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34 gehörte im vergangenen Jahr zu den erklärten Kritikern des Projektes. „Das PPP mit Arvato ist nur eine als Partnerschaft verkleidete Privatisierung“, sagt Nolan auch noch heute. Er glaubt, dass es für East Riding keinen Unterschied mache, dass Arvato die Verwaltungsarbeiten übernommen habe. „Rein administrative Aufgaben können sehr gut von Privatfirmen übernommen werden.“ Entscheidend sei jedoch, dass strategische Entscheidungen in der Kontrolle der öffentlichen Hand verblieben. „Dazu gehören zum Beispiel Planungsverfahren, Rechtsvorschriften, aber auch Strategien für IT-Konzepte“, so Nolan. Die Zusammenarbeit mit Arvato verlaufe auch nach einem Jahr Erfahrung ohne größere Probleme. „Es geht nicht darum, auf Teufel komm raus Kosten einzusparen, sondern vor allem die Leistung zu verbessern“, sagt Arvato-Manager Christoph Baron. Denn für den Bezirk East Riding bedeutet eine gute Qualität seiner Dienstleistungen bares Geld. „Seit den 80er Jahren wird die örtliche Ebene in England durch Mittelzuweisungen der Zentralregierung für die Qualität ihrer Arbeit belohnt oder bestraft. Wer besonders gut ist, bekommt mehr Geld.“ In East Riding wird diese Leistung anhand von mehr als 100 Schlüsselindikatoren ermittelt. Dazu gehört etwa, wie oft das Telefon klingelt, bis ein Mitarbeiter den Anruf beantwortet. „In England gibt es einen konkreten Anreiz für die Verwaltung, besser zu werden“, sagt Christoph Baron. Diese Form der Leistungsmessung in der Verwaltung gebe es in Deutschland nicht. Die öffentliche Verwaltung in Deutschland mit ihren etwa 4,8 Millionen Beschäftigten bietet reichlich Potenzial für Verbesserungen. Allerdings hat sich die Einführung moderner Arbeitsprozesse immer wieder als hartnäckig schwieriges Unterfangen herausgestellt. Gründe dafür gibt es viele: Die kameralistisch orientierte Verwaltung ist vor allem auf Verlässlichkeit und Aufgabenerfüllung ausgelegt – moderne, effiziente und bürgerfreundliche Arbeitsabläufe genießen keine Priorität. Dazu steckt die öffentliche Verwaltung in einem Dilemma, aus dem sie aus eigener Kraft kaum entkommen kann. Laufend erfinden Beamte neue Durchführungsvorschriften, Fachverfahren und Arbeitsgruppen – ein Teufelskreis für weniger Effizienz und mehr Administration. Ihre eigentlichen Aufgaben können sie dabei leicht aus den Augen verlieren. „Langfristig beansprucht diese Art der Verwaltung immer mehr Personal. Gleichzeitig werden die Verfahren komplizierter und kundenunfreundlicher“, sagt der Unternehmensberater Bernhard Roland [Name von der Redaktion geändert], der die öffentliche Hand bei der Kooperation mit der Privatwirtschaft und der Modernisierung von Verwaltungsverfahren berät. Seit zehn Jahren entwickelt Roland Verbesserungen für ArchivErnst-Reuter-Schule öffentliche Verwaltungsstrukturen. Er meint: „Diese Organisationsform scheitert an sich selbst, wenn es darum geht, die effizientesten Verfahren für Dienstleistungen anzubieten.“ In der Tat fällt es nicht schwer, fragwürdige Aufgaben und Dienste im deutschen Verwaltungswesen zu finden. Beispiel Kriegsopferfürsorge: Bis heute sind die Kommunen für die Zusatzrente zuständig, obwohl es seit etwa 30 Jahren kaum neue Antragsteller gibt. Für das komplexe Regelwerk halten die 323 Kommunen bis heute eigene Sachbearbeiter vor. Auch der Bund pflegt einen fragwürdigen Umgang mit seinen Ressourcen: Bis heute sind nicht weniger als 400 Bedienstete in eine eigene Bundesbehörde abkommandiert, um sich dem Schicksal von verschollenen Wehrmachtsoldaten zu widmen. Auch die Bundesagentur für Arbeit ist eine fragwürdige Job-Maschine – vor allem für sich selbst: 90 000 Menschen arbeiten dort. In Holland ist die Idee einer solchen Behörde unbekannt. Der Vermittlungsmarkt ist privatisiert und die Arbeitslosenquote mit 6,6 Prozent deutlich niedriger als hierzulande. Unklar ist auch, wieso etwa das Bundesministerium für Wirtschaft mit eigenem Personal „lateinamerikanische Genussmittel“ beobachtet. Offensichtlich ist die Beschaffung von Informationen über Zigarren und Kaffee von so staatstragendem Interesse, dass diese Aufgabe nur eigenen Bediensteten anvertraut werden kann. Das gleiche Ministerium gibt jedes Jahr Millionen für ökonomische Gutachten und Forschungsinstitute aus. Parallel dazu leistet sich die Behörde eine eigene 60-köpfige Forschungsabteilung. Dabei ist es Verwaltungen gesetzlich verboten, selbst zu forschen. So soll verhindert werden, dass Behörden den Forschungseinrichtungen Konkurrenz machen. Doch die Regelung scheint nicht nur im Wirtschaftsministerium, sondern auch beim Umweltbundesamt Haßloch, Ernst-Reuter-Schule: Abriss der alten Turnhalle oder in der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt auf taube Ohren zu stoßen: Sie alle beschäftigen nennenswerte Teile ihres Personals mit Forschungsaufgaben. Die Beispiele sind symptomatisch für einen in der Tat aus dem Ruder laufenden öffentlichen Appa-
