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netzwerke in der demokratie diewelt auf französisch ... - Die Gazette

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Darf ich trotzdem e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e Unterscheidung versuchen<br />

zwischen den genannten süd- und fernöstlichen Kulturen<br />

und dem islamischen Mittelmeerraum? Claude Lévi-<br />

Strauss hat e<strong>in</strong>mal gesagt, dass die jüngste aller großen<br />

Religionen, <strong>der</strong> Islam, diejenige sei, die sich am deutlichsten<br />

mit den Regelungen weltlicher Angelegenheiten befasst,<br />

während frühere Religionen dazu eher ke<strong>in</strong>e Aussagen<br />

machen.<br />

Ich halte diese Unterscheidung, wenn sie so absolut<br />

gesetzt wird, für falsch. Wenn wir uns zum Beispiel den<br />

Konfuzianismus ansehen, so wird hier das Leben <strong>der</strong><br />

Menschen bis zur Erziehung und <strong>in</strong> die engsten Beziehungen<br />

h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> geregelt. Das ist vielleicht beim Buddhismus<br />

nicht <strong>in</strong> diesem Umfang <strong>der</strong> Fall, auch nicht<br />

beim Christentum, beim Islam allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> höherem<br />

Maß. Woran liegt das? Es liegt nicht am Alter <strong>der</strong> Religion,<br />

son<strong>der</strong>n daran, <strong>in</strong> welchen Kulturen diese Religionen<br />

entstanden s<strong>in</strong>d, was sozusagen als kulturelles<br />

Substrat schon vorhanden war.<br />

Das Christentum entwickelt sich zunächst im Mittelmeerraum<br />

im Bereich des Römischen Rechts und <strong>der</strong><br />

griechischen Philosophie und f<strong>in</strong>det dort se<strong>in</strong>e grundlegenden<br />

Dogmen und Lebensformen. E<strong>in</strong>er <strong>der</strong><br />

großen Übersetzer des Christentums vom Griechischen<br />

<strong>in</strong>s Late<strong>in</strong>ische war schließlich e<strong>in</strong> Jurist: Tertullian.<br />

Das ist ke<strong>in</strong> Zufall. Hier haben wir bereits e<strong>in</strong>e<br />

Hochkultur und e<strong>in</strong>e hoch ausdifferenzierte Gesellschaft.<br />

Beim Islam liegen die D<strong>in</strong>ge an<strong>der</strong>s. Er entsteht<br />

<strong>in</strong> arabischen Stämmen, die sich jetzt erst zu größeren<br />

Verbünden zusammenschließen; <strong>der</strong> Islam ist geradezu<br />

als <strong>der</strong> Versuch <strong>in</strong>terpretierbar, Stammesfehden<br />

und -konflikte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Rahmen zu überw<strong>in</strong>den, und<br />

diesen Rahmen muss er erst setzen. Er hat also se<strong>in</strong>en<br />

Anfangsimpuls, se<strong>in</strong>e Ursprungsurkunde aus e<strong>in</strong>er<br />

grundsätzlich an<strong>der</strong>en Situation als das Christentum.<br />

<strong>Die</strong>s trägt er dann mit sich weiter. Und selbst wenn er<br />

nun <strong>auf</strong> an<strong>der</strong>e Hochkulturen trifft, wie zum Beispiel<br />

militärisch <strong>in</strong> Indien o<strong>der</strong> als die islamisierten Völker<br />

Zentralasiens nach Ch<strong>in</strong>a e<strong>in</strong>fallen, so wird dort versucht,<br />

die Identität, die er aus e<strong>in</strong>em ganz an<strong>der</strong>en Rahmen<br />

gewonnen hat, auch <strong>in</strong> jene hochkulturellen<br />

Gebilde zu importieren, und er gerät mit ihnen natürlich<br />

<strong>in</strong> Konflikt.<br />

Wir können das sehr deutlich an <strong>der</strong> Ausbreitungsdynamik<br />

von Religionen <strong>in</strong> Afrika sehen. Warum s<strong>in</strong>d<br />

dort das Christentum und <strong>der</strong> Islam so erfolgreich und<br />

nicht <strong>in</strong> Indien (abgesehen von den militärischen Erfolgen<br />

des frühen Islam)? Das hängt damit zusammen,<br />

dass wir <strong>in</strong> Indien bereits hochkulturelle, das heißt vernetzte,<br />

weitgehend professionalisierte Gesellschaftsmodelle<br />

und Strukturen haben, an<strong>der</strong>s als <strong>in</strong> Afrika.<br />

Hier werden <strong>der</strong> Islam und das Christentum, die beiden<br />

konkurrierenden Religionen, als e<strong>in</strong> das regionale<br />

Leben und Denken übergreifendes Modell empfunden<br />

und angenommen. Wobei sich dann immer, das<br />

wissen wir aus <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Religionen sehr gut,<br />

Mischformen und Neubildungen ergeben.<br />

Es gibt Islamwissenschaftler, die die sogenannte „Schließung<br />

<strong>der</strong> Pforten (<strong>der</strong> Interpretation)“ im frühen 2.<br />

