02.11.2013 Aufrufe

Neue Weltordnungen - Vom Kolonialismus bis zum Bic Mac.pdf

Neue Weltordnungen - Vom Kolonialismus bis zum Bic Mac.pdf

Neue Weltordnungen - Vom Kolonialismus bis zum Bic Mac.pdf

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

UNICEF-Untersuchung von 1992 schreiben: »Hervorzuheben ist, daß die Strukturanpassungsprogramme<br />

der achtziger Jahre und die lange Rezession, die ihnen folgte, für Kinder besonders<br />

schlimme Folgen zeitigten.« Die Kindersterblichkeit stieg drastisch an, ebenso Kinderarbeit und -<br />

prostitution, während Bildungsmaßnahmen gekürzt wurden. Eine Ausnahme war Chile, wo selbst<br />

unter der Diktatur Pinochets und der »Chicago Boys« die Öffentlichkeit noch stark genug war, allzu<br />

große Exzesse in puncto »freier Marktwirtschaft« zu verhindern. 165<br />

In Lateinamerika war Kuba das einzige Land, dessen Kindersterblichkeitsrate auch in den achtziger<br />

Jahren kontinuierlich sank. Das dürfte sich durch das Embargo mittlerweile geändert haben, derweil<br />

westliche Moralisten diesen erneuten Triumph ihrer Ideale bejubeln. Ein zweites Beispiel war<br />

Nicaragua, das jetzt, wie der erfahrene Lateinamerika-Korrespondent Hugh O'Shaughnessy berichtet,<br />

»neben Haiti zu den ärmsten Ländern der westlichen Hemisphäre gehört« - auch dies ein Triumph der<br />

amerikanischen Außenpolitik. Die Kindersterblichkeit, die unter den Sandinisten rapide gesunken war,<br />

gehört nun »zu den höchsten auf dem Kontinent, während, UN-Berichten zufolge, ein Viertel aller<br />

Kinder an Unterernährung leidet«. Krankheiten, die durch die Gesundheitsreformen eingedämmt<br />

werden konnten, sind wieder weit verbreitet. Der Finanzminister der neuen Regierung »rühmt die<br />

niedrigste Inflationsrate der westlichen Hemisphäre, wobei es ihn nicht kümmert, daß vier Millionen<br />

Menschen hungern«. Die »Gesundheits-, Ernährungs-, Bildungs- und Agrarprogramme [der<br />

Sandinisten] sind auf Druck des IWF und Washingtons zugunsten von Privatisierungsmaßnahmen und<br />

der Kürzung öffentlicher Mittel gekippt worden«. 166 Diese Maßnahmen haben weitere negative<br />

Auswirkungen auf Nicaraguas Wirtschaft oder was davon noch übrig ist. »Die Privatbanken und die<br />

mit ihnen verbundenen Großkonzerne genießen en Schutz des staatlichen Bankensystems und nutzen<br />

die hohen Zinsraten zu spekulativen Aktivitäten«, bemerkt eine Gruppe nicaraguanischer Ökonomen<br />

und schätzt, daß allein 1992 an die 50 Millionen Dollar das Land verlassen haben. »Während die<br />

Liquidität der Wirtschaft, gemessen in Geld, um 14 Prozent gefallen ist, hat sich das Vermögen der<br />

Privatbanken in der ersten Hälfte des Jahres 1993 um 28 Prozent vermehrt und damit zur Knappheit an<br />

zirkulierendem Geld geführt, worunter die Bevölkerung augenblicklich leidet.« Derweil fordert der<br />

US-Senat, der lange Zeit einen mörderischen Terrorkrieg gegen Nicaragua unterstützte, von der neuen<br />

Regierung Beweise, daß das Land nicht in den internationalen Terrorismus verstrickt ist, und macht<br />

geringfügige Hilfsleistungen von einer negativen Antwort abhängig. Zudem soll es dem FBI gestattet<br />

sein, entsprechende Untersuchungen vorzunehmen.<br />

Trotz dieser Siege ist Washington noch nicht zufrieden. Die Bevölkerung Nicaraguas muß für die an<br />

uns begangenen Verbrechen büßen. Im Oktober 1993 stellten IWF und Weltbank neue Forderungen.<br />

Nicaragua wird nicht, wie viele andere Länder, von seinen Schulden entlastet. Es muß Kredite der<br />

staatlichen Industrie- und Handelsbank bedienen und staatliche Unternehmen und Dienstleistungen -<br />

Post, Energie, Wasser - privatisieren. Wer nicht zahlen kann, muß Durst leiden. Die Arbeitslosigkeit<br />

liegt bei über 60 Prozent. Sozialausgaben der öffentlichen Hand müssen um 60 Millionen Dollar<br />

gekürzt werden - angesichts der von den Privatbanken im vorherigen Jahr außer Landes gebrachten<br />

Gelder eine symbolisch anmutende Summe.<br />

Die Privatisierung sorgt dafür, daß die Banken gesunden wirtschaftlichen Prinzipien folgen, mithin<br />

lieber an der New Yorker Börse agieren, statt armen Bauern Kredite zu gewähren und so die<br />

Ressourcen sinnvoll einzusetzen. Weil aber keine Kredite vergeben wurden, fiel 1993 die Bohnenernte<br />

trotz günstiger klimatischer Bedingungen aus, was für die Bevölkerung eine Katastrophe war. Das<br />

gleiche Bild ergab sich für die hauptsächlichen Baumwollanbaugebiete, obwohl die potentesten<br />

Produzenten wie z. B. der Landwirtschaftsminister und der Präsident des Hohen Rats für<br />

Privatunternehmen, Ramiro Guardian, mehr als 40 Millionen Dollar an Darlehen erhalten hatten,<br />

berichtet Barricada Internacional. Der Mittelamerika-Spezialist Douglas Porpora schreibt, daß 70<br />

Prozent aller Kredite an »eine kleine Anzahl großer Exportproduzenten« vergeben werden.<br />

Kirchliche Quellen berichten, daß Ende 1993 an Nicaraguas Atlantikküste 100 000 Menschen,<br />

überwiegend Miskito-Indianer, Hunger litten. Hilfslieferungen kamen nur aus Europa und Kanada. Als<br />

die Sandinisten im Verlauf des Terrorkriegs der Contras einige Dutzend dieser Indianer töteten und<br />

viele zwangsumsiedelten, sprach man in den USA von »Völkermord« (Reagan) und den<br />

»schlimmsten« Menschenrechtsverletzungen in Mittelamerika (Jeane Kirkpatrick). Aber das hatte rein<br />

72

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!