Neue Weltordnungen - Vom Kolonialismus bis zum Bic Mac.pdf
Neue Weltordnungen - Vom Kolonialismus bis zum Bic Mac.pdf
Neue Weltordnungen - Vom Kolonialismus bis zum Bic Mac.pdf
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
als dringend erforderlich für die kirchliche Arbeit in den Gemeinden«. Die bolivianische<br />
Bischofskonferenz faßte es noch präziser: »Die schreckliche Armut der Region kommt nicht von<br />
ungefähr, sondern ist das Ergebnis des freien, unkontrollierten Marktsystems und der wirtschaftlichen<br />
Anpassungsmethoden einer neoliberalen Politik, die die soziale Dimension unberücksichtigt läßt.« 184<br />
Aber warum sollten solche Stimmen gehört werden, wenn auch im Westen die öffentliche Meinung so<br />
gut wie keine Rolle spielt? In Australien wurden die zentralen Entscheidungen über die Durchführung<br />
neoliberaler Reformen »ohne Konsultation der Öffentlichkeit und ohne weitere Kenntnisse ihrer<br />
Folgen für die australische Politik und Gesellschaft gefällt«, schreibt Scott Burchill. Während der Ära<br />
Reagan hätte die US-Bevölkerung mehrheitlich New-Deal-Maßnahmen und Sozialausgaben statt<br />
Aufrüstung befürwortet, ja, sogar Steuererhöhungen zu gesellschaftlich nützlichen Zwecken. Aber das<br />
PR-System von Politik und Wirtschaft funktionierte und erweckte den Eindruck, ganz Amerika stehe<br />
hinter dem Anführer einer »konservativen Revolution«.<br />
In Großbritannien fand eine Umfrage, die sich alljährlich mit Einstellungen in der Bevölkerung zu<br />
Politik und Wirtschaft befaßt, heraus, daß die Befragten mehr als je zuvor die Erhöhung der Ausgaben<br />
der öffentlichen Hand zu sozialen Zwecken befürworten, während sie das Privatunternehmertum eher<br />
negativ bewerten. Auf die Frage, wie Profite verteilt werden sollten, sprachen sich 42 Prozent für<br />
Investitionen aus, 39 Prozent für Ausgaben zugunsten der Arbeitenden, 14 Prozent für Ausgaben<br />
zugunsten der Konsumenten und 3 Prozent für Aufwendungen zugunsten von Aktionären und<br />
Management. Auf die Frage, wie Profite verteilt werden würden, meinten 28 Prozent zugunsten von<br />
Investitionen, 8 Prozent zugunsten der Arbeitenden, 4 Prozent zugunsten der Konsumenten und 54<br />
Prozent zugunsten von Aktionären und Management. Auch hier ist, wie in den Vereinigten Staaten,<br />
die Überzeugung, das Wirtschaftssystem sei »in sich selbst unfair« weit verbreitet, was jedoch auf das<br />
politische System keine weiteren Auswirkungen hat. 185<br />
Die Lage im Osten<br />
Kaum anders ist das Bild in den Ruinen des einstigen Sowjetimperiums. Ungarn war die erste große<br />
Hoffnung der neoliberalen Manager. Aber schon 1993 fiel die Wahlbeteiligung auf unter 30 Prozent,<br />
während 53 Prozent der Bevölkerung meinten, vor dem Zusammenbruch des alten Systems seien die<br />
Verhältnisse besser gewesen. Also sahen sich die westlichen Kommentatoren nach einer anderen<br />
Erfolgsstory um, und fanden Polen, wo der wirtschaftliche Rückgang, der die gesamte Region seit<br />
1989 heimgesucht hatte, 1993 ins Gegenteil gewendet schien. »Den meisten Polen geht es sozial,<br />
politisch und wirtschaftlich besser als unter dem verhaßten kommunistischen System«, schreibt<br />
Anthony Robertson in einem Sonderteil der Financial Times. Aber der Bericht vermittelt nichts davon,<br />
wie süß den Polen die Freiheit nach all den Jahren düsterer Diktatur schmecken muß, sondern listet<br />
nur auf, warum ausländische Investoren erfreut sein müßten über dieses Paradies niedriger Löhne und<br />
schwindender <strong>Mac</strong>ht der »Gewerkschaft Solidarität«, die unter steigender Arbeitslosigkeit leidet,<br />
während ihre Versuche scheitern, all jene Privatisierungen zu verhindern, die für gewöhnlich das<br />
Vorspiel für die <strong>Mac</strong>htübernahme durch ausländische Konzerne oder die einheimische Kleptokratie<br />
bilden.<br />
Wir erfahren aus dem Bericht auch, daß seit 1988 das Einkommen der Bauern, die 30 Prozent der<br />
Bevölkerung ausmachen, um die Hälfte gefallen ist, während 1992/93, im Jahr der »wachsenden<br />
Prosperität«, die Reallöhne weiter fielen, wobei die Preise sich dem internationalen Standard<br />
anglichen. 186<br />
Das von den westlichen Medien gezeichnete »strahlende Bild der Wirtschaft«, das als Erfolg einer<br />
Politik der »Schocktherapie« gefeiert wird, weist bei näherer Betrachtung etliche Schatten auf. »Die<br />
Schocktherapie hat die polnische Bevölkerung gespalten, der Mehrheit geschadet und den politischen<br />
Prozeß <strong>zum</strong> Erliegen gebracht«, berichtet ein führender polnischer Journalist. Umfragen zufolge »<br />
glauben mehr als 50 Prozent, das kommunistische System sei besser gewesen«. Zudem wird<br />
übersehen, daß Haushalte und Industrie weiterhin subventioniert werden, notiert Alice Amsden.<br />
»Ohne derartige Unterstützung wäre das Elend noch größer, als es ohnehin schon ist«. 187<br />
80