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netzwerke in der demokratie diewelt auf französisch ... - Die Gazette

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Gefangennahme durch die Amerikaner, verzehrt er<br />

die „Eiserne Ration“, die er dem toten Oberfeldwebel<br />

abgenommen hatte: „‚E<strong>in</strong>en <strong>Die</strong>nst wenigstens<br />

leistest du mir!‘, hatte ich dabei gedacht.“<br />

E<strong>in</strong> leichtes Schau<strong>der</strong>n befällt den heutigen, friedliche<br />

Zeiten gewohnten Leser angesichts dieser kaltblütig<br />

beschriebenen Schlüsselszene des Buches.<br />

Hier ist sie, besagte Verdichtung: e<strong>in</strong> existenzieller<br />

Moment <strong>der</strong> Entscheidung über Leben und Tod,<br />

glücklich die Bedrohung überstanden, <strong>in</strong> ihr den<br />

Fe<strong>in</strong>d gesehen und statt se<strong>in</strong>er überlebt. Zudem blitzen<br />

<strong>in</strong> diesem Augenblick und se<strong>in</strong>er Überlieferung<br />

viele Ingredienzien <strong>der</strong> Fest’schen Charaktermischung<br />

<strong>auf</strong>: die Kälte des Beobachters, die leidenschaftliche<br />

Innenzonen gut verbirgt und zugleich<br />

befeuert; nassforsche Frechheit; ke<strong>in</strong> Heroismus,<br />

aber Mut; e<strong>in</strong> Überheblichkeit nicht scheuendes<br />

Selbstbewusstse<strong>in</strong>, das aus dem Bewusstse<strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Überlegenheit herrührt; e<strong>in</strong>e Fähigkeit zu e<strong>in</strong>er<br />

sche<strong>in</strong>bar zurückgenommenen Darstellungsweise,<br />

die um den Erfolg gerade solcher gleichsam <strong>in</strong>direkt<br />

überwältigenden Form beim Leser genau weiß (e<strong>in</strong>e<br />

Form zudem, die e<strong>in</strong>ige Eitelkeiten tarnen kann);<br />

e<strong>in</strong>e – berechtigte – Schonungslosigkeit: „Oberfeldwebel<br />

Mahlmann war tot. Aber se<strong>in</strong> Ableben<br />

berührte mich nicht. Wie leicht, sagte ich mir, wäre<br />

es für ihn gewesen, <strong>auf</strong> das Kriegsgericht gegen mich<br />

zu verzichten o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges kameradschaftliches<br />

Wort von sich zu geben. Aber dazu war er nie fähig<br />

gewesen.“ Kühle und Leidenschaftlichkeit waren<br />

bei Joachim Fest <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er seltenen Mischung <strong>in</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

verwoben.<br />

<strong>Die</strong> Präzision, mit <strong>der</strong> diese Episode geschil<strong>der</strong>t<br />

wird, rührt, wie unschwer zu erkennen ist, von <strong>der</strong><br />

lebenslangen schwelenden Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit<br />

diesem Erlebnis. Dar<strong>in</strong> ähnelt Fest dem ewigen<br />

erzählerischen Kreisen Claude Simons um den Tod<br />

des Rittmeisters <strong>auf</strong> <strong>der</strong> Straße <strong>in</strong> Flan<strong>der</strong>n. Fests<br />

mitleidloser Blick <strong>auf</strong> den toten Nazifeldwebel<br />

beruht <strong>auf</strong> se<strong>in</strong>er frühen Gegnerschaft zum Nationalsozialismus<br />

und alldem, was er <strong>in</strong> den vergangenen<br />

Jahren im Dritten Reich erlebt hatte. Und von<br />

jenem Moment <strong>in</strong> <strong>der</strong> Grube aus <strong>in</strong> die Zukunft<br />

Fests weiterschreitend: Er war dem Tod als 18-Jähriger<br />

um Haaresbreite entronnen, und diese Erfahrung<br />

könnte als geheimer Antrieb fungiert haben,<br />

als Motor e<strong>in</strong>es Lebens und gleichzeitig als Bestätigung<br />

von An<strong>der</strong>sartigkeit, jenes stolzen „Ich nicht“,<br />

das den Er<strong>in</strong>nerungen ihren Titel gab. So schreibt<br />

Fest über se<strong>in</strong>e wie<strong>der</strong>beg<strong>in</strong>nende Schulzeit im<br />

Januar 1947 <strong>in</strong> Freiburg, nach Krieg und Gefangenschaft:<br />

„Ich hockte gleichsam immer noch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

E<strong>in</strong>mannloch, von dem die an<strong>der</strong>en bislang nicht<br />

e<strong>in</strong>mal gehört hatten.“<br />

Dennoch galt das für sehr viele Deutsche se<strong>in</strong>er<br />

Generation, die die Gewalt des Krieges noch am<br />

eigenen Leib verspürt haben. <strong>Die</strong> Bundesrepublik<br />

entstammt unzähligen solcher Zweimannlöcher.<br />

Das Überleben war dabei nur e<strong>in</strong>e Zufälligkeit, die<br />

man nur allzu genau erlebte. Unter <strong>der</strong> diffus empfundenen<br />

Schuld des Überlebenden gegenüber dem<br />

unschuldig zu Tode Gekommenen konnte man <strong>auf</strong><br />

Dauer leiden. In <strong>der</strong> Familie Fest überlebten von<br />

drei Brü<strong>der</strong>n die beiden jüngeren. Der Älteste,<br />

Wolfgang, starb im Oktober 1944 im Lazarett,<br />

nachdem er von se<strong>in</strong>em Bataillonskommandeur<br />

trotz Lungenentzündung an die Front getrieben<br />

worden war. Es s<strong>in</strong>d bewegende Seiten, <strong>in</strong> denen<br />

