netzwerke in der demokratie diewelt auf französisch ... - Die Gazette
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STORY<br />
Woh<strong>in</strong> gehst du, Bru<strong>der</strong>?<br />
Der Ich-Erzähler, e<strong>in</strong> deutscher Universitätsprofessor, trifft<br />
<strong>in</strong> den USA e<strong>in</strong>en ehemaligen Studenten wie<strong>der</strong>. Zwei<br />
Ausschnitte aus dem noch unveröffentlichten Roman<br />
gleichen Titels.<br />
Abu Said war nicht mehr <strong>der</strong>selbe. <strong>Die</strong> – fast –<br />
unsichtbar gemachte Narbe war nur e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weis <strong>auf</strong><br />
an<strong>der</strong>e Verän<strong>der</strong>ungen. Offenbar g<strong>in</strong>g es ihm<br />
materiell gut. Er hatte sich neu e<strong>in</strong>gekleidet, unter<br />
dem schwarzen Flanellmantel trug er e<strong>in</strong>en<br />
schwarzen Anzug und e<strong>in</strong> schwarzes,<br />
hochgeschlossenes Hemd, ke<strong>in</strong>e Krawatte. Das<br />
Schwarz paßte gut zu ihm, se<strong>in</strong>em Ernst, se<strong>in</strong>er<br />
Unabhängigkeit, und gab ihm etwas Asketisch-<br />
Anarchisches. Er hatte sich e<strong>in</strong>en Mietwagen<br />
genommen, nicht gerade e<strong>in</strong>en <strong>der</strong> größten, aber<br />
e<strong>in</strong>en <strong>der</strong> hier mehr als komfortablen Mittelklasse.<br />
Von dem Bauernhof <strong>der</strong> Meister<strong>in</strong>, wo das raku-<br />
Fest stattgefunden hatte, fuhr er h<strong>in</strong>ter mir her zu<br />
me<strong>in</strong>em Haus im Campus. Während er den Wagen<br />
abstellte, fragte ich ihn, wie er mich denn gefunden<br />
habe.<br />
Er lachte.<br />
E<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es Lachen, als das mir vertraute, nicht<br />
mehr zurückgehalten und gepreßt, son<strong>der</strong>n grade<br />
heraus und mit e<strong>in</strong>em Nachhall, <strong>der</strong> mir übertrieben<br />
vorkam.<br />
Step by step, sagte er.<br />
Aus dem alten Europa bis hierher? Wieviele<br />
Schritte waren es denn?<br />
Er lachte noch e<strong>in</strong>mal, diesmal kürzer, und w<strong>in</strong>kte ab.<br />
We<strong>der</strong> habe er nachgezählt, noch sei das jetzt, wo er<br />
mich gefunden habe, von irgendwelcher Bedeutung.<br />
Es fiel mir schwer, mich damit abzuf<strong>in</strong>den, denn es<br />
hatte etwas Unwahrsche<strong>in</strong>liches. Der Datenschutz<br />
<strong>auf</strong> dem Campus war streng. Mir selbst war es nicht<br />
gelungen, auch nur die Telefonnummer o<strong>der</strong> die<br />
Adresse e<strong>in</strong>es Kollegen aus dem gleichen<br />
Department zu erfragen, <strong>der</strong> es vorgezogen hatte,<br />
eben das vor <strong>der</strong> Öffentlichkeit geheimzuhalten.<br />
Daß Abu Said mich tatsächlich gefunden hatte,<br />
konnte nur dadurch zustandegekommen se<strong>in</strong>, daß<br />
er über Netzwerke verfügte, die ich nicht kannte.<br />
Wor<strong>in</strong> bestanden sie? Während <strong>der</strong> nächsten<br />
Wochen ertappte ich mich immer wie<strong>der</strong> dabei, daß<br />
ich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bibliothek me<strong>in</strong>en Blick schweifen ließ –<br />
<strong>auf</strong> <strong>der</strong> Suche nach Gesichtern, die ich mit Abu Said<br />
<strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung br<strong>in</strong>gen konnte.<br />
Wir tranken Tee.<br />
Ich hatte zwei Becher ausgewählt, die ich selbst<br />
gemacht hatte, japanischen Tee-Bechern<br />
nachempfunden, wie sie bei <strong>der</strong> Teezeremonie<br />
verwendet werden.<br />
