02.11.2013 Aufrufe

Neue Weltordnungen - Vom Kolonialismus bis zum Bic Mac.pdf

Neue Weltordnungen - Vom Kolonialismus bis zum Bic Mac.pdf

Neue Weltordnungen - Vom Kolonialismus bis zum Bic Mac.pdf

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Lippmann zählte, wie gesagt, zu den fortschrittlichen Geistern. Am reaktionären Ende finden wir<br />

gerade heute jene sogenannten Konservativen (eine völlig falsche Bezeichnung), die der Öffentlichkeit<br />

sogar die Zuschauerrolle absprechen wollen. Kein Wunder, daß die Reaganisten sich so für geheime<br />

Terroroperationen, für Zensur- und Agitpropmaßnahmen begeisterten, mittels derer die Bevölkerung<br />

unwissend gehalten werden konnte. 115<br />

Bereits Thomas Jefferson sah in seinen späteren Jahren mit Sorge, auf welch wackligen Füßen das<br />

demokratische Experiment stand. Er unterschied zwischen »Aristokraten« und »Demokraten«. Die<br />

Aristokraten »fürchten das Volk und mißtrauen ihm und wollen sämtliche <strong>Mac</strong>ht in den Händen der<br />

oberen Klassen versammeln«. Die Demokraten dagegen »identifizieren sich mit dem Volk, vertrauen<br />

ihm, betrachten und würdigen es als ehrlichen und sicheren, wenn auch vielleicht nicht höchstweisen<br />

Ort, an dem das öffentliche Interesse seine Bewahrung findet«. Die Aristokraten waren die<br />

Befürworter des entstehenden kapitalistischen Staats, den Jefferson mit großer Abneigung betrachtete,<br />

weil er sich im Widerspruch zur Demokratie entwickelte, je mehr die modernen Formen, vor denen er<br />

gewarnt hatte, also die »Bankinstitutionen und wohlhabenden Korporationen«, begünstigt von<br />

juristischen Entscheidungen, an <strong>Mac</strong>ht gewannen. Heute gehören fortschrittliche Intellektuelle à la<br />

Lasswell und Lippmann zu Jeffersons »Aristokraten« und können nur vor dem Hintergrund des<br />

sonstigen politischen Spektrums noch demokratisch genannt werden. Jeffersons schlimmste<br />

Befürchtungen dürften sich bestätigt haben.<br />

Natürlich ist das demokratische Ideal nicht völlig zusammengebrochen; es wurde marginalisiert, blieb<br />

aber in Bürgerbewegungen und bei einigen Intellektuellen lebendig. Zu diesen gehört John Dewey,<br />

einer der bedeutendsten amerikanischen Philosophen des 20. Jahrhunderts. Für Dewey ist »Politik der<br />

Schatten, den das big business auf die Gesellschaft wirft«, und solange das so bleibt, »wird auch die<br />

Abschwächung des Schattens nichts an der Substanz ändern«. Reformen sind von begrenztem Wert;<br />

sollen demokratische Verhältnisse herrschen, muß der Verursacher des Schattens entfernt werden,<br />

nicht nur wegen seiner Vorherrschaft in der politischen Arena, sondern weil allein schon die<br />

Institutionen privater <strong>Mac</strong>ht Demokratie und Freiheit untergraben. Dewey benannte die antidemokratische<br />

<strong>Mac</strong>ht, die er im Sinn hatte, sehr deutlich: »Heute liegt die <strong>Mac</strong>ht in der Kontrolle über<br />

die Mittel, mit denen Produktion, Handel, Publikationswesen, Transport und Kommunikation<br />

betrieben werden. Wer sie besitzt, beherrscht das Leben der Gesellschaft.« Trotz aller Restbestände<br />

demokratischer Formen ist »die Privatwirtschaft, die Gewinne macht mittels privater Kontrolle über<br />

Bankwesen, Ländereien, Industrie, verstärkt durch Befehlsgewalt über Presseorgane, Presseagenten<br />

und andere Publikations- und Propagandamittel« die eigentliche Quelle von <strong>Mac</strong>ht, Zwang und<br />

Kontrolle, und solange dieses System Bestand hat, können wir nicht ernsthaft von Demokratie und<br />

Freiheit reden. In einer freien und demokratischen Gesellschaft hätten die Arbeiter »ihr industrielles<br />

Schicksal selbst in der Hand« und wären keine von Unternehmern gemieteten Werkzeuge. Diese Ideen<br />

reichen <strong>bis</strong> <strong>zum</strong> klassischen Liberalismus eines Adam Smith und Wilhelm von Humboldt zurück. Die<br />

Industrie muß »von einer feudalistischen in eine demokratische gesellschaftliche Ordnung überführt<br />

werden«, und das »letzte Ziel« der Produktion sollte nicht die Herstellung von Gütern sein, sondern<br />

»die Produktion freier, einander in Gleichheit verbundener menschlicher Wesen«. Diese Konzeption,<br />

die sich auch im Gildensozialismus und bei Anarchisten und unorthodoxen Marxisten finden läßt, ist<br />

mit dem modernen Industriesystem staatskapitalistischer oder staatssozialistischer Provenienz<br />

unvereinbar. 116<br />

Mittlerweile ist das ideologische Spektrum so eng geworden, daß bewährte libertäre Grundsätze<br />

exotisch und extremistisch, ja, gar »unamerikanisch« klingen, obwohl sie so amerikanisch sind wie<br />

Truthahnbraten und in einem traditionellen Denken wurzeln, das gern gelobt, noch lieber aber entstellt<br />

und vergessen wird. Auch hierin zeigt sich der Verfall der Demokratie, den wir im Augenblick, auf<br />

der institutionellen wie der intellektuellen Ebene, miterleben.<br />

Die Propaganda im Interesse der Privatwirtschaft trägt das ihre dazu bei, wie aus einem Essay von<br />

Michael Joyce erhellt. Joyce ist Präsident der rechtsorientierten Bradley Foundation, die, wie andere<br />

ihrer Art, das Ziel verfolgt, vor allem in Schulen und Universitäten das ideologische Spektrum noch<br />

weiter nach rechts zu rücken. Seine Argumentation klingt zunächst libertär; er kritisiert den seiner<br />

Meinung nach zu engen Begriff der citizenship [der Bürgerlichkeit im politischen Sinne; d. Ü.], der die<br />

52

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!