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netzwerke in der demokratie diewelt auf französisch ... - Die Gazette

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tionen zum Beispiel <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei beruhten denn<br />

auch <strong>auf</strong> e<strong>in</strong>er – später e<strong>in</strong>gestandenen – Unkenntnis<br />

des Orig<strong>in</strong>altextes.<br />

<strong>Die</strong>se unterschiedlichen Anlässe zeigen, wie leicht<br />

e<strong>in</strong>e große muslimische Sympathisantenszene für<br />

die Sache <strong>der</strong> Islamisten zu aktivieren ist.<br />

Angehörigen <strong>der</strong> westlichen, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

<strong>der</strong> europäischen Kultur fällt es offenbar<br />

schwer zu begreifen, welche Wertvorstellungen<br />

Muslime haben, wor<strong>auf</strong> sie ihre Glaubens<strong>in</strong>halte<br />

gründen, wie ihr Denken und Handeln motiviert<br />

ist. Sie s<strong>in</strong>d eurozentrisch gewöhnt an die Trennung<br />

von Kirche und Staat und an die selbstverständliche<br />

Ausrichtung des politischen Handelns an liberalen<br />

Wertvorstellungen. Fast lässt sich sagen, freiheitliche<br />

Wertvorstellungen seien bereits <strong>in</strong> <strong>der</strong> vorbewussten<br />

Triebstruktur verankert. Aus diesem<br />

Grund fragen Leitartikler aller politischen Provenienz<br />

ratlos, wieso E<strong>in</strong>zeltäter, bis dah<strong>in</strong> harmlose<br />

Studenten, erzogen <strong>in</strong> westlichen Werten, Profiteure<br />

westlichen Vertrauens und Adressaten beson<strong>der</strong>er<br />

f<strong>in</strong>anzieller und menschlicher För<strong>der</strong>ung,<br />

plötzlich Bärte tragen, <strong>in</strong> ihren Kellern beten,<br />

Attentate planen und sie ausführen. Hier<strong>auf</strong> gibt es<br />

e<strong>in</strong>e Antwort: Das im Koran offenbarte Wort<br />

Allahs, nach <strong>der</strong> Vorstellung <strong>der</strong> Muslime <strong>der</strong> absolut<br />

transzendente Gott, <strong>der</strong> <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er Weise mit<br />

menschlichen Kategorien zu erfassen ist, auch nicht<br />

mit menschlichen Vorstellungen von Vernunft und<br />

Wahrheit, ist ihnen wichtiger als alle <strong>in</strong>dividuellen<br />

Freiheiten e<strong>in</strong>schließlich <strong>der</strong> vermuteten Versuchung<br />

zum Wohlleben und zur Untugend.<br />

Das Wort „Islam“ bedeutet „Unterwerfung“. Seit<br />

den E<strong>in</strong>gebungen Mohammeds ist damit geme<strong>in</strong>t,<br />

dass sich je<strong>der</strong> Mensch, gleichgültig welcher Herkunft<br />

und Religion, dem Islam anschließen müsse,<br />

an<strong>der</strong>nfalls dürfe er benachteiligt, unter Umständen<br />

auch getötet werden. So steht es geschrieben im<br />

Koran. Nach Auffassung <strong>der</strong> Muslime, die sich nach<br />

den Worten des Koran und <strong>der</strong> Hadithe richten, ist<br />

die Weltgeschichte erst beendet, wenn <strong>der</strong> Islam sich<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em weltumspannenden Friedensstaat durchgesetzt<br />

hat. <strong>Die</strong> Zeit, dieses Ziel zu erreichen, ist nach<br />

Auffassung vieler Muslime <strong>in</strong>zwischen gekommen.<br />

Aus westlicher Sicht ist die <strong>der</strong>zeit weltweite<br />

Fundamentalisierung des Islam die Folge e<strong>in</strong>er<br />

verpassten Mo<strong>der</strong>nisierungschance.<br />

Nach e<strong>in</strong>er berühmten Zählung <strong>der</strong> UNO ist die<br />

Anzahl <strong>der</strong> im L<strong>auf</strong>e <strong>der</strong> letzten tausend Jahre <strong>in</strong><br />

allen arabischen Län<strong>der</strong>n <strong>in</strong>sgesamt übersetzten ausländischen<br />

Bücher so hoch wie die e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>zigen<br />

Jahres <strong>in</strong> Spanien. 1948 wurde die Allgeme<strong>in</strong>e<br />

Erklärung <strong>der</strong> Menschenrechte von allen muslimischen<br />

Län<strong>der</strong>n mit Ausnahme Saudi-Arabiens<br />

unterschrieben. <strong>Die</strong> Entwicklungserfor<strong>der</strong>nisse<br />

s<strong>in</strong>d jedoch gescheitert, die Nationalstaaten funktionieren<br />

nicht. <strong>Die</strong> arabischen Staaten s<strong>in</strong>d wirtschaftlich<br />

weniger erfolgreich als die asiatischen,<br />

<strong>der</strong>en Entwicklungsstand 1945 genauso hoch war<br />

wie <strong>der</strong> <strong>der</strong> arabischen Län<strong>der</strong>. <strong>Die</strong> Öl-Monarchien<br />

haben 500 Milliarden Dollar <strong>in</strong> den Westen, nicht<br />

<strong>in</strong> die arabischen Staaten <strong>in</strong>vestiert. Sie geben den<br />

höchsten Prozentsatz des Brutto<strong>in</strong>landsprodukts<br />

für die Rüstung aus. <strong>Die</strong> arabische Elite geht <strong>in</strong> den<br />