Von <strong>Die</strong>trich Krusche<br />
Er bemerkte sofort, daß sie sich von allem hier<br />
üblichen Geschirr unterschieden.<br />
Handwerk, sagte er, e<strong>in</strong> Trost <strong>in</strong> diesem Land.<br />
Dann zitierte er Bertolt Brecht, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e<br />
Niveareklame als das e<strong>in</strong>zige Kunstwerk bezeichnet<br />
hatte, das er <strong>in</strong> den USA gesehen habe.<br />
Ich war dr<strong>auf</strong> und dran, ihn nach se<strong>in</strong>er<br />
Doktorarbeit zu fragen – nicht, ob er noch daran<br />
arbeitete, son<strong>der</strong>n was er stattdessen jetzt tat.<br />
Als habe er me<strong>in</strong>e Gedanken erraten, lachte er <strong>auf</strong><br />
se<strong>in</strong>e neue, unbefangene und etwas ausfahrende<br />
Weise.<br />
Wie Sie sehen, sagte er, b<strong>in</strong> ich e<strong>in</strong> Versager.<br />
Versager <strong>in</strong> allem, was Berufsausbildung angeht. Als<br />
Filmemacher habe er sich versucht, zwischendurch<br />
e<strong>in</strong>mal als Bäcker, dann sogar als Wissenschaftler.<br />
Se<strong>in</strong> ehemaliger Lehrer tue ihm jetzt noch leid.<br />
Übrigens sei er auch als Pilot gescheitert. Zum<br />
zweiten Mal schon. Das erstemal, als er noch ganz<br />
jung war, bei <strong>der</strong> pakistanischen Luftwaffe,<br />
neuerd<strong>in</strong>gs hier. Nicht tauglich. Schon bei den<br />
körperlichen Tests, Gleichgewichtss<strong>in</strong>n,<br />
Sehvermögen, Koord<strong>in</strong>ation <strong>der</strong> Bewegungen etc.<br />
Hier habe man ihn zu allem Überfluß auch noch als<br />
schwerhörig e<strong>in</strong>gestuft. Er sei schon froh, daß man<br />
ihn <strong>in</strong> diesem Lande wenigstens Auto fahren lasse.<br />
Das mit <strong>der</strong> Pilotenausbildung hielt ich für<br />
Phantasie. Das pauschale Herumnörgeln an den<br />
Vere<strong>in</strong>igten Staaten wurde mir denn doch zu viel.<br />
Warum bist du dann überhaupt hergekommen,<br />
wenn dir alles hier nicht paßt?<br />
Er warf mir e<strong>in</strong>en Blick zu, <strong>in</strong> dem Überraschung<br />
und Triumph lagen. Ich hatte du gesagt, und er<br />
zögerte ke<strong>in</strong>en Augenblick, dar<strong>auf</strong> e<strong>in</strong>zugehen.<br />
Das kann ich dir sagen. Bei uns zu Hause gibt es das<br />
Sprichwort: Was du nicht von de<strong>in</strong>en Lehrern lernst,<br />
lernst du von de<strong>in</strong>en Fe<strong>in</strong>den.<br />
Gleich dar<strong>auf</strong> sprach er von e<strong>in</strong>er Mission, e<strong>in</strong>er,<br />
die wir beide geme<strong>in</strong>sam hätten.<br />
Ich verstehe nicht.<br />
Er sah mich prüfend und zugleich überlegen an.<br />
E<strong>in</strong>e Selbstgewißheit g<strong>in</strong>g von ihm aus, die an<br />
Überheblichkeit grenzte.<br />
Man spricht heutzutage viel von Ch<strong>in</strong>a und<br />
Indien. <strong>Die</strong> beiden Mächte, denen angeblich die<br />
Zukunft gehört. Ihre E<strong>in</strong>wohnerzahlen, ihr<br />
wirtschaftliches Wachstum. Aber das bedeutet gar<br />
nichts. Sie werden niemals ernstzunehmende<br />
Gegenspieler <strong>der</strong> USA se<strong>in</strong>. Konkurrenten<br />
vielleicht, aber nicht Fe<strong>in</strong>de. Warum nicht? Weil sie<br />
nicht wirklich herausgefor<strong>der</strong>t s<strong>in</strong>d. Indien <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />
Götter-Seligkeit ist ohneh<strong>in</strong> nicht herauszufor<strong>der</strong>n,<br />
außer durch den fe<strong>in</strong>dlichen Bru<strong>der</strong>, Pakistan.<br />
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