netzwerke in der demokratie diewelt auf französisch ... - Die Gazette
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Vor knapp hun<strong>der</strong>t Jahren, 1912/1913,<br />
veröffentlichte Freud se<strong>in</strong>e erste kulturtheoretische<br />
Abhandlung: Totem und Tabu. In den Jahren dar<strong>auf</strong><br />
folgten zahlreiche weitere Arbeiten, <strong>in</strong> denen er sich<br />
mit zentralen gesellschaftlichen Problemen ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzte.<br />
Manche dieser Arbeiten werden auch<br />
von Freuds Gegnern als „genial“ bezeichnet, aber sie<br />
s<strong>in</strong>d nach wie vor nicht unumstritten. So kann man<br />
die Frage stellen: S<strong>in</strong>d Freuds kulturanalytische E<strong>in</strong>sichten<br />
heute noch gültig, leisten sie e<strong>in</strong>en Beitrag<br />
für die Analyse des beunruhigenden Konfliktes, den<br />
wir mit Hunt<strong>in</strong>gton als clash of civilisations bezeichnen<br />
können? Eignen sich Freuds kulturtheoretische<br />
Gedanken dazu, diesen Konflikt genauer zu verstehen?<br />
Freud leitete se<strong>in</strong>e Kulturtheorie aus den empirisch<br />
gewonnenen Beobachtungen vom menschlichen<br />
E<strong>in</strong>zelschicksal se<strong>in</strong>er Patienten sowie <strong>der</strong> ihn umgebenden<br />
Gesellschaft ab. Se<strong>in</strong>er Auffassung nach enthielt<br />
das menschliche Unbewusste die Repräsentanz<br />
sowohl des Trieblebens als auch die vererbte Geschichte<br />
des Menschengeschlechtes. In diesem als<br />
zeitlos, geschichtslos und von ke<strong>in</strong>erlei Moral getrübt<br />
gedachten Unbewussten sieht es nicht gut aus:<br />
Mordlust und archaisches Erbe drängen triebhaft<br />
ans Tageslicht, wenn sich e<strong>in</strong> geeigneter Anlass bietet<br />
und Kultur<strong>in</strong>stitutionen nicht zur Verfügung<br />
stehen, um diese Triebe <strong>in</strong> Schach zu halten. Erst seit<br />
dem Fall <strong>der</strong> Mauer, seit dem Ende des Kommunismus<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Sowjetunion und im Prozess des zunehmenden<br />
Verständnisses des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts, <strong>in</strong>nerhalb<br />
dessen e<strong>in</strong> weiteres Mal drastisch offenbar<br />
wurde, zu welch grauenerregenden Mordtaten und<br />
Verbrechen Menschen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage s<strong>in</strong>d, kann <strong>der</strong><br />
skeptischen Kulturtheorie Freuds Gerechtigkeit<br />
wi<strong>der</strong>fahren: „Wir s<strong>in</strong>d nicht Herr im eigenen<br />
Haus“, sagte Freud im H<strong>in</strong>blick <strong>auf</strong> die zuweilen<br />
überhandnehmende Herrschaft des Unbewussten<br />
über das Bewusste.<br />
Dass wir oft nicht „Herr im eigenen Haus“ s<strong>in</strong>d,<br />
zeigt sich nicht nur an <strong>in</strong>dividuellen Neurosen, son<strong>der</strong>n<br />
auch an den sich triebhaft durchsetzenden,<br />
gewalttätigen gesellschaftlichen Konflikten, die das<br />
gesamte 20. Jahrhun<strong>der</strong>t durchzogen haben und<br />
sich ebenso zu Beg<strong>in</strong>n des neuen Jahrtausends zeigen,<br />
wenn auch <strong>in</strong> neuem Gewand: dem des religiösen<br />
Fundamentalismus.<br />
E<strong>in</strong> kulturpsychoanalytischer Versuch<br />
Der Islam und <strong>der</strong> Westen<br />
Lässt sich e<strong>in</strong> psychoanalytischer Begriff wie „narzisstische Kränkung“ vom Individualfall und sozusagen von Wien aus <strong>auf</strong> große<br />
