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netzwerke in der demokratie diewelt auf französisch ... - Die Gazette

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<strong>Die</strong> Furcht Europas vor dem zunächst e<strong>in</strong>mal ganz<br />

Fremden, das es nicht beherrschen kann, geht ja m<strong>in</strong>destens<br />

<strong>auf</strong> den Beg<strong>in</strong>n des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts zurück,<br />

die „gelbe Gefahr“ zum Beispiel. Es ist das Gefühl,<br />

dass <strong>der</strong> europäische Alle<strong>in</strong>herrschaftsanspruch, wie<br />

er sich im Kolonialismus und <strong>in</strong> den Missionsbewegungen<br />

äußerte, von an<strong>der</strong>en Kulturen zum<strong>in</strong>dest<br />

nicht übernommen, son<strong>der</strong>n deutlich <strong>in</strong>fragegestellt<br />

wird. Der große Selbstzweifel Europas beg<strong>in</strong>nt mit<br />

dem Ersten Weltkrieg, mit dem Zusammenbruch <strong>der</strong><br />

europäischen Kultur; danach sucht dieser Kont<strong>in</strong>ent<br />

se<strong>in</strong> Heil <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ferne, ex oriente lux, speziell während<br />

<strong>der</strong> zwanziger Jahren <strong>in</strong> Deutschland. Hier hofft man<br />

zwar, durch neue Impulse irgendwie weiterzukommen,<br />

aber gleichzeitig empf<strong>in</strong>det man die Gefahr <strong>der</strong><br />

Überfremdung durch an<strong>der</strong>e Kulturen. <strong>Die</strong> Kirchen<br />

spielten dabei e<strong>in</strong>e Rolle, <strong>in</strong>dem sie das Stich- und<br />

Schlagwort „Synkretismus“ politisierten: Alles, was<br />

die eigene Identität überfremden kann o<strong>der</strong> gefährdet,<br />

ist „synkretistisch“ und muss abgewehrt werden.<br />

Das ist kulturgeschichtlich uns<strong>in</strong>nig, da jede Kultur<br />

e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger Synkretismus ist. Durch die Migrationsbewegungen<br />

kommt diese Furcht noch stärker zum<br />

Zug. Europa war bisher an den Außengrenzen mit<br />

dem Islam befasst, es hat die Traumata von Konstant<strong>in</strong>opel<br />

und Wien zwar ver<strong>in</strong>nerlicht, aber auch <strong>in</strong>nerlich<br />

abgewehrt. Aber jetzt s<strong>in</strong>d die Muslime plötzlich<br />

bei uns im Lande, und zwar sichtbar, nicht mehr nur<br />

als M<strong>in</strong><strong>der</strong>heit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Unterschicht, son<strong>der</strong>n als <strong>auf</strong>strebende<br />

Mittelschicht mit eigenen Ansprüchen.<br />

Das ist es, was Angst macht. Wir sehen e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e<br />

Lebensform, und es ist ke<strong>in</strong> Zufall, dass es gerade im<br />

Intimbereich, also bei <strong>der</strong> Stellung <strong>der</strong> Frau und <strong>der</strong><br />

Rolle <strong>der</strong> Sexualität, entsprechende Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen<br />

gibt, bis h<strong>in</strong> zur Bekleidung (im Kopftuch-<br />

Streit); das s<strong>in</strong>d die Chiffren, <strong>in</strong> denen sich die diffuse<br />

Angst Symbole sucht, an denen sie sich kristallisieren<br />

kann.<br />

An<strong>der</strong>erseits haben wir aber, wenn auch weniger zahlreich,<br />

Menschen aus m<strong>in</strong>destens ebenso fremden Kulturen,<br />

die bei uns leben, etwa In<strong>der</strong>, die sich auch <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Kleidung deutlich von an<strong>der</strong>en unterscheiden. Aber vor<br />

diesen Menschen sche<strong>in</strong>en wir nicht so viel Angst zu<br />

haben wie vor vielen Muslimen.<br />

Ich sehe drei Gründe dafür. Erstens s<strong>in</strong>d diese an<strong>der</strong>en<br />

Fremden viel weniger zahlreich, wenigstens <strong>in</strong><br />

Deutschland (Großbritannien ist da sicher e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er<br />

Fall). Zweitens stellen beispielsweise <strong>in</strong>dische o<strong>der</strong><br />

auch buddhistische Gruppen hier ke<strong>in</strong>e politischen<br />

For<strong>der</strong>ungen im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung e<strong>in</strong>es an<strong>der</strong>en<br />

Rechtssystems. Drittens, und das sche<strong>in</strong>t mir wichtig<br />

zu se<strong>in</strong>, ist „<strong>der</strong> Islam“ negativ besetzt als die Alternative<br />

zum Christentum, das heißt als <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> <strong>in</strong> den<br />

abrahamischen Religionen, <strong>der</strong> aber Europa fe<strong>in</strong>dlich<br />

nahesteht. <strong>Die</strong> asiatischen Kulturen s<strong>in</strong>d weit weg, mit<br />

ihnen hatten wir (vom Kolonialismus e<strong>in</strong>mal abgesehen)<br />

ke<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Geschichte. Gerade die<br />

geme<strong>in</strong>same Geschichte, e<strong>in</strong>e Geschichte <strong>der</strong> wohlgemerkt<br />

gegenseitigen Gewalt, belastet hier das Verhältnis<br />

und för<strong>der</strong>t Fe<strong>in</strong>dbil<strong>der</strong> <strong>auf</strong> Grund kollektiver<br />

