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netzwerke in der demokratie diewelt auf französisch ... - Die Gazette

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sie bald wi<strong>der</strong>legen wird, wird <strong>der</strong> Sache, um <strong>der</strong>entwillen<br />

man gelogen hat, schaden, sie gilt <strong>in</strong>folgedessen<br />

auch politisch als verwerflich.<br />

Es kommt schließlich <strong>auf</strong> folgendes h<strong>in</strong>aus: <strong>Die</strong><br />

Wissenschaft – und da möchte ich an das anknüpfen,<br />

was Frau Arendt gesagt hat – die Wissenschaft<br />

ist um <strong>der</strong> Erforschung <strong>der</strong> Wahrheit willen da.<br />

Soweit sie überhaupt e<strong>in</strong>en Zweck hat, ist das ihr<br />

e<strong>in</strong>ziger Zweck. <strong>Die</strong> Politik ist aber nicht um <strong>der</strong><br />

Erforschung <strong>der</strong> Wahrheit willen da, son<strong>der</strong>n sie<br />

verfolgt ganz bestimmte Zwecke: die Bewahrung<br />

e<strong>in</strong>es Landes, die Steigerung se<strong>in</strong>er Macht, die<br />

Durchsetzung e<strong>in</strong>er Partei, den Sturz e<strong>in</strong>er Regierung<br />

und ihre Ersetzung durch e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e. Was diesen<br />

Zwecken dient – wenn es ihnen wirklich dient<br />

und ihnen nicht selbst schadet –, muß wohl bis zu<br />

e<strong>in</strong>em gewissen Grade als zulässig angesehen werden,<br />

auch wenn es moralisch zweifelhaft ist.<br />

Arendt: Natürlich, daß Lüge, daß Wahrheit und<br />

Politik nicht <strong>auf</strong> sehr gutem Fuße mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> stehen,<br />

ist eigentlich e<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>senwahrheit und zu allen<br />

Zeiten wahr gewesen. <strong>Die</strong> Frage ist nur: Was ist das<br />

Ziel? Roosevelt hat nicht eigentlich gelogen. Wenn es<br />

um Leben o<strong>der</strong> Tod geht, wie es manchmal <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Politik geht, dann ist es immer e<strong>in</strong>e Frage, ob die<br />

Lüge nicht vielleicht legitim ist. Aber was die Lüge<br />

hier legitimiert, ist wirklich nur das Äußerste. Das<br />

Lügen, das wir <strong>in</strong> unserem Jahrhun<strong>der</strong>t kennengelernt<br />

haben, ist von e<strong>in</strong>er ganz an<strong>der</strong>en Art und e<strong>in</strong>er<br />

ganz an<strong>der</strong>en Qualität. <strong>Die</strong> Lüge von Hitler <strong>in</strong> Bezug<br />

<strong>auf</strong> das Sudetenland war gewissermaßen die harmloseste.<br />

Sie bes<strong>in</strong>nen sich vielleicht dar<strong>auf</strong>, daß über die<br />

sogenannte Endlösung selbst <strong>in</strong> den obersten Rängen<br />

nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er vorgeschriebenen Sprache voller<br />

Euphemismen gesprochen werden durfte. Hitler selber,<br />

dem man e<strong>in</strong>mal zu bedenken gab, was denn die<br />

Welt sagen wird, wenn es herauskommt, daß Millionen<br />

Menschen umgebracht wurden, erklärte: Ach,<br />

das ist gar nicht so schlimm, sie wird es nicht glauben.<br />

Das ist absolut wahr gewesen, man hat es nicht<br />

geglaubt. <strong>Die</strong> Opfer haben es nicht geglaubt, aber<br />

auch die Welt hat es nicht geglaubt.<br />

<strong>Die</strong> Lügen, von denen hier Herr Haffner sprach,<br />

s<strong>in</strong>d ja ganz und gar gezielte Lügen. Das heißt, vor<br />

dem Fe<strong>in</strong>d müssen gewisse D<strong>in</strong>ge geheimgehalten<br />

werden. <strong>Die</strong> Lügen, mit denen wir es zu tun haben,<br />

die betreffen jeden. In diesem Augenblick wird Lügen<br />

wirklich zum Pr<strong>in</strong>zip erhoben. Das hatten wir <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er ganz grotesken Weise unter Stal<strong>in</strong>, <strong>der</strong> sich<br />

bemühte, die Geschichte <strong>der</strong> Revolution ständig<br />

umzuschreiben, und dabei bestimmte Personen o<strong>der</strong><br />

bestimmte Ereignisse jedes Mal <strong>in</strong> Vergessenheit<br />

geraten ließ, d.h. e<strong>in</strong>fach weglog: Trotzki gab es<br />

nicht, die Rote Armee sozusagen auch nicht, die<br />

Konzentrationslager schon gar nicht. Wer immer<br />

darüber sprach, riskierte se<strong>in</strong> Leben. Wo Lügen dieser<br />

Art <strong>auf</strong>treten, daß schließlich je<strong>der</strong>mann gezwungen<br />

wird zu lügen, da wird die Lüge zum Pr<strong>in</strong>zip.<br />

Im Gegensatz dazu ist Lügen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Politik – auch<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Politik <strong>der</strong> Staatsraison – <strong>auf</strong> ke<strong>in</strong>en Fall e<strong>in</strong>e<br />

Lüge aus Pr<strong>in</strong>zip. Hier haben wir es mit e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en<br />

