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netzwerke in der demokratie diewelt auf französisch ... - Die Gazette

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14<br />

Ach! Ich kenne viele Frauen aus dem Volke, die<br />

glücklich wären, für e<strong>in</strong> paar Groschen ganze Töpfe<br />

voll Pomade o<strong>der</strong> große Stücke Seife zu k<strong>auf</strong>en, die<br />

mit Essenzen für Proletarier parfümiert s<strong>in</strong>d.<br />

Und dann, welch unversiegliches Gespräch mit <strong>der</strong><br />

Er<strong>in</strong>nerung, welche ewige Frische des Gedächtnisses<br />

könnten e<strong>in</strong>em diese sublimierten Ausdünstungen<br />

<strong>der</strong> Toten schenken – Heute kann, wenn von<br />

zwei Wesen, die sich lieben, e<strong>in</strong>s unversehens stirbt,<br />

das an<strong>der</strong>e nur se<strong>in</strong>e Photographie <strong>auf</strong>bewahren<br />

und an den Allerheiligentagen se<strong>in</strong> Grabmal besuchen.<br />

Dank <strong>der</strong> Erf<strong>in</strong>dung des Ptoma<strong>in</strong>s darf man<br />

von nun an die Frau, die man zu Hause verehrt hat,<br />

<strong>in</strong> duften<strong>der</strong> und spiritueller Form <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tasche<br />

behalten, darf die Geliebte <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Riechfläschchen<br />

verwandeln, sie zum Extrakt kondensieren, sie <strong>in</strong><br />

Pu<strong>der</strong>form <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Riechkissen streuen, das mit e<strong>in</strong>er<br />

schmerzlichen Grabschrift bestickt ist, darf sie e<strong>in</strong>atmen<br />

an Tagen des Elends und sie an Tagen des<br />

Glücks aus e<strong>in</strong>em Schnupftuch e<strong>in</strong>saugen.<br />

Um ganz im Bereiche <strong>der</strong> Possen des Fleisches zu<br />

bleiben, wir brauchten vielleicht nicht, wenn es endlich<br />

soweit ist, den unvermeidlichen „Ruf nach <strong>der</strong><br />

Mutter“ zu hören, denn diese Dame könnte ja anwesend<br />

se<strong>in</strong>, und verborgen unter e<strong>in</strong>em Schönheitspflästerchen<br />

o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er weißen Schm<strong>in</strong>ke beigemischt,<br />

<strong>auf</strong> <strong>der</strong> Brust <strong>der</strong> Tochter ruhen, wenn diese<br />

<strong>in</strong> Ohnmacht fällt, wobei sie nur darum nach ihrem<br />

Beistand ruft, weil sie recht gut weiß, dass jene nicht<br />

kommen kann.<br />

Auch werden mit Hilfe des Fortschritts die Ptoma<strong>in</strong>e,<br />

die heute noch furchtbare Gifte s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong><br />

Zukunft zweifellos ohne Gefahr verdaut werden;<br />

warum sollte man dann nicht mit ihren Essenzen<br />

gewisse Speisen parfümieren? Warum nicht dieses<br />

duftende Öl benutzen, wie man sich heute <strong>der</strong><br />

Zimt- und Mandel-, <strong>der</strong> Vanille- und Nelkenessenzen<br />

bedient, um den Teig gewisser Kuchen noch<br />

wohlschmecken<strong>der</strong> zu machen? Genau wie für die<br />

Parfümerie würde sich so e<strong>in</strong> neuer, zugleich ökonomischer<br />

und gefühlvoller Weg für die Kunst des<br />

Kuchen- und Zuckerbäckers öffnen.<br />

Endlich könnten die erhabenen Familienbande,<br />

die diese elenden Zeiten <strong>der</strong> Respektlosigkeit lockern<br />

und lösen, durch die Ptoma<strong>in</strong>e mit Sicherheit gefestigt<br />

und neu geknüpft werden. Ihnen wäre gleichsam<br />

e<strong>in</strong>e fröstelnde, affektive Annäherung, gleichsam e<strong>in</strong><br />

Schulter-an-Schulter immer lebendiger Zärtlichkeit<br />

zu verdanken. Un<strong>auf</strong>hörlich führten sie den günstigen<br />

Augenblick herbei, <strong>der</strong> das Leben <strong>der</strong> Abgeschiedenen<br />

<strong>in</strong>s Gedächtnis ruft und ihren K<strong>in</strong><strong>der</strong>n als<br />

Vorbild zitiert, <strong>der</strong>en Gefräßigkeit so die vollkommene<br />

Klarsicht <strong>der</strong> Er<strong>in</strong>nerung behielte.<br />

So sitzt dann am Allerseelentag abends, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

kle<strong>in</strong>en Esszimmer, <strong>in</strong> dem e<strong>in</strong> Buffet aus hellem<br />

