netzwerke in der demokratie diewelt auf französisch ... - Die Gazette
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Ach! Ich kenne viele Frauen aus dem Volke, die<br />
glücklich wären, für e<strong>in</strong> paar Groschen ganze Töpfe<br />
voll Pomade o<strong>der</strong> große Stücke Seife zu k<strong>auf</strong>en, die<br />
mit Essenzen für Proletarier parfümiert s<strong>in</strong>d.<br />
Und dann, welch unversiegliches Gespräch mit <strong>der</strong><br />
Er<strong>in</strong>nerung, welche ewige Frische des Gedächtnisses<br />
könnten e<strong>in</strong>em diese sublimierten Ausdünstungen<br />
<strong>der</strong> Toten schenken – Heute kann, wenn von<br />
zwei Wesen, die sich lieben, e<strong>in</strong>s unversehens stirbt,<br />
das an<strong>der</strong>e nur se<strong>in</strong>e Photographie <strong>auf</strong>bewahren<br />
und an den Allerheiligentagen se<strong>in</strong> Grabmal besuchen.<br />
Dank <strong>der</strong> Erf<strong>in</strong>dung des Ptoma<strong>in</strong>s darf man<br />
von nun an die Frau, die man zu Hause verehrt hat,<br />
<strong>in</strong> duften<strong>der</strong> und spiritueller Form <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tasche<br />
behalten, darf die Geliebte <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Riechfläschchen<br />
verwandeln, sie zum Extrakt kondensieren, sie <strong>in</strong><br />
Pu<strong>der</strong>form <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Riechkissen streuen, das mit e<strong>in</strong>er<br />
schmerzlichen Grabschrift bestickt ist, darf sie e<strong>in</strong>atmen<br />
an Tagen des Elends und sie an Tagen des<br />
Glücks aus e<strong>in</strong>em Schnupftuch e<strong>in</strong>saugen.<br />
Um ganz im Bereiche <strong>der</strong> Possen des Fleisches zu<br />
bleiben, wir brauchten vielleicht nicht, wenn es endlich<br />
soweit ist, den unvermeidlichen „Ruf nach <strong>der</strong><br />
Mutter“ zu hören, denn diese Dame könnte ja anwesend<br />
se<strong>in</strong>, und verborgen unter e<strong>in</strong>em Schönheitspflästerchen<br />
o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er weißen Schm<strong>in</strong>ke beigemischt,<br />
<strong>auf</strong> <strong>der</strong> Brust <strong>der</strong> Tochter ruhen, wenn diese<br />
<strong>in</strong> Ohnmacht fällt, wobei sie nur darum nach ihrem<br />
Beistand ruft, weil sie recht gut weiß, dass jene nicht<br />
kommen kann.<br />
Auch werden mit Hilfe des Fortschritts die Ptoma<strong>in</strong>e,<br />
die heute noch furchtbare Gifte s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong><br />
Zukunft zweifellos ohne Gefahr verdaut werden;<br />
warum sollte man dann nicht mit ihren Essenzen<br />
gewisse Speisen parfümieren? Warum nicht dieses<br />
duftende Öl benutzen, wie man sich heute <strong>der</strong><br />
Zimt- und Mandel-, <strong>der</strong> Vanille- und Nelkenessenzen<br />
bedient, um den Teig gewisser Kuchen noch<br />
wohlschmecken<strong>der</strong> zu machen? Genau wie für die<br />
Parfümerie würde sich so e<strong>in</strong> neuer, zugleich ökonomischer<br />
und gefühlvoller Weg für die Kunst des<br />
Kuchen- und Zuckerbäckers öffnen.<br />
Endlich könnten die erhabenen Familienbande,<br />
die diese elenden Zeiten <strong>der</strong> Respektlosigkeit lockern<br />
und lösen, durch die Ptoma<strong>in</strong>e mit Sicherheit gefestigt<br />
und neu geknüpft werden. Ihnen wäre gleichsam<br />
e<strong>in</strong>e fröstelnde, affektive Annäherung, gleichsam e<strong>in</strong><br />
Schulter-an-Schulter immer lebendiger Zärtlichkeit<br />
zu verdanken. Un<strong>auf</strong>hörlich führten sie den günstigen<br />
Augenblick herbei, <strong>der</strong> das Leben <strong>der</strong> Abgeschiedenen<br />
<strong>in</strong>s Gedächtnis ruft und ihren K<strong>in</strong><strong>der</strong>n als<br />
Vorbild zitiert, <strong>der</strong>en Gefräßigkeit so die vollkommene<br />
Klarsicht <strong>der</strong> Er<strong>in</strong>nerung behielte.<br />
So sitzt dann am Allerseelentag abends, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
kle<strong>in</strong>en Esszimmer, <strong>in</strong> dem e<strong>in</strong> Buffet aus hellem<br />
Holz mit schwarzen Fournieren steht, im Sche<strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
durch den Lampenschirm <strong>auf</strong> den Tisch konzentrierten<br />
Lampe die Familie. <strong>Die</strong> Mutter e<strong>in</strong>e brave<br />
