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GEWALTENTEILUNG IST ORGANISIERTES MISSTRAUEN GEGENÜBER DER POLITISCHEN KLASSE 22 ralisierten Tausch von Vertrauen und Steuerung unterscheiden. Die Korruptionsanfälligkeit einer politischen Klasse ist von der Art dieser Tauschbeziehung abhängig. Netzwerk ist ein aus der amerikanischen Sozialwissenschaft übernommener Begriff, der für nichthierarchische und wenig formalisierte Macht- und Einflussstrukturen steht. Aufkommen und Verbreitung des Begriffs sind eng verbunden mit einer tiefgreifenden Veränderung der Kommunikationsstrukturen durch die neuen Medien. Netzwerkbildung steht für eine deutliche Beschleunigung der Aufnahme und Verarbeitung von Veränderungen. Netzwerke lernen schneller als hierarchische Organisationen; dafür entlernen sie auch schneller, haben also eine geringere Speicherkapazität für Lernergebnisse. Hierarchische Organisationen lernen gründlicher und nachhaltiger als Netzwerke. Zugleich sind Netzwerke durch einen Kontrollverlust über die Verfahrensabläufe und die Invisibilisierung von Verantwortlichkeiten gekennzeichnet. Netzwerke unterlaufen oder überspringen die Zuständigkeitsordnungen und Kompetenzverteilungen formaler Organisationen. Ihr Beschleunigungsgewinn erwächst nicht zuletzt aus der Entformalisierung. Es ist zu erwarten, dass dadurch die in Institutionen und Organisationen „eingebaute“ Korruptionsresistenz vermindert wird. Gewaltenteilung wird in der Regel mit der Theorie Montesquieus verbunden. Sie ist der Sache nach aber erheblich älter und findet sich bereits im Konzept der Mischverfassung, das auf den griechisch-römischen Historiker Polybios und den römischen Rhetor und Philosophen Cicero zurückgeht. Beide haben damit die politische Ordnung Roms mit Konsuln, Senat und Volksversammlung zu erfassen versucht. Für Mischverfassung wie Gewaltenteilung ist der politische Imperativ einer Verteilung von Macht zwecks wechselseitiger Kontrolle zentral. Auf diese Weise soll Machtmissbrauch blockiert werden. Diese gegenseitige Kontrolle ist freilich nur möglich durch die Verlangsamung der Verfahrensabläufe und Entscheidungsprozesse. Obendrein soll die Verlangsamung der Verfahren der Entscheidungsoptimierung dienen. Neben der Korruptionsverhinderung ist Letzteres der eigentliche politische Mehrwert der Gewaltenteilung. So dient die dreimalige Gesetzeslesung im Parlament der Reflexionssteigerung durch die Entschleunigung des Gesetzgebungsverfahrens. Man kann an der modellhaften Kontrastierung von Gewaltenteilung und Netzwerkbildung sehen, wie beide in unterschiedlicher Richtung dem Imperativ der Reflexionssteigerung zwecks Entscheidungsoptimierung zu genügen suchen: im einen Fall durch Entschleunigung, im anderen durch Beschleunigung. Gewaltenteilung ist organisiertes Misstrauen gegenüber der politischen Klasse; Netzwerkbildung dagegen beruht auf Vertrauensvorschüssen, bei denen unklar ist, wer für sie aufzukommen hat, wenn sie sich als ungedeckt erweisen. Dies dürfte nicht nur unterschiedliche Formen der Entscheidungsoptimierung, sondern auch solche der Entscheiderkorrumpierung zur Folge haben. Im antiken Rom hatte man versucht, die Vorteile von Misstrauen und Vertrauen, Entschleunigung und Beschleunigung miteinander zu verbinden, indem man zwischen Prozeduren der politischen Normalität und solchen in Krisen unterschied. So richtete man für Krisensituationen das Verfassungsinstitut der Diktatur ein, das – auf der Basis eines erheblichen Vertrauensvorschusses für den damit Betrauten – durch Kompetenzbündelung zu einer großen Beschleunigung von Entscheidungsprozessen führte. Aber man wusste um die Gefährlichkeit dessen, und deswegen unterwarf man die Diktatur einer zeitlichen Begrenzung und deren Inhaber der Rechenschaftspflicht nach Beendigung ihrer Aufgabe. Netzwerkbildung hat funktional ähnliche Effekte, nur dass sie kein formales Verfahren darstellt, nicht auf Ausnahmesituationen beschränkt ist und zu permanenter Diffusion in andere Bereiche neigt. Netzwerkbildung lässt sich nicht formal eingrenzen und zeitlich beschränken. Sie