netzwerke in der demokratie diewelt auf französisch ... - Die Gazette
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war, mußte er e<strong>in</strong>e Probezeit absolvieren. Man<br />
wollte sichergehen, daß er ke<strong>in</strong> israelischer Agent<br />
war. Se<strong>in</strong> Probestück, von dem sie von se<strong>in</strong>em Onkel<br />
erfuhr, <strong>der</strong> es wie<strong>der</strong> von e<strong>in</strong>em Bekannten hatte,<br />
war, irgendwo an<strong>der</strong>s, vierzig o<strong>der</strong> fünfzig Kilometer<br />
weit weg, e<strong>in</strong>en israelischen Siedler samt dessen<br />
Familie zu erschießen. Von da an war er von <strong>der</strong><br />
Gruppe angenommen. Se<strong>in</strong>e spirituelle<br />
Vorbereitung begann. Er <strong>in</strong>tensivierte alle rituellen<br />
Handlungen, Waschungen, Gebete, las im Koran<br />
und bekam mehrere Stunden am Tag<br />
Unterweisungen, religiöse, waffentechnische. Als sie<br />
ihm e<strong>in</strong>es Tages <strong>auf</strong> den Kopf zu sagte: Du bist dabei,<br />
e<strong>in</strong> Attentäter zu werden, stritt er es nicht ab,<br />
son<strong>der</strong>n sah sie nur so an, wie er sie jetzt immer<br />
ansah, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Mischung aus Traurigkeit und<br />
spöttischer Distanz. Als sie trotzdem <strong>auf</strong> ihn<br />
e<strong>in</strong>redete, alles aus sich herausschrie, was ihn von<br />
e<strong>in</strong>em Attentat <strong>auf</strong> Zivilisten, von <strong>der</strong> Gewalt gegen<br />
sich selbst abbr<strong>in</strong>gen sollte, drehte er sich weg. Von<br />
da an tat er, als gäbe es sie nicht. Dabei lebten sie<br />
nach wie vor im gleichen Raum, schliefen im<br />
gleichen Bett. Er lebte sozusagen um sie herum.<br />
Tage, Wochen, Monate. Sie hatte nur zwei<br />
Vorstellungen, die an zwei Worten h<strong>in</strong>gen: Körper<br />
das e<strong>in</strong>e, Nähe das an<strong>der</strong>e. <strong>Die</strong> Vorstellung, daß er<br />
mit Sprengstoff um den Bauch gebunden <strong>auf</strong> an<strong>der</strong>e<br />
zugehen würde, löste bei ihr das Gefühl für ihren<br />
eigenen Körper aus, den sie dazwischen<br />
phantasierte, e<strong>in</strong>e Art Schutzwall. Der Wall stand <strong>in</strong><br />
ihren Tag- und Nachtträumen son<strong>der</strong>barerweise<br />
nicht nur zwischen dem Sprengstoffgürtel und den<br />
Opfern, son<strong>der</strong>n auch zwischen dem Sprengstoff<br />
und dem Körper ihres Mannes. <strong>Die</strong>se Phantasien<br />
zwangen sie, <strong>in</strong> all den Wochen und Monaten ganz<br />
nahe bei ihm zu se<strong>in</strong>. Noch nie war sie ihrem Mann<br />
so lange so nah gewesen. Sie g<strong>in</strong>g und stand, wo er<br />
g<strong>in</strong>g und stand. Manchmal war er dr<strong>auf</strong> und dran,<br />
sie zu schlagen o<strong>der</strong> sonst irgendwie Gewalt gegen<br />
sie anzuwenden. Aber das konnte er nicht. Dessen<br />
war sie sich ganz sicher. E<strong>in</strong> sanfter Mann, e<strong>in</strong><br />
weicher Mann. Nachts im Bett versuchte sie alles,<br />
um ihn zu verführen. Manchmal gelang es ihr.<br />
E<strong>in</strong>mal hörte sie ihn danach beten und dazwischen<br />
laut <strong>auf</strong>schluchzen. Seitdem ließ sie ihn <strong>in</strong> Ruhe.<br />
Aber sie blieb ihm an <strong>der</strong> Seite. Nur <strong>in</strong> das Haus, <strong>in</strong><br />
dem die Unterweisung stattfand, durfte sie nicht mit<br />
h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>. Sie kam dem Haus nicht e<strong>in</strong>mal nahe,<br />
son<strong>der</strong>n wartete im Schatten e<strong>in</strong>es Feigenbaums, an<br />
e<strong>in</strong>er Stelle, von <strong>der</strong> aus sie den e<strong>in</strong>zigen E<strong>in</strong>gang im<br />
Auge behalten konnte. Wenn er sich bei se<strong>in</strong>en<br />
Ausbil<strong>der</strong>n über sie beklagt hätte, hätte man sie<br />
umgebracht.<br />
In <strong>der</strong> Nacht vor <strong>der</strong> Nacht, <strong>in</strong> <strong>der</strong> es geschehen<br />
sollte, schlief er nicht. Sie merkte, daß se<strong>in</strong> Atem<br />
an<strong>der</strong>s g<strong>in</strong>g, und war <strong>auf</strong> <strong>der</strong> Hut. Zweimal<br />
versuchte er sich davonzustehlen, merkte aber<br />
immer, daß sie ihm <strong>auf</strong> den Fersen war, und drehte<br />
um. Warum er auch am Tag dar<strong>auf</strong>, als er den<br />
Rucksack mit dem Sprengstoff schon ausgehändigt<br />