Person, <strong>der</strong> Vater Kassierer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Handelshaus<br />
o<strong>der</strong> bei e<strong>in</strong>er Bank, das K<strong>in</strong>d noch ganz jung, erst<br />
kurze Zeit vom Milchschorf und Keuchhusten frei,<br />
kirre gemacht durch die Drohung, ohne Nachtisch<br />
zu bleiben – <strong>der</strong> Knirps ist endlich bereit, nicht mehr<br />
mit dem Löffel <strong>in</strong> die Suppe zu schlagen und se<strong>in</strong><br />
Fleisch zu essen, zusammen mit etwas Brot.<br />
Regungslos betrachtet er se<strong>in</strong>e <strong>in</strong> Nachdenken versunkenen,<br />
stummen Eltern. Das <strong>Die</strong>nstmädchen<br />
tritt e<strong>in</strong> und br<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>e Ptoma<strong>in</strong>speise. Am Morgen<br />
hat die Mutter ehrfurchtsvoll aus dem Empire-<br />
Sekretär aus Mahagoni, <strong>der</strong> mit e<strong>in</strong>em kleeblattförmigen<br />
Schloss verziert ist, das hermetisch verkorkte<br />
Fläschchen hervorgeholt, das die kostbare, aus den<br />
zerfallenen E<strong>in</strong>geweiden des Großvaters extrahierte<br />
Flüssigkeit enthält. Mit e<strong>in</strong>em Tropfenzähler hat sie<br />
selbst e<strong>in</strong> paar Tränen von diesem Parfum abgefüllt,<br />
das nun die Cremespeise mit se<strong>in</strong>em Aroma würzt.<br />
<strong>Die</strong> Augen des K<strong>in</strong>des leuchten; aber es muß, während<br />
es <strong>auf</strong> die Speise wartet, Lobreden <strong>auf</strong> den Greis<br />
anhören, <strong>der</strong> ihm vielleicht zusammen mit e<strong>in</strong>igen<br />
vererbten Gesichtszügen diesen posthumen Rosengeschmack<br />
h<strong>in</strong>terlassen hat, an dem es sich nun<br />
ergötzen wird.<br />
Ach! Das war e<strong>in</strong> Mann, ruhig und besonnen, e<strong>in</strong><br />
verständiger Mann, <strong>der</strong> ke<strong>in</strong> Blatt vor den Mund<br />
nahm, <strong>der</strong> Großpapa Jules! Er war <strong>in</strong> Holzschuhen<br />
nach Paris gekommen, und immer hat er etwas <strong>auf</strong><br />
die Seite gelegt, obwohl er damals nur hun<strong>der</strong>t<br />
Francs im Monat verdiente. Er hat niemals Geld<br />
ohne Vorteil und Bürgschaft verliehen. So dumm<br />
war er nicht; zuerst kamen die Geschäfte, Zug um<br />
Zug; und dann, welche Ehrfurcht bewies er stets vor<br />
den reichen Leuten – so starb er denn auch, von se<strong>in</strong>en<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>n geschätzt und verehrt, denen er die gut<br />
angelegten Gel<strong>der</strong> e<strong>in</strong>es Familienvaters h<strong>in</strong>terließ,<br />
lauter sichere Werte.<br />
Du er<strong>in</strong>nerst dich doch noch an Großvater, liebes<br />
K<strong>in</strong>d?<br />
M, m, Großvater! macht die Göre, die sich mit<br />
<strong>der</strong> großväterlichen Creme Backen und Nase verschmiert.<br />
Und Großmutter! Kannst du dich auch an sie er<strong>in</strong>nern,<br />
Liebl<strong>in</strong>g?<br />
Das K<strong>in</strong>d denkt nach. Am Todestag dieser braven<br />
Dame gibt es jedes Jahr e<strong>in</strong>en Reiskuchen, <strong>der</strong> mit<br />
<strong>der</strong> Körperessenz <strong>der</strong> Verstorbenen parfümiert wird,<br />
die – e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zigartige Ersche<strong>in</strong>ung – bei Lebzeiten<br />
immer nach Schnupftabak roch und nun seit ihrem<br />
Tod nach Orangenblüten duftet.<br />
M, m, auch Großmutter! macht laut das K<strong>in</strong>d.<br />
Und wen hast du lieber gehabt, sag, die Großmama<br />
o<strong>der</strong> den Großpapa?<br />
Wie alle Knirpse, die, was sie nicht haben, dem<br />
vorziehen, was vor ihrer Nase ist, denkt das K<strong>in</strong>d an<br />
den Kuchen von e<strong>in</strong>st und gesteht, dass es die<br />
Großmutter lieber hat; nichtsdestoweniger hält es<br />
se<strong>in</strong>en Teller von neuem <strong>der</strong> Großvater-Speise entgegen.<br />
Aus Angst, dass es sich aus k<strong>in</strong>dlicher Liebe den<br />
Magen verdirbt, lässt die Mutter, <strong>in</strong> weiser Voraussicht<br />
die Cremespeise abtragen.<br />
Welch köstliche und rührende Familienszene ! sagte<br />
sich Jacques und rieb sich die Augen. Und er fragte<br />
sich, angesichts dessen, was ihm im Kopfe herumg<strong>in</strong>g,<br />
ob er nicht e<strong>in</strong>genickt sei und geträumt habe,