotizen,<br />

<strong>der</strong> familiären Überlieferung und Recherchen<br />

bei e<strong>in</strong>stigen Weggefährten zutage. Hier zeigten sich<br />

die Vorteile e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>takten Familie: Immer wie<strong>der</strong><br />

gab es die Diskussionen über die Vergangenheit,<br />

jenes Deuten und Interpretieren dessen, was <strong>der</strong> Familie<br />

Fest während des Nationalsozialismus wi<strong>der</strong>fahren<br />

war. <strong>Die</strong>ses Klima <strong>der</strong> familiären Diskussionen<br />

sowie mit lebenslangen Jugendfreunden hat<br />

Grass nicht erlebt. Er schuf sich se<strong>in</strong>e Existenz weitgehend<br />

neu und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er bee<strong>in</strong>druckenden Energieleistung<br />

aus sich heraus, <strong>auf</strong> Kosten <strong>der</strong> Er<strong>in</strong>nerung,<br />

wie sich heute herausstellt. Bis zu ihrem<br />

Tod hat dagegen die Mutter Fest erst ihren Mann,<br />

später dann Joachim immer wie<strong>der</strong> gebeten, das von<br />

ihnen geme<strong>in</strong>sam Erlebte <strong>auf</strong>zuschreiben –<br />

Zweiter Weltkrieg: Funker <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Zweimannloch<br />

59

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!