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netzwerke in der demokratie diewelt auf französisch ... - Die Gazette

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Wir haben es mit Ungleichzeitigkeiten zu tun. <strong>Die</strong><br />

islamischen Län<strong>der</strong>, die ja auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> ökonomischen<br />

Entwicklung nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong>selben Weise geprägt s<strong>in</strong>d wie<br />

<strong>der</strong> europäische Westen (Sie hören, dass ich den Begriff<br />

„rückständig“ bewusst vermeide), s<strong>in</strong>d an<strong>der</strong>s; die Diskurse,<br />

die Öffentlichkeit <strong>der</strong> Diskurse s<strong>in</strong>d an<strong>der</strong>s<br />

organisiert als bei uns.<br />

Ihre Ausdruckweise unterstreicht mit Recht, dass wir<br />

diesen Län<strong>der</strong>n ke<strong>in</strong>e Entwicklungsl<strong>in</strong>ien o<strong>der</strong> gar Entwicklungsgeschw<strong>in</strong>digkeiten<br />

mit universaler Geltung<br />

vorgeben sollten. Trotzdem tun wir das aber. Wir<br />

erwarten offenbar <strong>in</strong>tuitiv, dass diese Län<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en<br />

ähnlichen Weg gehen werden wie wir. Wie stehen Sie<br />

dazu?<br />

Es gibt dafür zwei Gründe, e<strong>in</strong>en kulturellen und<br />

e<strong>in</strong>en ökonomisch-politischen. Der erste hängt mit<br />

dem europäischen Fortschrittsmythos (und unserer<br />

ganzen Geschichtsphilosophie) zusammen und <strong>der</strong><br />

zweite mit den gegenwärtigen Prozessen <strong>der</strong> Globalisierung.<br />

Zum ersten Grund: <strong>Die</strong> gesamte Fortschrittsdynamik,<br />

wie sie sich seit <strong>der</strong> Renaissance <strong>in</strong> Europa entfaltet,<br />

ruht, wie mir sche<strong>in</strong>t, <strong>auf</strong> dem sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Spätantike<br />

herausbildenden Zeitverständnis, <strong>in</strong> dem<br />

e<strong>in</strong>erseits die aristotelische o<strong>der</strong> im weiteren S<strong>in</strong>ne<br />

griechische Philosophie <strong>der</strong> Zeit mit <strong>der</strong> jüdischen<br />

Apokalyptik verschmilzt. Hier entsteht e<strong>in</strong>e Zeit-<br />

Richtung, es soll e<strong>in</strong> Reich Gottes entstehen, es soll e<strong>in</strong><br />

Tausendjähriges Reich kommen. <strong>Die</strong>s, e<strong>in</strong>e Zukunftsorientiertheit<br />

<strong>der</strong> Geschichte, wurde von August<strong>in</strong>us<br />

bis h<strong>in</strong> zu Hegel kulturbestimmend. Das ist uns so<br />

selbstverständlich, dass wir es gar nicht h<strong>in</strong>terfragen.<br />

An<strong>der</strong>e Kulturen s<strong>in</strong>d hier ganz an<strong>der</strong>s. Dort kann es<br />

sogar, wie im weiten Kreis <strong>der</strong> <strong>in</strong>dischen Kultur, e<strong>in</strong>e<br />

Rückwärtsorientierung geben: Der Ursprung ist das<br />

Re<strong>in</strong>e, das man suchen muss, und im L<strong>auf</strong> <strong>der</strong><br />

Geschichte gibt es eigentlich nur Dekadenz.<br />

<strong>Die</strong>se Fortschrittsphilosophie hat sich dann seit <strong>der</strong><br />

Renaissance materialisiert, so dass mit <strong>der</strong> Entwicklung<br />

von Wissenschaft und Technik die rapide Umgestaltung<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft möglich wurde und <strong>in</strong><br />

Frankreich nach <strong>der</strong> Französischen Revolution „le<br />

progrès“ und <strong>in</strong> Deutschland „<strong>der</strong> Fortschritt“ zum<br />

großen Thema wurde. Man hat aber nun von Anfang<br />

an, nämlich im Geschichtsbild <strong>der</strong> Apokalyptik,<br />

schon den ganzen Kosmos, das heißt die gesamte<br />

bewohnbare Welt im Blick gehabt. So ist das Christentum<br />

nicht etwa e<strong>in</strong>e Religion nur des Mittelmeerraums,<br />

son<strong>der</strong>n es hat – wie übrigens vorher schon das<br />

Judentum <strong>in</strong> <strong>der</strong> Begegnung mit den Persern und den<br />

Ägyptern – über den eigenen kulturellen Rahmen<br />

h<strong>in</strong>ausgedacht und zum<strong>in</strong>dest im Mythos so etwas<br />

wie e<strong>in</strong>e Universalgeschichte antizipiert. Das prägt<br />

die gesamte Geschichte des Christentums. Und so<br />

ordnen wir heute, Hegel hat es uns ja vorgemacht, die<br />

An<strong>der</strong>en immer irgendwo e<strong>in</strong>; und obwohl wir uns<br />

über Hegel <strong>auf</strong>regen, tun wir unbewusst dasselbe<br />

dann doch.<br />

Das zweite Phänomen ist natürlich die Globalisierung.<br />

Das heißt, die an<strong>der</strong>en Kulturen s<strong>in</strong>d <strong>auf</strong> <strong>der</strong><br />

e<strong>in</strong>en Seite noch an<strong>der</strong>s, ihre An<strong>der</strong>sheit (ganz beson-<br />