Gruppen von Menschen, gar <strong>auf</strong> e<strong>in</strong>en ganzen an<strong>der</strong>en Kulturkreis übertragen und damit das Phänomen „Terrorismus“ erklären?<br />
Von Siegl<strong>in</strong>de Eva Tömmel<br />
Obwohl schon 1983 <strong>in</strong> Beirut <strong>der</strong> erste islamistische<br />
Angriff <strong>auf</strong> amerikanische Militärs stattgefunden<br />
hat, bedeutete für viele Menschen <strong>der</strong> westlichen<br />
Zivilisation erst <strong>der</strong> 11. September e<strong>in</strong><br />
plötzliches erschrecktes Aufwachen aus e<strong>in</strong>em langen<br />
Traum von e<strong>in</strong>er zunehmend liberaler, demokratischer<br />
und friedlieben<strong>der</strong> werdenden Welt. Der<br />
dschihadistische Angriff <strong>auf</strong> das World Trade Center<br />
<strong>in</strong> New York und das Pentagon war Programm für<br />
die Zukunft und Symbol zugleich: Der Westen<br />
sollte an se<strong>in</strong>er empf<strong>in</strong>dlichsten Stelle getroffen werden,<br />
und er sollte spüren, sehen und hören, dass <strong>der</strong><br />
Islamismus, <strong>der</strong> von politischen Beobachtern lange<br />
Zeit als eher von <strong>in</strong>neren Konflikten zerrissen wahrgenommen<br />
wurde, sich nunmehr aggressiv nach<br />
außen wandte und sich nicht dem Vorbild des<br />
Westens mit se<strong>in</strong>en liberalen Kultur- und Wertvorstellungen<br />
beugen werde.<br />
<strong>Die</strong>ser Angriff war <strong>der</strong> Anfang e<strong>in</strong>er Kette<br />
von verheerenden Anschlägen: Madrid, London,<br />
Indonesien, Bagdad täglich; im letzten Moment vereitelte<br />
Anschläge <strong>in</strong> London und neuerd<strong>in</strong>gs auch <strong>in</strong><br />
ruhigen Vorortzügen Deutschlands: Weltweit muss<br />
sich die Menschheit mit <strong>der</strong> Tatsache „neuer Kriege“<br />
(Herfried Münkler) ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzen.<br />
Dass es sich bei den Anschlägen nicht um die Taten<br />
e<strong>in</strong>zelner Fanatiker handelt, son<strong>der</strong>n dass die Wut<br />
und <strong>der</strong> Hass die Normalbevölkerung <strong>der</strong> Gesellschaften<br />
vieler muslimischer Län<strong>der</strong> umfasst, konnten<br />
westliche Bürger kürzlich im sogenannten Karikaturenstreit<br />
erleben.<br />
Kaum hatte sich die Lage etwas beruhigt, bot <strong>der</strong><br />
während se<strong>in</strong>es Deutschlandbesuches gehaltene<br />
Regensburger Universitätsvortrag Papst Benedikts<br />
XVI. e<strong>in</strong>en neuen Anlass, Muslime mit <strong>der</strong> nun<br />
schon bekannten Empörung <strong>auf</strong> die Straße zu treiben<br />
und gegen die angebliche „Beleidigung des<br />
gesamten Islam“ zu protestieren.<br />
Indessen g<strong>in</strong>g es Benedikt XVI. <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Vortrag<br />
e<strong>in</strong>deutig um die Bestimmung des Verhältnisses von<br />
Glauben und Vernunft, d.h. um die im Christentum<br />
<strong>in</strong>zwischen selbstverständliche Argumentation,<br />
dass vernünftiges Handeln e<strong>in</strong>e Analogie zum<br />
Wesen Gottes darstelle. Damit erteilte er freilich<br />
e<strong>in</strong>er Verbreitung des Glaubens mit den Mitteln <strong>der</strong><br />
Gewalt e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutige Absage. <strong>Die</strong> empörten Reak-