Gruppe von Leuten zu tun, von Staatsmännern,<br />

Diplomaten, Politikern, zu <strong>der</strong>en Beruf es gehört,<br />

bestimmte Geheimnisse abzuschirmen, und die <strong>in</strong><br />

dieser H<strong>in</strong>sicht lügen. Das wissen alle. <strong>Die</strong>jenigen,<br />

die daran beteiligt s<strong>in</strong>d, wissen, daß jener Diskont<br />

von <strong>der</strong> Wahrheit <strong>in</strong> jedem Fall gemacht werden<br />

muß. <strong>Die</strong>se kle<strong>in</strong>e Gruppe von Menschen gerät niemals<br />

<strong>in</strong> Gefahr, sich selbst zu belügen. Es gibt e<strong>in</strong>e<br />

berühmte Stelle <strong>in</strong> den „Brü<strong>der</strong>n Karamasow“ von<br />

Dostojewski, wo Dimitri, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Karamasow-Bru<strong>der</strong>,<br />

<strong>der</strong> e<strong>in</strong> berühmter Lügner war, zu dem Starez<br />

kommt und ihn fragt: Was muß ich tun, um das<br />

ewige Leben zu erhalten? Und <strong>der</strong> Starez, <strong>der</strong> wußte,<br />

daß er es mit e<strong>in</strong>em Lügner zu tun hat, sagte: „Belüge<br />

dich niemals selbst.“<br />

Sehen Sie, <strong>in</strong> all diesen Fällen hat die Wahrheit<br />

irgendwo noch e<strong>in</strong> letztes Refugium, weil die, die<br />

lügen, zwischen Lüge und Wahrheit klar zu unterscheiden<br />

vermögen und genau wissen: Hier habe ich<br />

gelogen. <strong>Die</strong>ses Lügen kann dann auch <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>em<br />

S<strong>in</strong>ne wie<strong>der</strong> zurückgenommen und gutgemacht<br />

werden. Das an<strong>der</strong>e Lügen h<strong>in</strong>gegen nicht.<br />

Das an<strong>der</strong>e Lügen geht durch die gesamte Bevölkerung,<br />

die zwar weiß, daß es Konzentrationslager,<br />

daß es Vernichtungslager etc. gibt, <strong>der</strong> aber gleichzeitig<br />

bewußt ist, daß es lebensgefährlich ist, darüber<br />

zu sprechen. Überall dort, wo es Terror gibt, kann<br />

Lüge als allgeme<strong>in</strong>es Pr<strong>in</strong>zip erzwungen werden,<br />

woan<strong>der</strong>s nicht. Bei uns hat Herr Nixon versucht,<br />

mit Lügen alles Mögliche zu erreichen, aber er scheiterte,<br />

weil er über ke<strong>in</strong>e Terrorgruppe verfügte, die<br />

die Lüge hätte zum Pr<strong>in</strong>zip erzw<strong>in</strong>gen können. Das<br />

heißt: Er ist daran gescheitert, daß im allgeme<strong>in</strong>en <strong>in</strong><br />

Amerika nicht gelogen wird. In Amerika ist die Lüge<br />

e<strong>in</strong> sehr viel schwereres Delikt als <strong>in</strong> Europa. Das<br />

trifft auch für England zu, wie Sie aus me<strong>in</strong>er Profumo-Geschichte<br />

entnehmen können. Der Grund<br />

dafür liegt zum Teil im amerikanisch-englischen<br />

Gerichtsverfahren, wo man <strong>in</strong> eigener Sache aussagen<br />

kann, und zwar unter Eid, obwohl man dazu<br />

nicht gezwungen ist. Es gibt e<strong>in</strong>e Bestimmung, daß<br />

ke<strong>in</strong>er gezwungen werden kann, gegen sich selbst<br />

auszusagen. Aber das besagt nicht, daß er lügen darf.<br />

Daß <strong>der</strong> Me<strong>in</strong>eid <strong>in</strong> Amerika als e<strong>in</strong> unvergleichlich<br />

schwereres Delikt gewertet wird als <strong>in</strong> Europa, hängt<br />

damit zusammen, daß wir e<strong>in</strong>e Regierung haben,<br />

die, ob sie will o<strong>der</strong> nicht, an die Konstitution<br />

gebunden ist. D.h. die höchste Instanz wird nicht<br />

von Menschen, son<strong>der</strong>n durch das Gesetz selbst verkörpert<br />

– das ist e<strong>in</strong> sehr großer Unterschied.<br />

<strong>Die</strong> Tatsache, daß <strong>der</strong> Mensch lügen kann, besagt,<br />

daß er den Realitäten nicht absolut verhaftet ist.<br />

Natürlich neigen Politiker dazu zu lügen, und zwar<br />

schon deswegen, weil sie nicht damit beschäftigt<br />

s<strong>in</strong>d, die Welt zu <strong>in</strong>terpretieren, son<strong>der</strong>n wollen,<br />

daß man sich vorstellt, wie sie se<strong>in</strong> könnte. Und <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Tat könnte sie an<strong>der</strong>s se<strong>in</strong>, als sie wirklich ist.<br />

Das, was ist, braucht nicht unbed<strong>in</strong>gt anerkannt zu<br />

werden. <strong>Die</strong>se Tatsache, daß ich ja und ne<strong>in</strong> dazu<br />

sagen kann, eben wie <strong>der</strong> alte Cato – die besagte<br />

Sache gefiel dem Cato –, das gehört zu den Grundfreiheiten<br />

des Menschen – unabhängig von allen<br />

Staatsformen. (...)<br />

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