bekommen hatte, niemanden <strong>auf</strong> sie ansetzen ließ,<br />
um sie gewaltsam daran zu h<strong>in</strong><strong>der</strong>n, ihm zu folgen,<br />
konnte und wollte sie ihn nicht fragen. Aber offenbar<br />
hatte er sich damit abgefunden, daß sie dabeise<strong>in</strong><br />
würde, wenn se<strong>in</strong> Leben zuende g<strong>in</strong>g. Erwartete er,<br />
daß sie untätig zusehen würde? O<strong>der</strong> ahnte er, was sie<br />
vorhatte? Sie wußte es ja selbst nicht.<br />
Der Weg zum Ort des Attentats, e<strong>in</strong>er<br />
Bushaltestelle, war e<strong>in</strong> Weg durch die Nacht. E<strong>in</strong><br />
ganzes Stück weit g<strong>in</strong>g es durch menschenleeres,<br />
wüstes Gelände, schwaches Mondlicht. Sie hielt sich<br />
etwa zehn bis zwanzig Meter h<strong>in</strong>ter ihm. Sie wußte<br />
jetzt, daß er nicht versuchen würde, ihr zu<br />
entkommen. Zwischendurch summte sie e<strong>in</strong><br />
arabisches Volkslied, das beide von ihrer K<strong>in</strong>dheit her<br />
kannten und das auch bei ihrer Hochzeit gesungen<br />
worden war. Nachdem sie es gesummt hatte, sang sie<br />
es halblaut, und die Tränen kamen ihr, als sie merkte,<br />
daß er, wenn auch kaum hörbar, mitsang.<br />
Offenbar hatte er genaue Instruktionen<br />
bekommen.<br />
Sie warteten bei e<strong>in</strong>er Kaffeebar, die normalerweise<br />
bis zum Morgengrauen offen hatte. Aber <strong>in</strong> dieser<br />
Nacht war sie zufällig geschlossen. Er saß <strong>auf</strong> e<strong>in</strong>er<br />
Bank vor dem geschlossenen Tresen, sie kauerte unter<br />
e<strong>in</strong>em Riz<strong>in</strong>usbaum. Ke<strong>in</strong> Blick, ke<strong>in</strong> Wort. Daß es<br />
e<strong>in</strong> Rucksack war, den man ihm mitgegeben hatte<br />
und ke<strong>in</strong> Gürtel, hatte sie erleichtert. Auch e<strong>in</strong><br />
Rucksack liegt <strong>auf</strong> dem Körper an, aber er ist nicht<br />
daran festgezurrt. Das e<strong>in</strong>zige, was sie an sich selber<br />
spürte, war ihr deutscher Reisepaß, den sie sich <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em Plastikbeutel mit e<strong>in</strong>er <strong>der</strong>ben Schnur um den<br />
Hals gebunden hatte. <strong>Die</strong> Schnur kratzte. Warum<br />
den Paß? Sie wollte nicht namenlos, nicht e<strong>in</strong>fach als<br />
die Frau des Attentäters davongehen. Damit etwas<br />
von dem Paß übrigblieb, hatte sie ihn zwischen zwei<br />
Blechplatten geklemmt, dünnes Weißblech, das sie<br />
<strong>auf</strong> e<strong>in</strong>er Abfallhalde <strong>auf</strong>gelesen und<br />
zurechtgeschnitten hatte. Sie ertappte sich dabei, wie<br />
sie immerfort den Rucksack anstarrte, den er neben<br />
sich liegen hatte. Nach wie vor die Vorstellungen von<br />
ihrem eigenen Körper, <strong>der</strong> zwischen dem Sprengstoff<br />
und dem Körper aller an<strong>der</strong>en war, nach wie vor die<br />
Phantasie, daß <strong>der</strong> Rucksack nahe war, näher bei ihr<br />
als bei allen an<strong>der</strong>en. Je länger sie da saßen, desto<br />
sicherer war sie sich ihres eigenen Körpers, desto<br />
gewisser phantasierte sie ihn als undurchdr<strong>in</strong>glich.<br />
E<strong>in</strong> Sonnen<strong>auf</strong>gang am Rande e<strong>in</strong>er Wüste. E<strong>in</strong><br />
blasses Morgenrot. Als die ersten Sonnenstrahlen<br />
über den Horizont kamen, hatte sie die Vorstellung<br />
e<strong>in</strong>er Explosion. <strong>Die</strong> Wahrheit explodiert, hörte sie<br />
sich sagen. E<strong>in</strong>mal trafen sich ihre Blicke. In e<strong>in</strong>er<br />
Bewegung <strong>der</strong> Verlegenheit, um ihrem Blick zu<br />
entkommen o<strong>der</strong> um überhaupt etwas zu tun, zog er<br />
e<strong>in</strong> Handy aus <strong>der</strong> Tasche se<strong>in</strong>er Jacke und zeigte<br />
triumphierend <strong>auf</strong> die Tastatur. Wenn <strong>der</strong><br />
Zeigef<strong>in</strong>ger die dafür vorgesehenen Tasten berührte,<br />
würde es geschafft se<strong>in</strong>. <strong>Die</strong> Luft trocken, <strong>der</strong><br />
trockene Geruch des Riz<strong>in</strong>usbaums. Sie hatte<br />
ke<strong>in</strong>erlei Er<strong>in</strong>nerungen. Sie befand sich mit dem<br />
Riz<strong>in</strong>us und dem Kratzen <strong>der</strong> Schnur an ihrem Hals<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em leeren Raum.<br />
Der Bus, <strong>auf</strong> den er wartete, kam nicht.<br />
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