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Neue Weltordnungen - Vom Kolonialismus bis zum Bic Mac.pdf

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Neuseeland wiederum führte »das umfangreichste wirtschaftliche Reformprogramm durch, das in den<br />

vergangenen Jahrzehnten von einem OECD-Mitglied in die Wege geleitet wurde«, bemerken die<br />

OECD-Ökonomen Isabelle Joumard und Helmut Reisen. Allerdings ist das Experiment fehlgeschlagen.<br />

Vergleicht man den Zeitraum von 1977 <strong>bis</strong> 1984 (dem Jahr des Beginns) mit dem darauf<br />

folgenden Jahrfünft, so fällt auf, daß der Anteil des Produktionssektors von Handelswaren<br />

(Industriegüter, Kohle, Landwirtschaft) am Bruttoinlandsprodukt ebenso stark zurückgegangen war<br />

wie der Anteil am Exportaufkommen von Industriegütern aus OECD-Staaten insgesamt. Ohne die<br />

»Reformen« wäre der Export um 20 Prozent höher gewesen, schätzen die Ökonomen.<br />

Der Neuseeländer Tom Hazeldine, ebenfalls Ökonom, hat den Verlauf des »Putsches« von<br />

»Marktradikalen« <strong>bis</strong> 1993 verfolgt. Offiziellen Statistiken zufolge stieg die Arbeitslosigkeit, die<br />

zuvor fast nichtexistent gewesen war, auf 14,5 Prozent, der höchsten Quote in der OECD nach<br />

Spanien. In kurzer Zeit wurden Staatsschulden von 11 Milliarden Dollar angehäuft. Zwar stieg die<br />

Zahl der Geschäftsgründungen, noch schneller jedoch die der Pleiten und Konkurse, und ebenso die<br />

Regierungsausgaben, nämlich von 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf 49. Abgenommen haben<br />

dafür »die Dinge, die im Leben wirklich zählen: Liebe und Freundschaft, Arbeit und Spiel, Sicherheit<br />

und Autonomie ... und das Zusammengehörigkeitsgefühl, das eine Gesellschaft lebenswert macht«.<br />

Alles hat eben seinen Preis, auch der Markt. 181<br />

Daß es auch anders gehen kann, zeigen Japan und die asiatischen Schwellenländer. Japan, das sich<br />

nicht den neoklassischen Wirtschaftsdoktrinen verschrieb, betrieb eine Industriepolitik, die dem Staat<br />

eine führende Rolle zuwies. So entstand ein System, das »eher der industriellen Bürokratie in den<br />

sozialistischen Ländern ähnelt und kein direktes Gegenstück in den anderen entwickelten<br />

Industriegesellschaften des Westens zu haben scheint«, schreibt der Ökonom Ryutaro Komiya in<br />

seiner Einleitung zu einer von prominenten japanischen Wirtschaftswissenschaftlern verfaßten Studie<br />

über Japans Wirtschaftspolitik der Nachkriegszeit. Sie beschäftigen sich u. a. mit staatlichen<br />

Fördermaßnahmen für bestimmte Industrien und stellen fest, daß die Industriepolitik der frühen<br />

Nachkriegszeit »nicht auf neoklassischen oder keynesianischen Modellen beruhte, sondern<br />

neomerkantilistisch angelegt« und sogar »vom Marxismus beeinflußt« war. Ein amerikanischer<br />

Japanexperte, Chalmers Johnson, spricht von Japan als »der einzigen kommunistischen Nation, die<br />

funktioniert«. Protektionismus, Subventionismus, Steuererleichterungen, Finanzkontrollen und andere<br />

Mittel wurden eingesetzt, um Schwächen auf dem internationalen Markt auszugleichen.<br />

Marktmechanismen wurden erst dann von der Staatsbürokratie und den Konglomeraten aus Finanzund<br />

Industrieorganisationen zugelassen, als die Aussichten auf Erfolge im internationalen Handel sich<br />

konkretisierten. Das japanische Wirtschaftswunder war nur möglich, weil orthodoxe Wirtschaftsrezepturen<br />

von vornherein abgelehnt wurden. Auch die Schwellenländer in Japans Umfeld folgten<br />

dem Beispiel einer »positiven Verbindung zwischen staatlicher Intervention und der Beschleunigung<br />

des Wirtschaftswachstums, die mittlerweile für eine kapitalistische Entwicklung in Ländern der<br />

Dritten Welt allgemein akzeptiert wird«, bemerkt Alice Amsden. Anders sind die großen<br />

Industrienationen in ihrer Geschichte auch nicht verfahren. 182<br />

Angesichts seiner eigenen historischen Erfahrungen und der Zwischenposition in der neokolonialen<br />

Ordnung kann nicht überraschen, daß Japan die Anpassungsprogramme von Weltbank und IWF<br />

harsch kritisiert hat. Entsprechende Bemerkungen der japanischen Regierung, daß Liberalisierung,<br />

Privatisierung und die Durchsetzung von Marktmechanismen ohne Berücksichtigung von »Fairneß<br />

und sozialer Gerechtigkeit« einen bedauerlichen »Mangel an Voraussicht« bedeute, blieben im Westen<br />

unbeachtet. 183<br />

Experimente mit Laisser-faire-Doktrinen sind, wie die Geschichte gezeigt hat, für die Leute an den<br />

Schalthebeln der <strong>Mac</strong>ht immer ein Erfolg, auch wenn die Öffentlichkeit sie mehrheitlich ablehnt. In<br />

den Ländern des Südens, wo die neoliberalen Lehren mit besonderer Brutalität durchgesetzt wurden,<br />

weiß man, wem sie nützen und wem nicht. Als die lateinamerikanischen Bischöfe im Dezember 1992<br />

ihre Vierte Generalkonferenz in Santo Domingo abhielten, war auch der Papst zugegen. Trotz<br />

diplomatischer Manöver des Vatikans im Vorfeld - man wollte eine Neuauflage der<br />

Befreiungstheologie mit ihrer »Option für die Armen« unbedingt vermeiden -, rügten die Bischöfe die<br />

»neoliberale Politik« der Regierung Bush und forderten »die gesellschaftliche Beteiligung des Staats<br />

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