Fest von <strong>der</strong> Erschütterung erzählt, die diese Nachricht<br />

bei <strong>der</strong> Familie und ihm auslöst. Wie<strong>der</strong> protokolliert<br />

er die Überlieferung von Wolfgangs letzten<br />

Stunden <strong>in</strong> schrecklich sezieren<strong>der</strong> Genauigkeit.<br />

Und doch bleibt <strong>der</strong> E<strong>in</strong>druck e<strong>in</strong>er dem Anlass entsprechend<br />

heruntergedimmten, die Gefühle transformierenden<br />

Erzählung. E<strong>in</strong> „unnennbares Unglück“<br />

sei <strong>der</strong> Tod des Bru<strong>der</strong>s für die Familie<br />

gewesen – die Mutter verließ <strong>in</strong> den ihr verbleibenden<br />

25 Jahren sofort den Raum, sobald die Rede <strong>auf</strong><br />

Wolfgang kam. Selbst <strong>der</strong> Großvater, den die beiden<br />

Schwestern von Fest stets als hartherzig empfunden<br />

hatten, schloss sich nach <strong>der</strong> Todesnachricht für<br />

zwei Tage unansprechbar <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Zimmer e<strong>in</strong> – um<br />

mit verwe<strong>in</strong>ten Augen zurückzukehren.<br />

Der jüngere Bru<strong>der</strong> W<strong>in</strong>fried entkam<br />

dagegen wie Joachim nur knapp. Lange nach Kriegsende<br />

berichtete er davon Joachim bei ihrer Wie<strong>der</strong>begegnung.<br />

E<strong>in</strong> Kommando hatte ihn und an<strong>der</strong>e <strong>in</strong><br />

den letzten Kriegstagen als Deserteure verhaftet, und<br />

<strong>auf</strong> dem Marsch zur mutmaßlichen H<strong>in</strong>richtung<br />

floh er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em günstigen Augenblick <strong>in</strong> den Wald,<br />

von den Wachen vergeblich verfolgt. Tatsächlich<br />

seien die verbliebenen elf später erschossen worden.<br />

„Tief ist <strong>der</strong> Brunnen <strong>der</strong> Vergangenheit.“ So<br />

beg<strong>in</strong>nt Thomas Manns Tetralogie Joseph und se<strong>in</strong>e<br />

Brü<strong>der</strong>. Er schloss die Frage an: „Sollte man ihn nicht<br />

unergründlich nennen?“ Joachim Fest teilte diese<br />

Skepsis mit se<strong>in</strong>em lebenslangem Idol. Anfang und<br />

Ende <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheits- und Jugen<strong>der</strong><strong>in</strong>nerungen<br />

gehören dem Zweifel: „<strong>Die</strong> Vergangenheit ist stets<br />

e<strong>in</strong> imag<strong>in</strong>äres Museum.“ Der eigene Formwille und<br />

<strong>der</strong> zeitliche Abstand würden die Ereignisse färben;<br />

die ungetrübte biografische Wahrheit sei „nicht zu<br />

haben“, zitiert Fest am Ende Sigmund Freud. Natürlich<br />

ist <strong>der</strong> Autor sich <strong>der</strong> Schwierigkeiten bewusst,<br />

die mit <strong>der</strong> Schil<strong>der</strong>ung von Ereignissen e<strong>in</strong>hergehen,<br />

die so lange zurückliegen. <strong>Die</strong>se rückblickende<br />

Konstruktionsleistung ist <strong>in</strong> ihrer nachträglichen<br />

Suggestionskraft oft höchst fragwürdig. Gerade<br />

solch e<strong>in</strong>e Schlüsselszene wie die des Zweimannlochs<br />

bleibt anfällig für Stilisierungen. Dennoch hat Fest<br />

sich <strong>der</strong> problematischen Er<strong>in</strong>nerungsarbeit unterzogen<br />

– mit staunenswert präzisem Ergebnis, gerade<br />

auch <strong>in</strong> solchen zentralen Episoden. Woher diese<br />

Sicherheit? Der Leser hat den E<strong>in</strong>druck, jenen so<br />

weit entfernten Jahren <strong>der</strong> braunen Diktatur so nah<br />

wie selten sonst zu se<strong>in</strong>. Klar und e<strong>in</strong>deutig wird das<br />

Leben <strong>der</strong> Familie Fest <strong>in</strong> den dreißiger und vierziger<br />

Jahren beschrieben, als ob dem Autor schon e<strong>in</strong>e Verfilmung<br />

vorgeschwebt hätte, so wie sie zur Zeit anhand<br />

<strong>der</strong> Er<strong>in</strong>nerungen se<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>st im Feuilleton für<br />

Literatur zuständigen Redakteurs Marcel Reich-<br />

Ranicki entsteht.

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