Neue Weltordnungen - Vom Kolonialismus bis zum Bic Mac.pdf
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mehr das Ausmaß wie in typischen amerikanischen Satellitenstaaten, wo westliche Anstandsnormen ja<br />
ohnehin nicht gelten.<br />
In einem Kommentar zur »samtenen Revolution« in der Tschechoslowakei bemerkte der<br />
guatemaltekische Journalist Julio Godoy, der sein Land ein Jahr zuvor hatte verlassen müssen,<br />
nachdem sein neueröffnetes Redaktionsbüro von Staatsterroristen in die Luft gesprengt worden war,<br />
daß die Osteuropäer »in gewisser Weise mehr Glück gehabt haben als die Mittelamerikaner«:<br />
»Die von Moskau eingesetzte Regierung in Prag hat die Reformer unterdrückt und<br />
erniedrigt, aber die von Washington eingesetzte Regierung in Guatemala hat sie getötet<br />
und tut es immer noch. Es läuft auf Genozid hinaus, der schon mehr als 150 000 Opfer<br />
gekostet hat... Amnesty International spricht von einem „Regierungsprogramm für<br />
politischen Mord"«.<br />
In den Satellitenstaaten der Sowjets, meint Godoy, waren die Armeen »unpolitisch und ihrer<br />
nationalen Regierung gehorsam«, während in den US-Satellitenstaaten »die Armee die <strong>Mac</strong>ht ist« und<br />
das tut, was ihr seit Jahrzehnten von der Vormacht beigebracht worden ist. »Man möchte fast glauben,<br />
daß einige Leute im Weißen Haus die Götter der Azteken verehren und ihnen das Blut der<br />
Mittelamerikaner <strong>zum</strong> Opfer darbringen.« 66<br />
Auch in der zweiten Phase des Kalten Kriegs bieten die sowjetischen Taten und Untaten kein<br />
zureichendes Motiv für die westliche Feindseligkeit. Wir müssen also nach anderen Gründen<br />
Ausschau halten.<br />
Wenden wir uns nun der amerikanischen Seite der Ereignisse zu. In der ersten Phase, die USA waren<br />
noch keine Weltmacht, reagierten sie auf die bolschwistische Revolution so, wie Gaddis es<br />
retrospektiv beschreibt. 67 »Das Haupthindernis« für die Anerkennung der UdSSR, meinte der Leiter<br />
der Osteuropa-Abteilung im Außenministerium, »sind die weltrevolutionären Ziele und Praktiken der<br />
Herrscher dort.« Zu diesen Praktiken gehörte natürlich nicht die Aggression im direkten Sinn, aber die<br />
sowjetische Politik kam den Plänen des Westens in die Quere, was einer Aggression schon fast<br />
gleichgesetzt werden kann. Die Regierung Wilson jedenfalls nahm die »Ziele und Praktiken« <strong>zum</strong><br />
Anlaß, eine große Kommunistenhatz, die »Red Scare«, zu inszenieren und dadurch demokratische<br />
Politik, Gewerkschaften, Pressefreiheit und unabhängiges Denken zu untergraben, <strong>Mac</strong>ht und Einfluß<br />
der privatwirtschaftlichen Interessen dagegen zu sichern. Nach dem Zweiten Weltkrieg spielte man<br />
diese Sache, ebenfalls unter dem Vorwand einer kommunistischen Verschwörung, mit McCarthy noch<br />
einmal durch. In beiden Fällen begrüßten Wirtschaft, Medien und liberale Intellektuelle die<br />
Repression, die für eine Periode der Ruhe und Passivität sorgte, <strong>bis</strong> die Wirtschaftskrise von 1929 und<br />
nach der McCarthy-Ära die Bürgerbewegungen der sechziger Jahre den Bann brachen.<br />
Im Zuge ihrer gegen die Sowjetunion gerichteten Eindämmungspolitik unterstützten die USA<br />
Mussolini schon seit dessen Marsch auf Rom 1922 mit aller Kraft. Der amerikanische Botschafter<br />
nannte den Triumph des Faschismus eine »schöne junge Revolution«. Ein Jahrzehnt später pries<br />
Präsident Roosevelt den »bewundernswerten italienischen Gentleman«, der das parlamentarische<br />
System zerschlagen hatte und die Arbeiterbewegung, gemäßigte Sozialisten sowie die kommunistische<br />
Partei gewaltsam unterdrückte. Die faschistischen Verbrechen seien legitim, weil sie, so erklärte das<br />
Außenministerium, ein zweites Rußland verhindern würden. Aus diesen Gründen wurde auch Hitler<br />
unterstützt. 1937 sah das Außenministerium im Faschismus die natürliche Reaktion der »reichen und<br />
mittleren Klassen«, die sich verteidigten, als die »enttäuschten Massen sich, das Beispiel der<br />
russischen Revolution vor Augen, nach links wandten«. Nationalsozialismus und Faschismus müssen<br />
»erfolgreich sein, weil sonst die Massen, jetzt verstärkt durch die desillusionierten Mittelschichten,<br />
erneut nach links driften«. Zur selben Zeit lobte der britische Sondergesandte in Deutschland, Lord<br />
Halifax, Hitler, weil dieser die Ausbreitung des Kommunismus gestoppt habe. England begreife sein<br />
Wirken jetzt sehr viel besser als vorher, meinte der Lord, an den Diktator gewandt. Die amerikanische<br />
Geschäftswelt dachte nicht anders. Italien unter Mussolini war bei Investoren sehr beliebt, und große<br />
US-Konzerne beteiligten sich an der Kriegsproduktion der Nationalsozialisten. Einige bereicherten<br />
sich sogar an der Plünderung jüdischen Besitzes während des NS-»Arisierungsprogramms«. »US-<br />
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