Westen, weil sie <strong>in</strong> den eigenen Län<strong>der</strong>n ke<strong>in</strong>e<br />

Chance hat.<br />

Auch an <strong>der</strong> Unterdrückung <strong>der</strong> Hälfte ihrer<br />

Bevölkerung, <strong>der</strong> Unterdrückung aller ihrer weiblichen<br />

Mitglie<strong>der</strong> nämlich, verbunden mit dem<br />

immer noch weitgehenden Ausschluss <strong>der</strong> Frauen<br />

und Mädchen von Bildung, Wissen und produktiver<br />

Tätigkeit, lässt sich absehen, wie sehr sich die<br />

islamische Kultur von kreativen Möglichkeiten<br />

ihrer Entwicklung selbst abgeschottet hat. An E<strong>in</strong>zelschicksalen,<br />

an im Namen des Islam zwangsverheirateten,<br />

geste<strong>in</strong>igten und vergewaltigten Frauen<br />

sowie an <strong>der</strong>en Rechtsunsicherheit wird sichtbar,<br />

wie grausam diese Praktik <strong>in</strong>dividuell ist. Und<br />

schließlich lässt sich an <strong>der</strong> Verfolgung führen<strong>der</strong><br />

Intellektueller <strong>in</strong> den islamischen Staaten ablesen,<br />

wie <strong>der</strong> islamische Fundamentalismus se<strong>in</strong>e eigenen<br />

Dichter und Philosophen missachtet. Salman Rushdie,<br />

Naghib Machfus und Orhan Pamuk s<strong>in</strong>d hierfür<br />

nur e<strong>in</strong>ige wenige, beson<strong>der</strong>s bekanntgewordene<br />

Beispiele.<br />

300 Jahre Bedeutungslosigkeit (etwa von 1683,<br />

dem Rückschlag <strong>der</strong> Türken vor Wien, bis 1979, <strong>der</strong><br />

Rückkehr des Ajatollah Chome<strong>in</strong>i aus dem Pariser<br />

Exil) h<strong>in</strong>terließen tiefe Spuren <strong>der</strong> Demütigung <strong>in</strong><br />

den Angehörigen <strong>der</strong> islamischen Kultur. Man kann<br />

von e<strong>in</strong>er kollektiven narzisstischen Kränkung sprechen,<br />

die die Menschen <strong>der</strong> zum Stolz tendierenden<br />

islamischen Kultur durch die europäische Überlegenheit<br />

erlitten haben. <strong>Die</strong>se Kränkung ist nicht nur<br />

tief im kollektiven Gedächtnis <strong>der</strong> Muslime gespeichert,<br />

son<strong>der</strong>n es wird auch tagtäglich daran er<strong>in</strong>nert.<br />

Je<strong>der</strong> Fehler <strong>der</strong> amerikanischen und <strong>der</strong> europäischen<br />

Regierungen wird als weitere schwere Kränkung<br />

<strong>in</strong> die psychische Struktur e<strong>in</strong>gebaut. Abu<br />

Ghraib, Guantánamo und viele an<strong>der</strong>e Verbrechen<br />

westlicher Län<strong>der</strong> gelten als „Beweis“ für die<br />

Schlechtigkeit <strong>der</strong> „Ungläubigen“. <strong>Die</strong> phantasmatische<br />

Demütigung reicht von <strong>der</strong> Er<strong>in</strong>nerung an die<br />

Kreuzfahrer bis zum Kosovo.<br />

Nach psychoanalytischer Auffassung<br />

entsteht e<strong>in</strong>e narzisstische Kränkung im Individuum<br />

<strong>auf</strong>grund e<strong>in</strong>er tiefen Verletzung des Selbst<br />

und des Selbstwertgefühls.<br />

Individuell entsteht e<strong>in</strong>e narzisstische Störung<br />

dann, wenn das für das Überleben notwendige<br />

Objekt gleichzeitig als bedrohlich, ja traumatisierend<br />

erlebt wird. Weil das unreife Selbst <strong>auf</strong> Hilfe<br />

angewiesen ist, ergibt sich e<strong>in</strong> Zirkel massiver und<br />

nicht mehr zu bewältigen<strong>der</strong> Gewalt. So kommt es<br />

sowohl zu e<strong>in</strong>er Entwicklungshemmung als auch zu<br />

ständiger Wut, die sich nur <strong>in</strong> gewalttätigen Ausbrüchen<br />

(„narzisstische Wut“) Erleichterung ver-<br />

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