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netzwerke in der demokratie diewelt auf französisch ... - Die Gazette

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Der Spiegel-Redakteur Gabor Ste<strong>in</strong>gart<br />

ist, um es <strong>in</strong> Anlehnung an e<strong>in</strong>en Schlager<br />

von Marlene <strong>Die</strong>trich zu sagen, von<br />

Kopf bis Fuß <strong>auf</strong> Panikmache und Untergangsbeschwörung<br />

e<strong>in</strong>gestellt. Das<br />

ist das Rezept jener Art von sogenannten<br />

Sachbüchern, die sich – wie die Elaborate<br />

des FAZ-Herausgebers Frank<br />

Schirrmacher – aus <strong>der</strong> Ane<strong>in</strong>an<strong>der</strong>reihung<br />

von Talk-Show-Gerede und<br />

Stammtischweisheiten zusammensetzen,<br />

garniert mit Lebkuchenversen und<br />

B<strong>in</strong>senwahrheiten. Intensives Market<strong>in</strong>g<br />

und Vorabdrucke <strong>in</strong> <strong>der</strong> Boulevardpresse<br />

garantieren den Verk<strong>auf</strong>serfolg.<br />

Im Falle von Ste<strong>in</strong>garts Buch handelt es<br />

sich nur um e<strong>in</strong>e zum Buch <strong>auf</strong>geblähte<br />

Version <strong>der</strong> Spiegel-Serie vom Frühsommer.<br />

Angeblich geht es um die Analyse <strong>der</strong><br />

Globalisierung – ihre Entstehung und<br />

ihre Folgen. Aber das ist nur <strong>der</strong> Aufhänger.<br />

Der analytische und empirisch<br />

belegte Gehalt <strong>der</strong> Serie wie des Buches<br />

ist verschw<strong>in</strong>dend ger<strong>in</strong>g gegenüber dem<br />

apokalyptisch beschwörenden und prognostischen<br />

Getöse. Ste<strong>in</strong>gart sieht unentwegt<br />

Nie<strong>der</strong>gänge, Abstiege, Abschiede<br />

o<strong>der</strong> Zeitwenden und begibt sich<br />

<strong>in</strong> praktisch jedem Kapitel <strong>in</strong> die dünne<br />

Luft re<strong>in</strong>er Spekulationen, die bis <strong>in</strong>s Jahr<br />

2035 o<strong>der</strong> gar 2050 reichen.<br />

Im Gegenzug zu diesen forschen Ausritten<br />

<strong>in</strong>s Bodenlose sieht Ste<strong>in</strong>gart gern<br />

und oft <strong>in</strong> „den Rückspiegel <strong>der</strong><br />

Geschichte“ und verkündet danach se<strong>in</strong>e<br />

104<br />

Globalisierungskritik<br />

Lebkuchenverse<br />

Lehren für die Gegenwart. E<strong>in</strong>e des Öfteren<br />

wie<strong>der</strong>kehrende Lehre läuft so: Es ist,<br />

so Ste<strong>in</strong>gart, e<strong>in</strong> „populärer Irrtum“ zu<br />

glauben, <strong>in</strong>tensive wirtschaftliche Beziehungen<br />

zwischen den Staaten würden<br />

diese friedlicher stimmen.<br />

Der „Historiker“ <strong>in</strong> ihm ahnt, dass wir<br />

immer <strong>auf</strong> e<strong>in</strong>em Vulkan leben und es<br />

nur e<strong>in</strong>e Frage <strong>der</strong> Zeit ist, bis wir wie<strong>der</strong><br />

bei e<strong>in</strong>em „Sarajewo“ ankommen, denn<br />

„das Virus e<strong>in</strong>es Weltkriegs“ ist immer<br />

aktiv. Der geniale E<strong>in</strong>fall bedarf <strong>der</strong><br />

Rückversicherung durch die souveräne<br />

Weisheit des Hahns <strong>auf</strong> dem Mist, <strong>der</strong><br />

immer schon wusste, dass sich das Wetter<br />

än<strong>der</strong>t o<strong>der</strong> bleibt, wie es ist: „<strong>Die</strong> Law<strong>in</strong>e<br />

kann sich morgen lösen, <strong>in</strong> e<strong>in</strong> paar<br />

Monaten o<strong>der</strong> auch erst <strong>in</strong> Jahren.“<br />

Ste<strong>in</strong>garts Beleg für se<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>sichten<br />

