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Swami Agnivesh hat sowohl dem Nationalismus abgeschworen,
als auch einige religiöse Praktiken aufgegeben:
Seit 1968 hat er nicht mehr gebetet.
erreichbaren Konsumwelt herauf, sondern produzierte
auch eine Reihe mythologischer Serien, von
der die Verfilmung des Ramayana- Epos bei seiner
Erstausstrahlung (1987) in ganz Indien die höchsten
jemals verbuchten Einschaltquoten erreichte.
Die Serie des Ramayana-Epos, die auf ein vergangenes
goldenes Zeitalter zurückgreift, definiert aus der
Perspektive des Hindu-Nationalisten, was den Kern
hinduistischer Kultur ausmacht. Die Serie hat in
ihrer Breitenwirkung nicht nur Gott Rama zur
nationalen, pan-indischen Integrationsfigur aufsteigen
lassen, sondern auch die vielen regionalen
Traditionen des großen Epos in ihrer Vielfalt abgewertet
und an den Rand gedrängt, indem die Version
bevorzugt wurde – und sich Millionen
Zuschauern einprägte –, die dem Hindu-Nationalisten
am meisten am Herzen lag.
Heute, am Anfang des 21. Jahrhunderts, ist der
Hindu-Nationalismus mit seiner Tendenz zur
Homogenisierung von Mythen, Symbolen und der
indischen Göttervielfalt zu einer der mächtigsten
politischen und kulturellen Kräfte Indiens geworden.
Einen integrativen Rahmen – das „kulturelle
Fundament“ – für diese neue nationale Solidarität
aller Hindus zu schaffen und zu festigen ist die Aufgabe
der Vishwa Hindu Parishad (VHP), des religiösen
Arms der Hindu-Nationalisten. Sie versucht mit
aller Gewalt, sich als führende – wenn nicht einzige
– repräsentative Institution aller Hindus weltweit
darzustellen. Identitätsstiftende Terminologien wie
Hindutva werden dabei vom Hindu-Nationalisten
ebenso als Schlachtrufe zur Schaffung einer Hindu-
Einheit genutzt wie die Frage der Religionszuge-
swamiagniveshi.com
hörigkeit. Als Hindu bezeichnet der Hindu-Nationalist
jeden, solange dessen Glaube innerhalb der
Grenzen eines noch ungeteilten Indiens seinen
Ursprung hat, was Buddhisten, Jains und Sikhs einschließt,
Christen und Muslime hingegen ausschließt.
Dabei ist dem Hindu-Nationalisten insbesondere
der Missionsdrang christlicher Institutionen
ein Dorn im Auge, denn Konversion unterhöhlt den
Nationalismus.
In einem gemeinsamen Appell, der sich gegen die
Missionstätigkeit anderer Religionen wandte, gelang
es der VHP, die Unterstützung öffentlicher Persönlichkeiten
wie zum Beispiel des Dalai Lama und
einflussreicher religiöser Hindu-Führer zu gewinnen.
Laut VHP muss der Missionierung anderer Religionen
hartnäckig widerstanden werden, da sie
„Bruder gegen Bruder stellt“, den Frieden der
Hindu-Gemeinschaft zerstört und in gewalttätigen
Handlungen mündet, wobei sie das Beispiel der
zum Christentum konvertierten Bevölkerung in
Nordost-Indien anführen, die einen unabhängigen
Staat fordert.
Viele Beobachter in Indien sehen in der
VHP eine fundamentalistische Organisation, die
den traditionellen Hinduismus stark verzerrt. In
dem Bemühen, eine einende Hindu-Identität zu
schaffen und in ihrem Kern zu definieren, filtern
Vertreter der VHP nur einige Schlüsseldoktrinen
und Praktiken aus der vielfältigen und gewaltigen
Anzahl hinduistischer Traditionen heraus. So gelingt
es der VHP Schritt für Schritt, die Zersplitterung
des Hinduismus in seine verschiedenen sampradayas
(Sekten) insofern aufzulösen, als religiöse
Autoritäten des Hinduismus heute inzwischen routinemäßig
von einem Hindu dharma sprechen, statt
zwischen Vaishnavismus oder Shivaismus zu differenzieren
– um hier nur die zwei größten Sekten zu
erwähnen, jede mit mehreren hundert Millionen
Anhängern.
Der Hindu-Nationalist mag in seinen Vorstellungen
vom gesellschaftlichen und familiären Zusammenleben
von zutiefst konservativen Gedanken und
Rollenmustern geleitet werden; er mag in seiner
Angst vor kultureller Überfremdung – insbesondere
durch missionierende Religionen und die kulturelle
und ökonomische Globalisierung – auf eine Erstarkung
der Hindu-Nation hinarbeiten und bereit
sein, seine Ideologien notfalls auch mit Gewalt zu
verbreiten. Doch sein Blick und sein Handlungsspielraum
werden dabei entscheidend von zwei bindenden
Elementen der hinduistischen Religion und
Kultur begrenzt: der Toleranz und der Universalität.
Er ist nicht frei von diesen zwei Hauptelementen seiner
religiös-kulturellen Identität, die sich durch die
große Erzählung des Hinduismus – das grand récit –
ziehen und seine Begegnung mit anderen Religionen,
säkularen Ideologien und historischen Kräften
prägen.
Die hinduistische Toleranz ist gekennzeichnet
durch die Bereitschaft, sich mit anderen Weltvor-