Traumata.<br />

Ist das geme<strong>in</strong>same Reflektieren o<strong>der</strong> sogar Aufschreiben<br />

<strong>der</strong> geme<strong>in</strong>samen Geschichte heute nicht auch e<strong>in</strong> Verfahren,<br />

um aus den Antagonismen dieser Geschichte<br />

herauszukommen?<br />

Richtig. Das ist e<strong>in</strong>e ungeheure Aufgabe und e<strong>in</strong><br />

gewaltiger, wenn auch mühsamer Bildungsprozess. Es<br />

ist genau die Aufgabe <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Europäischen<br />

Union, <strong>der</strong> europäischen Integration, nicht lediglich <strong>in</strong><br />

Abgrenzung konstituierte Nationalgeschichten zu<br />

schreiben und zu tradieren, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same<br />

europäische Geschichte. Wie schwer das ist, wissen wir.<br />

Es gel<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong> wenig <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kunstgeschichte, weil es<br />

dort die Transparenz auch über Grenzen und Konflikte<br />

h<strong>in</strong>weg immer schon gab; es gel<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong> wenig <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Wirtschaftsgeschichte, weil zum Beispiel so große Vorbil<strong>der</strong><br />

wie Venedig tausend Jahre lang e<strong>in</strong> Netz von<br />

Beziehungen über politische o<strong>der</strong> auch religiöse Antagonismen<br />

h<strong>in</strong>weg <strong>auf</strong>rechterhalten konnten. Aber es<br />

gel<strong>in</strong>gt nur schwer <strong>in</strong> <strong>der</strong> Konfessionsgeschichte, hier<br />

stagniert das Gespräch <strong>der</strong>zeit, weil Identitätsfragen<br />

berührt s<strong>in</strong>d; und es ist noch erheblich schwieriger <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> politischen Geschichte. Aber genau hier liegt<br />

unsere Aufgabe, da stimme ich mit Ihnen übere<strong>in</strong>. Es<br />

ist e<strong>in</strong>e große Bildungs<strong>auf</strong>gabe, <strong>der</strong> wesentliche Punkt,<br />

an dem wir <strong>in</strong> Europa vorankommen müssen, um<br />

überhaupt fähig zu werden, uns e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Verfassung<br />

zu geben.<br />

Das Gleiche ist nicht nur denkbar, son<strong>der</strong>n irgendwann<br />

notwendig im H<strong>in</strong>blick <strong>auf</strong> den Mittelmeerraum.<br />

Und dazu gehört <strong>der</strong> Islam. Natürlich ist Europa<br />

nicht denkbar ohne den Islam. Nicht weil wir e<strong>in</strong>iges<br />

von ihm übernommen haben, das ist schön und gut,<br />

aber vor allem ist <strong>der</strong> Islam ständiger Teil <strong>der</strong> europäischen<br />

Kultur.<br />

Man hört im Westen manchmal die Feststellung: Ich<br />

brauche ke<strong>in</strong>en <strong>in</strong>terreligiösen Dialog, nur die Gesetze<br />

und me<strong>in</strong>e Freiheit. Das kl<strong>in</strong>gt schlank und schlüssig.<br />

Wozu brauchen wir also eigentlich diesen Dialog?<br />

Das ist e<strong>in</strong>e wenig s<strong>in</strong>nvolle Alternative. Denn<br />

Gesetze und Freiheit s<strong>in</strong>d <strong>der</strong> Ausdruck e<strong>in</strong>es kollektiven<br />

Bewusstse<strong>in</strong>s des Gesellschaft, aber dieses Bewusstse<strong>in</strong><br />

än<strong>der</strong>t sich ja dauernd angesichts verän<strong>der</strong>ter –<br />

biologischer und kultureller – Umweltbed<strong>in</strong>gungen.<br />

Zu diesen Bed<strong>in</strong>gungen gehört die Durchdr<strong>in</strong>gung<br />

unterschiedlicher religiöser Ansprüche. Der <strong>in</strong>terreligiöse<br />

Dialog ist uns also <strong>auf</strong>gezwungen, ob wir ihn wollen<br />

o<strong>der</strong> nicht.<br />

Das Gegenbild dazu ist aber auch oft das alltägliche<br />

Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong>auskommen, das sich im praktischen Vollzug,<br />

im Aushandeln von Rechten und For<strong>der</strong>ungen, von<br />

selbst regelt. Wozu brauche ich dann noch den Dialog<br />

zwischen sozusagen scholastischen Fachleuten?<br />

Weil Konflikte <strong>auf</strong>treten und ich den H<strong>in</strong>tergrund<br />

<strong>der</strong> Konflikte kennen muss, um die Denkweise und<br />

auch die Verfahrensweise des An<strong>der</strong>en verstehen zu<br />

können, damit ich überhaupt dar<strong>auf</strong> reagieren kann.<br />

<strong>Die</strong> Fragen stellte Fritz R. Glunk.

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