aus dem „Rückspiegel <strong>der</strong> Geschichte“ist<br />

dies: Japan griff am 7. Dezember 1941<br />

die US-Flotte <strong>in</strong> Pearl Harbour an. „Statt<br />

<strong>der</strong> bis dah<strong>in</strong> üblichen Öllieferungen<br />

schickten die USA per Luftfracht nun<br />

zwei Atombomben nach Japan.“ O<strong>der</strong><br />

auch: Deutschland, Korea und Jugoslawien<br />

wurden geteilt, „obwohl ihre Territorien<br />

durch Warenaustausch verknüpft<br />

und verknotet waren wie orientalische<br />

Teppiche“.<br />

Der Lebkuchenvers aus solchen „historischen“<br />

E<strong>in</strong>sichten lautet: „Lieferverträge<br />

s<strong>in</strong>d nun e<strong>in</strong>mal nicht viel wert,<br />

wenn die Panzer vorfahren.“ <strong>Die</strong> rund<br />

400 Jahre europäischer Kolonisation endeten<br />

nach dieser resolut schlichten<br />

Geschichtsphilosophie „am Ende doch<br />

nur wie<strong>der</strong>“ <strong>in</strong> „Krieg und Zerstörung“<br />

<strong>der</strong> beiden Weltkriege mit 75 Millionen<br />

Toten und dem vorübergehenden Aufstieg<br />

<strong>der</strong> USA zur „Weltmacht“. Aber<br />

Wash<strong>in</strong>gton empfiehlt er mit e<strong>in</strong>em Mal,<br />

die „Schlussbilanz“ <strong>auf</strong>zumachen zum<br />

„amerikanischen Jahrhun<strong>der</strong>t“.<br />

Denn jetzt kommen die Ch<strong>in</strong>esen und<br />

die an<strong>der</strong>en asiatischen „Angreiferstaaten“.<br />

<strong>Die</strong> USA gehören „im Weltkrieg<br />

um Wohlstand“ jetzt schon zu den Verlierern<br />

wie Europa und Russland – Afrika<br />

und Late<strong>in</strong>amerika existieren <strong>auf</strong> Ste<strong>in</strong>garts<br />

Landkarte nicht. <strong>Die</strong> „L<strong>auf</strong>richtung<br />

<strong>der</strong> Geschichte“ än<strong>der</strong>te sich mit<br />

<strong>der</strong> Industrialisierung Japans, Indiens<br />

und <strong>der</strong> Tigerstaaten sowie mit <strong>der</strong><br />

Mo<strong>der</strong>nisierung Ch<strong>in</strong>as unter Deng Xiaop<strong>in</strong>g<br />

nach 1976. <strong>Die</strong>se Staaten schlugen<br />

„die Abschiedsgesellschaften“ mit „<strong>der</strong>en<br />

eigenen Waffen“ – <strong>der</strong> ökonomischen<br />

Effizienz.<br />

Insbeson<strong>der</strong>e für Ch<strong>in</strong>a und Indien ist<br />

diese Effizienz sektoral nicht zu bestreiten.<br />

Auf die Gesamtwirtschaft bezogen<br />

ist sie bedeutungslos. <strong>Die</strong> nicht-<strong>in</strong>dustrialisierten<br />

Teile Ch<strong>in</strong>as und Indiens –<br />

also 80 Prozent des Landes – gehören zu<br />

den ärmsten Landstrichen <strong>der</strong> Welt. Das<br />

kann selbst Ste<strong>in</strong>gart nicht ganz übersehen.<br />

Der Relativierung solcher maßlosen<br />

Übertreibungen gelten zahlreiche Sätze,<br />

die stereotyp mit „noch“ beg<strong>in</strong>nen und<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel <strong>auf</strong> e<strong>in</strong>en Wi<strong>der</strong>ruf <strong>der</strong> eben<br />

<strong>auf</strong>gestellten großspurigen These h<strong>in</strong>ausl<strong>auf</strong>en.<br />

Im letzten Kapitel des Buches fragt<br />

Ste<strong>in</strong>gart nach „Strategien <strong>der</strong> Gegenwehr“<br />

für die eben für halb tot erklärten<br />

„erschöpften Kont<strong>in</strong>ente“ Europa und<br />

Nordamerika. <strong>Die</strong> Rezepte s<strong>in</strong>d nicht<br />

gerade neu. Er for<strong>der</strong>t e<strong>in</strong> „europäisches<br />

Wirtschaftskab<strong>in</strong>ett“ und längerfristig<br />

e<strong>in</strong>e Fusion von EU und USA, die allerd<strong>in</strong>gs<br />

<strong>auf</strong>rüsten müssten für den weltweiten<br />

„Handelskrieg“. Den versteht er als<br />

Fortschreibung <strong>der</strong> „Waffenbrü<strong>der</strong>schaft<br />

im Kalten Krieg“ als Allianz im „Weltwirtschaftskrieg“.<br />

Aus „wirtschaftspolitischen Pazifisten“,<br />

die den Freihandel predigten, sollen nun<br />

robuste Wohlstandskrieger werden, die<br />

mit „sanfter Abschottung“, Zöllen, E<strong>in</strong>fuhrquoten<br />

und ähnlichen Mitteln zum<br />

f<strong>in</strong>alen Halali blasen gegen die asiatischen<br />

„Angreiferstaaten“. Ganz so kriegerisch,<br />

wie es sich anhört, me<strong>in</strong>t es<br />

Ste<strong>in</strong>gart freilich nicht: „Das Drohen mit<br />

Quoten, Zöllen und E<strong>in</strong>fuhrverboten ist<br />

dabei wichtiger als <strong>der</strong> Vollzug.“ Statt<br />

strategischer Wirtschaftspolitik mit e<strong>in</strong>gebauten<br />

Mechanismen <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung<br />

und Hilfe für unterentwickelte Regionen<br />

möchte Ste<strong>in</strong>gart e<strong>in</strong>fach bei e<strong>in</strong>er an <strong>der</strong><br />

eigenen Wohlstandssicherung orientierten<br />

„Handelspolitik“ bleiben, die er als<br />

„Pokerspiel“ versteht. Sonntagabends <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Talkshow, montags im Spiegel, <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Boulevardpresse sowie am Tresen kommt<br />

<strong>der</strong>lei Euro-Chauv<strong>in</strong>ismus wohl gut an.<br />

Rudolf Walther<br />

Der Text ist die erweiterte Fassung <strong>der</strong><br />

Rezension, die am 11. Oktober <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Frankfurter Rundschau erschienen ist.

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