Jahrtausend als Ursache für e<strong>in</strong>e fehlende Reformfähigkeit<br />

ansehen. Ist das wirklich e<strong>in</strong>e relevante Ursache?<br />

Ich weiß nicht, ob man das so sagen kann. Man<br />

muss bedenken, dass das Christentum se<strong>in</strong>e Dogmen<br />

und se<strong>in</strong>e Lebensformen und Weltvorstellungen im<br />

Wesentlichen bis zum 4., 5. Jahrhun<strong>der</strong>t ausformuliert<br />

hat: die Christologie, die Zwei-Naturen-Lehre<br />

und alles, was daraus folgt. Damit wurde ja auch <strong>der</strong><br />

christliche „Rahmen“ geschlossen; ich will nicht<br />

sagen, die „Pforte geschlossen“, aber es ist doch e<strong>in</strong><br />

Rahmen, <strong>der</strong> mehr o<strong>der</strong> weniger feststand und an<br />

dem über Jahrhun<strong>der</strong>te h<strong>in</strong>weg nicht allzu viel geän<strong>der</strong>t<br />

wurde. Dann aber, ich denke wie<strong>der</strong> an die<br />

Renaissance, kommt e<strong>in</strong>e Bewegung <strong>in</strong>s Spiel, die<br />

diesen Rahmen nicht völlig sprengt, aber doch so neu<br />

<strong>in</strong>terpretiert und wie<strong>der</strong>um <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en Rahmen<br />

stellt, dass wir <strong>auf</strong> allen Gebieten – im Recht, <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Kunst, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Philosophie usw. – e<strong>in</strong>e Kulturdynamik<br />

im weitesten S<strong>in</strong>n beobachten können. In dieser<br />

Perspektive wird man möglicherweise den Mangel an<br />

Reformfreudigkeit, den man im Islam etwa seit dem<br />

14. Jahrhun<strong>der</strong>t wahrnehmen kann, nicht <strong>auf</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Morphologie des Religiösen zurückführen müssen<br />

o<strong>der</strong> – wie ich me<strong>in</strong>e – können, son<strong>der</strong>n eher fragen:<br />

Wer s<strong>in</strong>d hier denn mögliche Trägergruppen für<br />

Dynamik und Verän<strong>der</strong>ung heute? Ideen fallen,<br />

wenn schon nicht vom Himmel, so doch aus dem<br />

Kopf <strong>in</strong>telligenter Menschen, aber dass Ideen die<br />

Massen ergreifen (ich benütze hier bewusst e<strong>in</strong>en<br />

Marx’schen Ausdruck), erfor<strong>der</strong>t soziale Gruppen,<br />

die solche Ideen auch tatsächlich <strong>auf</strong>nehmen. Solche<br />

Gruppenbildungen hängen an sozialen und ökonomischen<br />

Prozessen, die erst e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> Gang gesetzt<br />

werden müssen. Mit an<strong>der</strong>en Worten: Wo e<strong>in</strong> <strong>auf</strong>strebendes<br />

Bürgertum existiert, wird es auch e<strong>in</strong>e entsprechende<br />

Expansion geben, dann aber nicht nur <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Religion, son<strong>der</strong>n auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kunst. E<strong>in</strong> solches<br />

Bürgertum als Träger e<strong>in</strong>er gesellschaftlichen Verän<strong>der</strong>ung<br />

hat sich <strong>in</strong> vielen islamischen Län<strong>der</strong>n aus<br />

diversen Gründen bisher jedenfalls nicht gebildet.<br />

Wenn sich das aber e<strong>in</strong>mal än<strong>der</strong>t, kann es große Verän<strong>der</strong>ung<br />

und Rahmensprengungen freisetzen.<br />

Können Sie für solche Dynamiken auch historische Belege<br />

anführen? Haben solche Rahmensprengungen <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Gesellschaften ebenfalls stattgefunden?<br />

Ich könnte es beweisen an <strong>der</strong> Geschichte Indiens.<br />

Dort kann man sehen, wie schon im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t,<br />

natürlich angestoßen durch den Kontakt mit <strong>der</strong><br />

Kolonialmacht Großbritannien, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sogenannten<br />

Bengalischen Renaissance plötzlich e<strong>in</strong>e neue Gesellschaftsschicht<br />

entsteht, durch e<strong>in</strong> neues, kastenüberschreitendes<br />

Sozialisierungssystem, e<strong>in</strong>e sich am englischen<br />

Schul- und Bildungssystem abarbeitende<br />

Elite, die dann auch den H<strong>in</strong>duismus neu <strong>in</strong>terpretiert.<br />

Althergebrachte Denkformen, sogar Tradierungs-,<br />

Sozialisierungs- und Diskursformen usw. werden<br />

von ihr völlig über den H<strong>auf</strong>en geworfen. <strong>Die</strong><br />

Voraussetzung dafür war die neue Bildungsschicht <strong>in</strong><br />

Bengalen.<br />

Wenn ich noch e<strong>in</strong>mal <strong>auf</strong> die anfänglich genannte Furcht<br />

zurückkommen darf: Wie begründet sie sich? Wovor<br />

fürchten sich diese Menschen?<br />

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