<strong>der</strong>s <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kommunikation mit ihnen) wird wahrgenommen.<br />

Gleichzeitig entdecken wir aber, dass die<br />

Welt kle<strong>in</strong> geworden ist, e<strong>in</strong> „globales Dorf“, die<br />

an<strong>der</strong>en Kulturen s<strong>in</strong>d nur noch wenige Flugstunden<br />

entfernt o<strong>der</strong> – durch das Internet – e<strong>in</strong> paar Millisekunden.<br />

Wir sprechen mit ihnen, wir – <strong>in</strong> den Schichten,<br />

die diesen Austausch prägen – sprechen mit ihnen<br />

Englisch, und <strong>in</strong> diesen Bereichen ist das An<strong>der</strong>e nicht<br />

mehr an<strong>der</strong>s. Es ist e<strong>in</strong> Teil von uns selbst. Dabei entsteht<br />

natürlich e<strong>in</strong> gewisser Zug zur Vere<strong>in</strong>heitlichung<br />

und zur Bewertung am eigenen Maßstab.<br />

Mir kommt dabei e<strong>in</strong>e – vielleicht rückschrittliche – Frage<br />

<strong>in</strong> den S<strong>in</strong>n: Denken Muslime auch so wie Europäer?<br />

O<strong>der</strong> haben sie e<strong>in</strong>e völlig an<strong>der</strong>e Vorstellung von <strong>der</strong> Entwicklung<br />

<strong>der</strong> Welt?<br />

<strong>Die</strong> Geschichtskonzepte s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Kulturen<br />

selbstverständlich an<strong>der</strong>s. Das heißt, so e<strong>in</strong>e Art von<br />

Chiliasmus gibt es außer im schiitischen Islam (mit<br />

<strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>kehr des Mahdi) im islamischen Raum<br />

nicht, übrigens auch nicht im H<strong>in</strong>duismus und im<br />

Buddhismus auch nicht, auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen<br />

Kultur nicht (mit e<strong>in</strong>igen Ausnahmen, etwa gewissen<br />

Endzeit-Bewegungen). In Bezug <strong>auf</strong> die Globalisierung<br />

hängt die Antwort sehr davon ab, wen man <strong>in</strong><br />

islamischen Län<strong>der</strong>n befragt. Wenn Sie Geschäftsleute<br />

fragen o<strong>der</strong> Wissenschaftler, so s<strong>in</strong>d diese Menschen<br />

<strong>in</strong>nerhalb des westlichen Geschichtsmodells<br />

tätig. Wir wissen ja, dass islamistische Fundamentalisten<br />

<strong>in</strong> ihrer Abkehr vom Westen westliche Technik<br />

benutzen, aber dieser Wi<strong>der</strong>spruch wird nicht als<br />

Wi<strong>der</strong>spruch empfunden, son<strong>der</strong>n die Übernahmen<br />

s<strong>in</strong>d nur technische Güter, die nicht mit e<strong>in</strong>er kulturellen<br />

Wahrnehmung verbunden werden. Man<br />

gebraucht also die mo<strong>der</strong>ne Technik, um sich gegen<br />

die Grundlagen <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen westlichen Welt zu<br />

wenden. Man lebt hier also oft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er „Doppel-<br />

Welt“: <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt ökonomischer Austauschprozesse,<br />

und gleichzeitig versucht man, die eigenen Werte, die<br />

eigene Kultur, die Umgangsformen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft,<br />

sei es im Familienrecht o<strong>der</strong> auch im Staatsrecht,<br />

zu erhalten. Das ist <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Kulturen zu<br />

besichtigen und führt – jedenfalls nach me<strong>in</strong>er Beobachtung<br />

– nicht zu größeren Friktionen, als wir sie <strong>in</strong><br />

unser eigenen Kultur kennen.<br />

Wenn ich e<strong>in</strong>mal verallgeme<strong>in</strong>ern und typisieren darf:<br />

Können e<strong>in</strong>e Kultur, die <strong>auf</strong> e<strong>in</strong> Endziel h<strong>in</strong> orientiert<br />

und dafür tätig ist, und e<strong>in</strong>e Kultur, die die gegebenen<br />

Zustände beispielsweise als gottgewollt h<strong>in</strong>nimmt, e<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

(<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em nicht sehr emphatischen S<strong>in</strong>n) verstehen?<br />

Ich denke schon. E<strong>in</strong> gutes Beispiel dafür ist Ch<strong>in</strong>a<br />

o<strong>der</strong> auch Indien. Man sieht, dass es verschiedene<br />

Welt- und Erklärungsmodelle gibt; man möchte sich<br />

entwickeln im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es höheren Wohlstands; man<br />

möchte die Infrastruktur verbessern, das Bildungsund<br />

Gesundheitsniveau heben – und das ist auch <strong>in</strong><br />

Kulturen so, die nicht e<strong>in</strong>en so teleologisch gerichteten<br />

Zeitpfeil kennen. Daraus leitet man aber nicht ab,<br />

dass nun die gesamte Gesellschaft aus ihrer traditionellen<br />

Verankerung herausmüsste <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e<br />

Zukunft.

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