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Neue Weltordnungen - Vom Kolonialismus bis zum Bic Mac.pdf

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Diese Faktoren können mancherlei Konsequenzen haben. Eine von ihnen betrifft staatliche<br />

Interventionen in die einheimische Wirtschaft. Geläufig ist die Behauptung, andere Länder betrieben<br />

»Industriepolitik«, während die Vereinigten Staaten getreu den Maximen des freien Marktes, solchen<br />

Ketzereien abhold seien. Das hat natürlich nie gestimmt, aber während des Kalten Kriegs konnte die<br />

amerikanische Industriepolitik sich hinter dem Schleier der »Sicherheit« verbergen und die öffentliche<br />

Subventionierung als »Verteidigungsausgaben« maskiert werden. Seit dem Ende der Sowjetunion läßt<br />

sich diese Maskerade nicht mehr so einfach aufrechterhalten.<br />

Eine andere Konsequenz ist der Wandel der Militärstrategie. Durch alle politischen Lager hindurch<br />

herrschte Einverständnis darüber, daß die Vereinigten Staaten über ein möglichst einschüchterndes<br />

Drohpotential verfügen mußten, um ihre globale Politik der Intervention und Subversion ohne Furcht<br />

vor Vergeltungsschlägen betreiben zu können. Strategische Kernwaffen »bilden eine Garantie für<br />

unsere Interessen in vielen Teilen der Welt und ermöglichen uns die Verteidigung dieser Interessen<br />

durch Diplomatie oder den Einsatz taktischer Militärkräfte«, bemerkte Eugene Rostow kurz vor<br />

seinem Eintritt in die Regierung Reagan. Zur gleichen Zeit teilte Carters Verteidigungsminister Harold<br />

Brown dem Kongreß mit, daß unsere strategischen Kernwaffen »unsere anderen Kräfte zu sinnvollen<br />

Instrumenten militärischer und politischer Kontrolle« machen. Diese Denkweise geht auf die frühe<br />

Nachkriegszeit zurück. 102<br />

Mit dem Verschwinden der sowjetischen Abschreckungsmacht sind diese Motive für die Beibehaltung<br />

strategischer Kernwaffen nicht mehr so zwingend. In seiner »ersten Skizze der außenpolitischen<br />

Visionen der Regierung [Clinton]« wies Anthony Lake, der Sicherheitsberater des Präsidenten, auf die<br />

Tatsache hin, »daß in einer Welt, in der die Vereinigten Staaten sich nicht mehr tagtäglich Sorgen<br />

wegen der sowjetischen Bedrohung durch Kernwaffen machen müssen, die Frage, wo und wie sie<br />

intervenieren, zunehmend eine Sache der freien Entscheidung wird«. Mit diesen Worten gibt Thomas<br />

Friedman in der New York Times unter der Überschrift »Visionäre Wende in der US-Außenpolitik«<br />

Lakes Rede wieder und suggeriert einen tiefgreifenden Wandel. Dies sei, betont Friedman, das<br />

»Wesen« der neuen Doktrin; einer Doktrin, die doch explizit davon ausgeht, daß US-Interventionen<br />

nicht möglich waren, weil es die Bedrohung durch sowjetische Kernwaffen gab. Ohne diese<br />

Bedrohung werden Interventionen wieder möglich, was fünf Jahre zuvor bereits von Simes bemerkt<br />

worden war.<br />

Im tatsächlichen Wortlaut beginnt Lakes Rede mit folgender Bemerkung: »Während des Kalten<br />

Kriegs haben wir eine Eindämmungspolitik gegen die globale Bedrohung für Marktdemokratien<br />

betrieben; jetzt sollten wir deren Reichweite vergrößern.« Von der Eindämmung zur Ausweitung -<br />

eine in der Tat aufgeklärte »Vision«, von der die Kommentatoren sich gebührend beeindruckt zeigten.<br />

Eine vernünftige Person, die daran interessiert ist, was die Sowjets während des Kalten Kriegs zu tun<br />

beabsichtigten, würde fragen, was sie wirklich taten, vor allem in den von ihnen kontrollierten<br />

Regionen. Auch hinsichtlich der politischen Führung der USA würde eine vernünftige Person diese<br />

Frage stellen, wobei Lateinamerika ein auf der Hand liegender Testfall ist. Wir müssen also begreifen,<br />

daß wir, als die Regierung Kennedy in Brasilien den Sturz der demokratisch gewählten Regierung in<br />

Angriff nahm und an ihre Stelle ein Regime neofaschistischer Mörder und Folterknechte setzte, »die<br />

globale Bedrohung für Marktdemokratien« abwehrten. Behauptet wurde das auf jeden Fall: Kennedys<br />

Botschafter Lincoln Gordon, der den Putsch mit vorbereitete und später Karriere im<br />

Außenministerium machte, lobte die Generäle wegen ihrer »demokratischen Rebellion« und sprach<br />

von einem »großen Sieg für die freie Welt«, weil »Brasiliens Demokratie nicht zerstört, sondern<br />

bewahrt wurde«. Anderenfalls nämlich wären »alle Republiken Südamerikas für den Westen verloren<br />

gewesen«, während jetzt »ein stark verbessertes Klima für private Investitionen herrscht«. Die letzte<br />

Bemerkung gibt <strong>zum</strong>indest einen Blick auf die tatsächliche Welt frei.<br />

In Guatemala, Chile und anderen Ländern spielte sich die gleiche Geschichte ab. Die »globale<br />

Bedrohung« war, wie auch eingeräumt wurde, so gut wie inexistent; allerdings gab es viele<br />

»Kommunisten« im amerikanischen Wortsinn, d. h. Politiker, die ihrem Land eine von ausländischen<br />

Investoren unabhängige, der Bevölkerung dienende Entwicklung gönnen wollten.<br />

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