vagabundiert durch die Institutionen. Sie ist darum vermutlich gefährlicher als das Verfassungsinstitut der Diktatur. In der Krise der Republik haben sich die Diktatoren von den institutionellen Fesseln befreit; im Falle der Netzwerkbildung gibt es solche Fesseln von vornherein nicht. Im heute verbreiteten Sprachgebrauch wird Korruption eher eng gefasst: Im Allgemeinen versteht man darunter die Kontaminierung von Amtspflichten durch Eigeninteressen. Genauer betrachtet ist dies die Definition von Korruption innerhalb einer gegebenen Ordnung. Die Möglichkeit einer Korrumpierung der Ordnung als Ganzer wird dabei nicht ins Auge gefasst. In der politischen Ideen-
geschichte, etwa bei Sallust und insbesondere bei Machiavelli, findet sich dagegen ein deutlich weiter gefasster Korruptionsbegriff, der nicht nur bei einzelnen Angehörigen der politischen Elite, sondern bei der gesamten politischen Klasse mit dem Verlust sozialmoralischer Tugenden rechnet und darin einen untrüglichen Indikator für den bevorstehenden Zusammenbruch der politischen Ordnung sieht. Der republikanische Korruptionsbegriff ist also erheblich umfassender angelegt als der juridische, weil er Korruption nicht auf einzelne Angehörige der politischen Klasse beschränkt, sondern auf die gesamte politische Ordnung bezieht. Der Republikanismus bezweifelt, dass im Falle allgemeiner Korruption der Austausch von Teilen der politischen Elite genügt; vielmehr geht er davon aus, dass dann die gesamte politische Ordnung in Mitleidenschaft gezogen worden ist und nur durch ihre Zurückführung zu den Anfängen, wie Machiavelli sagt, wieder in Ordnung gebracht werden kann. Dann geht es um mehr als nur einen Regierungswechsel; dann muss eine neue politische Klasse geschaffen werden. Die Sorge, eine fortschreitende Vernetzung der politischen Klasse werde zur Korrumpierung des Systems der Gewaltenteilung führen, lässt sich vor dem juridischen und republikanischen Korruptionsbegriff präzisieren. Das System der Checks and Balances, wie Montesquieu es im England des 18. Jahrhunderts beobachtet und zum Konzept der Gewaltenteilung systematisiert hat, ist – auch – gegen die notorische Korruptionsanfälligkeit der politischen Elite gerichtet. Es stellt gleichsam einen Korruptionsfilter zwischen politischer Klasse und politischer Elite dar. Es vertraut auf ein System wechselseitiger Kontrolle, wofür die Gewaltenteilung eine wesentliche Voraussetzung darstellt. Darüber hinaus setzt es auf eine erhöhte Partizipationsdichte der politischen Klasse, durch die Korruption erschwert, zumindest verteuert werden soll. Montesquieus Überlegungen sind auf die Optimierung des alltäglichen Normalbetriebs zur Vermeidung von Ausnahmesituationen ausgerichtet. Darin hat Montesquieu die Erfahrungen gebündelt, die von der politischen Klasse Englands über Jahrhunderte gemacht worden sind. Ideengeschichtlich ist die von Montesquieu favorisierte Lösung eine Diagonale zwischen dem klassischen Republikanismus, der auf die sozialmoralische Tugend der politischen Klasse gesetzt hat, und dem Dienst- und Amtsgedanken des institutionellen Flächenstaates, wie er sich in Europa seit dem 16./17. Jahrhundert herausgebildet hat. Während der Republikanismus zwecks Korruptionsprävention entweder auf möglichst breite Partizipation oder beschleunigte Elitenrotation setzt, favorisiert der moderne Staat die Professionalisierung und lebenslängliche Amtsinnehabung. Neben Frankreich ist Preußen zum Paradigma dieser Entwicklung geworden. Dabei sollten der Dienstgedanke sowie eine standesgemäße Alimentierung der Amtsinhaber gegen eine Korruption immunisieren, die als Vermischung von Amtspflichten und Eigeninteressen begriffen wurde. Der Staat versicherte sich dadurch nicht nur der Arbeitskraft seiner Bediensteten, sondern ihrer ganzen Person. So wollte er sicherstellen, dass an die Stelle des Eigennutzes der Ehrgeiz optimaler Pflichterfüllung So schön kann ein Netzwerk sein www.letsconnect.be/Press.html DAS MODELL DER VERNETZUNG IST MIT DEM RECHTSSTAAT NICHT KOMPATIBEL 23
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