at, der sich immer weniger an den Bedürfnissen der realen Welt orientiert. Als Retter präsentiert die Politik die private Wirtschaft. Doch sie ist in diesem Spiel keineswegs der natürliche Gegner träger Bürokraten. „Ineffiziente Bürokratie und Unternehmen der Privatwirtschaft sind voneinander abhängig. Sie sind zwei Seiten ein und derselben Medaille“, sagt Unternehmensberater Bernhard Roland. Die Privatwirtschaft profitiere eben von der Unfähigkeit der öffentlichen Verwaltung, ihre Arbeitsabläufe und Organisationsformen effizient zu gestalten. „Arvato hat überhaupt kein Interesse am Gesundschrumpfen des öffentlichen Sektors. Arvato will nur die Aufgabendurchführung übernehmen“, sagt Roland. Die derzeitige Bilanz der Kooperation mit privaten Unternehmen ist für ihn ernüchternd: „In Deutschland gibt es überwiegend nur gescheiterte Beispiele für PPP. Es ist hierzulande nichts anderes als eine andere Form von Lobbyismus.“ Die politischen und ökonomischen Verflechtungen des sich so diskret wie überparteilich gebenden Arvato-Konzerns liefern ein an- Ernst-Reuter-Schule: die neue Turnhalle schauliches Beispiel, welche Rolle die Bertelsmann-Tochter in der Umsetzung eines von neoliberalen Werten geprägten Gesamtkonzeptes spielt. Die Grundlage dafür schuf der Nachkriegs- Bertelsmann-Chef Reinhard Mohn. Seine Weltanschauung verklärt die Steuerungsverfahren aus der ArchivErnst-Reuter-Schule Betriebswirtschaftslehre zu einem gesellschaftlichen Leitbild. Alle gesellschaftlichen Bereiche, von der Müllentsorgung bis zur Schulpolitik, sollen in Mohns Welt der gleichen Systematik von Profit-Centern, Budgetierung sowie Leistungsvergleichen unterworfen werden und müssen sich nach den Kernpunkten der Bertelsmann-Ideologie behaupten: Effizienz, gemessen am finanziellen Erfolg sowie am Wettbewerb, nach der Mohn-Devise: „So wenig Staat wie möglich.“ Arvato nimmt in dieser Mission die Rolle des ausführenden Organs ein. Die Service-Tochter ist das ökonomische Herz des Medienkonzerns. 45 700 der insgesamt 88 000 Bertelsmänner arbeiten bei Arvato. Während Bertelsmann über seine Fernseh- Tochter RTL das Volk vergnügt, mit über 100 Verlagen in 16 Ländern – darunter Gruner&Jahr und Random House – die Welt mit Gedrucktem versorgt, ist Arvato der mächtige, stille Dienstleister im Hintergrund. Arvato macht mehr Umsatz als Axel Springer und ist für sich genommen nach RTL das zweitgrößte Medienunternehmen in Deutschland. Doch der diskrete Medien- und Marketingdienstleister zeigt sich selten den Endkunden und arbeitet vor allem für andere Unternehmen. Jedes zweite DAX- Unternehmen nutzt die Dienste des Konzerns, der 2005 mit 270 Tochterfirmen 4,4 Milliarden Euro Umsatz machte. Arvato macht nahezu alles, was weder Lärm noch Dreck macht und solide Renditen verspricht. Der Dienstleister entwickelt Internet-Produkte der Zukunft, repariert und verschickt einen Großteil der Handys in Deutschland, betreibt Kundenbindungsprogramme für andere Konzerne und druckt unter anderem Zeitschriften wie Vogue oder National Geographic. Arvato ist auch einer der größten Adressenhändler Deutschlands und Betreiber von Call-Centern. Mit einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von knapp zehn Prozent sucht der Konzern ständig nach neuen Geschäftsfeldern. Öffentliche Dienstleistungen gehören seit einem Jahr in das Portfolio des umtriebigen Outsourcing- Spezialisten. Die ideologische Vorarbeit dafür wird von der konzerneigenen Bertelsmann Stiftung geleistet. Als Lobbygruppe mit gesellschaftspolitischen Zielen gehört die Stiftung zu den zentralen Ideenlieferanten der Politik. Sie hat den rot-grünen Kurs hin zu weniger Staat und mehr Eigenverantwortung mit Konzepten, Studien und Konferenzen maßgeblich unterfüttert. Die Hartz-Reformen, Studiengebühren oder die Riester-Rente sind nicht zuletzt durch den Einfluss der Denkfabrik aus Gütersloh Realität geworden. „Bertelsmann versteht es perfekt, den Staat zu nutzen“, sagt Unternehmensberater Bernhard Roland. Für diese Arbeit lässt sich Deutschlands größte und reichste Unternehmensstiftung vom Steuerzahler bezahlen: Weil Reinhard Mohn der Stiftung 76 Prozent von Bertelsmann überschrieben hat, 35
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