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Neue Weltordnungen - Vom Kolonialismus bis zum Bic Mac.pdf

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»Hauptfaktor bei der negativen Entwicklung der Lohnstruktur in den USA ist der Niedergang der<br />

Gewerkschaften«, sagt Lawrence Katz vom US-Arbeitsministerium. Einer der großen Erfolge der<br />

Regierung Reagan war ihr Kampf gegen die Gewerkschaften: Arbeiter konnten gefeuert werden, wenn<br />

sie für gewerkschaftliche Organisierung eintraten, Streiks wurden gebrochen durch die Einstellung<br />

»dauerhafter Ersatzkräfte« usw. Die Geschäftswelt war entzückt. Eine Titelgeschichte im Wall Street<br />

Journal sprach von einer »begrüßenswerten Entwicklung von grenzüberschreitender Bedeutung«, weil<br />

sinkende Löhne die Wirtschaft wieder konkurrenzfähig machten; hinzu kamen verbesserte<br />

Möglichkeiten zur Produktionsverlagerung ins Ausland. Die Arbeitskosten pro Produktionseinheit<br />

fielen 1992 um 1,5 Prozent, während sie in Japan, Europa, Taiwan und Südkorea stiegen. 1985 lag der<br />

Stundenlohn in den USA höher als in den anderen G-7-Staaten, 1992 darunter. Nur in Großbritannien<br />

war es Frau Thatcher gelungen, die Arbeiter noch härter zu bestrafen. Die Stundenlöhne lagen in<br />

Deutschland um 60 Prozent höher als in den USA, in Italien um 20 Prozent.<br />

Mit der urbanen Krise stieg auch die Zahl der Gefängnisinsassen auf den höchsten Stand in der<br />

industriellen Welt und ließ sogar Rußland und Südafrika hinter sich. Innenstädte und ländliche Gebiete<br />

verfielen, die Infrastruktur brach zusammen, und Armut und Obdachlosigkeit griffen um sich. In der<br />

zweiten Hälfte der achtziger Jahre stieg die Zahl der Hungerleidenden um 50 Prozent auf etwa 30<br />

Millionen Menschen. Zu Beginn des Jahres 1991, noch bevor die Rezession der letzten Jahre sich<br />

auszuwirken begann, waren im reichsten Land der Welt zwölf Millionen Kinder unterernährt. In<br />

Boston mußte das Stadtkrankenhaus sogar eine Klinik für solche Kinder einrichten, die soviel Zulauf<br />

hatte, daß gar nicht alle Fälle betreut werden konnten. Im Winter war es besonders hart, wenn die<br />

Familien entscheiden mußten, ob sie Heizöl oder Lebensmittel einkauften. 174<br />

Im Oktober 1993 brachte das Wall Street Journal einen Bericht über Statistiken der Zensusbehörde,<br />

denen zufolge »die Zahl der Armen in Amerika im vergangenen Jahr um 1,2 Millionen auf 36,9<br />

Millionen angestiegen ist, während die Reichen ihre Börsen füllen konnten«. Das durchschnittliche<br />

Familieneinkommen lag 13 Prozent unter dem Niveau von 1989 und die Armut war so hoch wie<br />

während der heftigen Rezession zu Beginn der achtziger Jahre. Experten erwarten, daß der langfristige<br />

Trend zur Ausweitung der Armut anhält, mit »absinkenden Löhnen, schrumpfender staatlicher<br />

Unterstützung für die Armen und einer Zunahmen von alleinerziehenden Müttern oder Vätern«. Der<br />

Trend zur ungleichen Einkommensverteilung, der sich in den achtziger Jahren beschleunigte, hat sich<br />

<strong>bis</strong> 1992 fortgesetzt, wobei das obere Fünftel der amerikanischen Haushalte seinen Einkommensanteil<br />

auf 47 Prozent ausweiten konnte. Dagegen sind die Einkommen des unteren Fünftels bei etwas mehr<br />

als 7000 Dollar geblieben, was kaum mehr ist als das Existenzminimum. Eine Untersuchung des<br />

Handelsministeriums zeigte, daß der Prozentsatz von Vollzeitarbeitern mit Mininallöhnen während der<br />

Reagan-Jahre von 12 Prozent auf 18 Prozent gestiegen war. Die Kinderarmut ist zwischen 1973 und<br />

1992 um 47 Prozent gestiegen und betrifft jetzt 20 Prozent der Kinder, eine Zunahme von 12 auf 14<br />

Millionen seit der letzten Zählung vor einem Jahr. Die Armutsgrenze liegt bei einem jährlichen<br />

Einkommen von 11 186 Dollar für eine dreiköpfige Familie. Daß es da zu Gewalt und Verbrechen<br />

kommt, ist klar. Der Staat antwortet darauf mit drakonischen Strafen; die Ursachen gehen ihn nichts<br />

an. 175<br />

Trotz der 1991 einsetzenden wirtschaftlichen Erholung fielen die Löhne für Arbeiter und Angestellte<br />

gleichermaßen, wobei die der Arbeiter drastischer sanken. Lohnzuwächse hatte bestenfalls das oberste<br />

Prozent zu verzeichnen. Überdies war nach 28 Monaten wirtschaftlicher Erholung die Arbeitslosigkeit<br />

noch nicht gesunken, was man in der Nachkriegsära so noch nicht erlebt hatte. Außerdem gab es eine<br />

Zunahme an Teilzeit- und zeitlich befristeter Arbeit, was sich jedoch nicht der freien Wahl der<br />

Arbeitnehmer verdankte, sondern einer wachsenden »Flexibilisierung« des Arbeitsmarkts, die laut der<br />

herrschenden Doktrin gut ist für die wirtschaftliche Gesundheit. Tatsächlich heißt »Flexibilisierung«,<br />

daß die Beschäftigten abends zu Bett gehen, ohne zu wissen, ob sie am nächsten Morgen noch einen<br />

Job haben. 1992 waren fast 28 Prozent der neu geschaffenen Arbeitsplätze zeitlich befristet, weitere 26<br />

Prozent auf Regierungsebene vor allem bei staatlichen und lokalen Behörden. 1993 gab es 24,4<br />

Millionen Teilzeit- und Zeitarbeiter, 22 Prozent der gesamten Arbeitskräfte, die höchste Quote<br />

überhaupt. Die US-weit größte Firma für Teilzeitarbeit, Manpower, hat 600 000 Beschäftigte auf der<br />

Gehaltsliste, 200 000 mehr als General Motors.<br />

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