Holz mit schwarzen Fournieren steht, im Sche<strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

durch den Lampenschirm <strong>auf</strong> den Tisch konzentrierten<br />

Lampe die Familie. <strong>Die</strong> Mutter e<strong>in</strong>e brave<br />

Person, <strong>der</strong> Vater Kassierer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Handelshaus<br />

o<strong>der</strong> bei e<strong>in</strong>er Bank, das K<strong>in</strong>d noch ganz jung, erst<br />

kurze Zeit vom Milchschorf und Keuchhusten frei,<br />

kirre gemacht durch die Drohung, ohne Nachtisch<br />

zu bleiben – <strong>der</strong> Knirps ist endlich bereit, nicht mehr<br />

mit dem Löffel <strong>in</strong> die Suppe zu schlagen und se<strong>in</strong><br />

Fleisch zu essen, zusammen mit etwas Brot.<br />

Regungslos betrachtet er se<strong>in</strong>e <strong>in</strong> Nachdenken versunkenen,<br />

stummen Eltern. Das <strong>Die</strong>nstmädchen<br />

tritt e<strong>in</strong> und br<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>e Ptoma<strong>in</strong>speise. Am Morgen<br />

hat die Mutter ehrfurchtsvoll aus dem Empire-<br />

Sekretär aus Mahagoni, <strong>der</strong> mit e<strong>in</strong>em kleeblattförmigen<br />

Schloss verziert ist, das hermetisch verkorkte<br />

Fläschchen hervorgeholt, das die kostbare, aus den<br />

zerfallenen E<strong>in</strong>geweiden des Großvaters extrahierte<br />

Flüssigkeit enthält. Mit e<strong>in</strong>em Tropfenzähler hat sie<br />

selbst e<strong>in</strong> paar Tränen von diesem Parfum abgefüllt,<br />

das nun die Cremespeise mit se<strong>in</strong>em Aroma würzt.<br />

<strong>Die</strong> Augen des K<strong>in</strong>des leuchten; aber es muß, während<br />

es <strong>auf</strong> die Speise wartet, Lobreden <strong>auf</strong> den Greis<br />

anhören, <strong>der</strong> ihm vielleicht zusammen mit e<strong>in</strong>igen<br />

vererbten Gesichtszügen diesen posthumen Rosengeschmack<br />

h<strong>in</strong>terlassen hat, an dem es sich nun<br />

ergötzen wird.<br />

Ach! Das war e<strong>in</strong> Mann, ruhig und besonnen, e<strong>in</strong><br />

verständiger Mann, <strong>der</strong> ke<strong>in</strong> Blatt vor den Mund<br />

nahm, <strong>der</strong> Großpapa Jules! Er war <strong>in</strong> Holzschuhen<br />

nach Paris gekommen, und immer hat er etwas <strong>auf</strong><br />

die Seite gelegt, obwohl er damals nur hun<strong>der</strong>t<br />

Francs im Monat verdiente. Er hat niemals Geld<br />

ohne Vorteil und Bürgschaft verliehen. So dumm<br />

war er nicht; zuerst kamen die Geschäfte, Zug um<br />

Zug; und dann, welche Ehrfurcht bewies er stets vor<br />

den reichen Leuten – so starb er denn auch, von se<strong>in</strong>en<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>n geschätzt und verehrt, denen er die gut<br />

angelegten Gel<strong>der</strong> e<strong>in</strong>es Familienvaters h<strong>in</strong>terließ,<br />

lauter sichere Werte.<br />

Du er<strong>in</strong>nerst dich doch noch an Großvater, liebes<br />

K<strong>in</strong>d?<br />

M, m, Großvater! macht die Göre, die sich mit<br />

<strong>der</strong> großväterlichen Creme Backen und Nase verschmiert.<br />

Und Großmutter! Kannst du dich auch an sie er<strong>in</strong>nern,<br />

Liebl<strong>in</strong>g?<br />

Das K<strong>in</strong>d denkt nach. Am Todestag dieser braven<br />

Dame gibt es jedes Jahr e<strong>in</strong>en Reiskuchen, <strong>der</strong> mit<br />

<strong>der</strong> Körperessenz <strong>der</strong> Verstorbenen parfümiert wird,<br />

die – e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zigartige Ersche<strong>in</strong>ung – bei Lebzeiten<br />

immer nach Schnupftabak roch und nun seit ihrem<br />

Tod nach Orangenblüten duftet.<br />

M, m, auch Großmutter! macht laut das K<strong>in</strong>d.<br />

Und wen hast du lieber gehabt, sag, die Großmama<br />

o<strong>der</strong> den Großpapa?<br />

Wie alle Knirpse, die, was sie nicht haben, dem<br />

vorziehen, was vor ihrer Nase ist, denkt das K<strong>in</strong>d an<br />

den Kuchen von e<strong>in</strong>st und gesteht, dass es die<br />

Großmutter lieber hat; nichtsdestoweniger hält es<br />

se<strong>in</strong>en Teller von neuem <strong>der</strong> Großvater-Speise entgegen.<br />

Aus Angst, dass es sich aus k<strong>in</strong>dlicher Liebe den<br />

Magen verdirbt, lässt die Mutter, <strong>in</strong> weiser Voraussicht<br />

die Cremespeise abtragen.<br />

Welch köstliche und rührende Familienszene ! sagte<br />

sich Jacques und rieb sich die Augen. Und er fragte<br />

sich, angesichts dessen, was ihm im Kopfe herumg<strong>in</strong>g,<br />

ob er nicht e<strong>in</strong>genickt sei und geträumt habe,

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