netzwerke in der demokratie diewelt auf französisch ... - Die Gazette

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China? So wie die Chinesen alles essen, sind sie alles
zu tun bereit, was ihnen gerade nützt. Auch, alles zu
glauben. Nein, fuhr er fort, es gibt nur zwei Mächte,
die den USA entgegentreten müssen, weil ihre
eigenen Werte es verlangen, die islamischen Völker –
und Europa.
Das Gespräch wurde in einem der kleinen
Restaurants am Rande des Campus fortgesetzt,
einem Thai-Restaurant. Das Lokal war voll, die
Tische standen dicht bei dicht.
Ich hatte die Taschenbuchausgabe des Koran
mitgenommen und zitierte die Stelle aus dem Vers
157 der Sure 7, wo es heißt: Ich treffe mit meiner
Strafe, wen ich will; doch meine Barmherzigkeit
umfaßt jedes Ding (...) Eine sonderbare Situation.
Wir saßen zwischen Menschen aus aller Herren
Länder, aus allen Klimazonen dieser Erde, zwischen
Schwarzen, Weißen, Braunen, Gelben, und
diskutierten das Schicksal der Ungläubigen im
Sinne des Islam. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß
all die, die hier zusammenkommen waren in der
Liberalität des größten Einwandererlandes der Welt,
durch die Grenzen, die eine Religion zog, zerfallen
sollten in Gläubige und Ungläubige, in Errettete und
Verdammte. Nein, ich brauchte mich nur
umzusehen, um in der Barmherzigkeit die höchste
aller göttlichen Möglichkeiten zu erkennen. Said
wollte davon nichts wissen. Er war eben darauf, auf
Unterschied und Trennung eingestellt, auf Strafe, wo
sie der Gerechtigkeit nach fällig war, ja auf Rache für
all das Unrecht, das die Ungläubigen den Gläubigen
seit so vielen Jahrhunderten zugefügt hatten.
Wo er die Nacht verbrachte, weiß ich nicht. Er sagte
etwas von Freunden in der Nähe. Daß er auch hier
Verwandte, Bekannte, Freunde hatte, glaubte ich
ohne weiteres. Es kam mir ohnehin so vor, als sei er,
wo immer er geht und steht, Teil eines Gefüges, das
sich mit ihm verschiebt, sich verdichtet und wieder
lockert, aber ihn niemals freigibt.
Am nächsten Tag, einem Montag, hatte ich zwei
Verabredungen, und wir sahen uns nicht. Der Dienstag
war der Tag seines Abflugs von New York. Wir
verabredeten, daß wir gemeinsam nach Manhattan
fahren wollten. Sein Flug ging gegen Abend. Schon
am Vormittag fuhren wir los, um etwaige
Verkehrsbehinderung noch ausgleichen zu können.
In der Nähe von Stony Brook überfuhr er, ohne es zu
bemerken, beim Abbiegen ein Rotlicht. Auch ich
hatte nicht aufgepaßt, aber ich hatte wenigstens
bemerkt, was geschehen war. Deshalb erschrak ich
auch nicht weiter, als hinter uns ein Wagen mit
Blaulicht und Sirene auftauchte. Der Wagen
überholte uns, eine Kelle winkte uns an den Straßenrand.
Abu Said sagte etwas, in einer Sprache, die ich
nicht verstand, machte eine Handbewegung zu
meiner Seite herüber, auf das Handschuhfach, brach
aber ab und fuhr, indem er beschleunigte, weiter.
Bist du verrückt, brüllte ich. Du hast ein Rotlicht
überfahren. Hundert Dollar. Willst du dafür dein
Leben riskieren?
Er bremste scharf und hielt.
Ein einzelner Polizist, noch ganz jung.
Das Halten erst nach Verzögerung hatte ihn außer
Rand und Band gebracht. Mit gezogener Waffe kam
er auf uns zu.
Get out, get out of there , brüllte er, und wir mußten
uns, einer neben dem anderen, mit gespreizten
Beinen hinstellen, die Hände auf das Wagendach
gelegt.
Kein Wort, sagte ich zu Abu Said, laß mich das
machen.
Wir wurden nach Waffen abgetastet.
Als der Polizist etwas ruhiger wurde und im
Schreien eine Pause machte, kam ich endlich zu
Worte:
Sorry, Sir. Very sorry for what happened.
Und bei nächster Gelegenheit:
The two of us were so busy talking, that he just
overlooked the traffic light.
Und wieder etwas später.
He’s my student, you know, it’s my fault too, you
know.
Das Wort student ließ ihn stutzen.
Er ließ sich die Ausweise zeigen. Ich gab ihm meine
Identitätskarte, die mich als member of the staff an
der und der Universität auswies, Abu Said
präsentierte einen englischen Paß und einen noch
ganz frischen amerikanischen Führerschein.
Die Szene änderte sich.
Der Polizist wollte wissen, was ich lehre und was er
bei mir lerne. Das Wort Literatur war es, was ihn
endgültig von unserer Harmlosigkeit überzeugte. Er
erklärte seine Heftigkeit, die Dramatik seines
Eingreifens damit, daß er Schaden hatte abwenden
müssen, nicht nur von anderen
Verkehrsteilnehmern, auch von uns selbst. Er
verzichtete auf die Geldstrafe und beließ es bei einer
Verwarnung. Begründung: Er betrachte es als eine
amerikanische Tugend (a true American virtue), mit
Fremden im Lande respektvoll umzugehen.
Der nächste Teil unserer Fahrt nach New York
verlief schweigend. Als wir uns dem Lincoln-Tunnel
näherten, bat Abu Said mich, das Handschuhfach zu
öffnen.
Obenauf lag ein Revolver.
Für den Fall der Fälle, sagte er, ohne zu mir herüberzusehen.
Und natürlich nur für die Zeit in den USA.
Gewalt zur Abwehr von Gewalt. Ehe ich das Land
verlasse, fliegt das Ding zum Fenster hinaus.
(...)
Was B. dann noch erzählte, war das, was sie von
Nouri nach deren Ankunft hier, also vor wenigen
Tagen erst, gehört hatte. Sie sprach jetzt so, wie sie
Nouri hatte sprechen hören, und es kam mir vor, als
höre ich Nouri selbst. Zugleich war es so, als habe B.
das, was sie erzählte, selbst erlebt.
Gleich nach der Ankunft in Palästina hatte Hassan
sich einer radikalen Gruppe angeschlossen,
eingeschworen auf den bewaffneten Kampf gegen
Israel. Raketenüberfälle, Attentate mit Autobomben,
Attentate mit dem Sprengsatz um den Leib. Wie sie
ihn kannte, kam für ihn nur das Konsequenteste, das
Radikalste in Frage. Da er von außerhalb gekommen