Neue Weltordnungen - Vom Kolonialismus bis zum Bic Mac.pdf
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Großbritannien pflegte <strong>zum</strong> Wirtschaftsliberalismus ebenfalls ein taktisches Verhältnis, d. h. es<br />
befürwortete ihn, wenn es stark genug war, verwarf die reine Lehre aber sofort, wenn es sich Vorteile<br />
verschaffen wollte, wie etwa in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts gegen Japan. Das von<br />
London 1932 im Fernen Osten eingerichtete Präferenzsystem trug nicht unwesentlich zur Entstehung<br />
des Pazifikkriegs bei. Kolonisierte Länder wurden gewaltsam »deindustrialisiert«, mit Folgen, die sich<br />
an Irland und Indien besonders gut ablesen lassen. 144 So wurde zunächst Bengalen »destabilisiert und<br />
in Armut gestürzt«, schreibt John Keay in seiner Geschichte der Ostindischen Handelskompanie. 1757<br />
beschrieb der Eroberer, Robert Clive, die Textilstadt Dacca als »so ausgedehnt, bevölkert und reich<br />
wie London«. Schon 1840 war die Einwohnerzahl von 150 000 auf 30 000 gefallen, wie Sir Charles<br />
Trevelyan vor dem Oberhaus bezeugte. Dacca, das »Manchester Indiens«, verkam und verarmte und<br />
ist heute die Hauptstadt von Bangla Desh.<br />
Zur Zeit der Eroberung durch die Briten war Indien in seiner industriellen Entwicklung so weit<br />
fortgeschritten wie England. Aber die indische Industrie wurde durch britische Regelungen und<br />
Einmischungen zerstört. Ohne diese Maßnahmen, schrieb Horace Wilson in seiner History of British<br />
India, hätten »die Mühlen von Paisley und Manchester gar nicht erst ihr Werk beginnen können, noch<br />
nicht einmal nach Erfindung der Dampfkraft. Sie verdanken ihre Existenz der Vernichtung der<br />
indischen Baumwollfabrikanten «.<br />
Zeitgenossen beschreiben diesen Prozeß der »Unterdrückung und Monopolisierung«, mit dem die<br />
Eroberer den Reichtum Bengalens ruinierten, das Land mit Leichen übersäten und »reiche Felder, die<br />
Reis oder andere Frucht trugen, umpflügten ... um Mohn auszusäen«, wenn das Opium außergewöhnliche<br />
Gewinne abzuwerfen versprach (Adam Smith). Die »dauerhafte Besiedlung« (Permanent<br />
Settlement) von 1793 dehnte das Experiment von Bengalen auf ganz Indien aus. Die Privatisierung<br />
von Ländereien verschaffte den britischen Verwaltern und ihren lokalen Statthaltern große<br />
Reichtümer, während »fast die gesamten unteren Schichten schwerer Unterdrückung ausgesetzt sind«,<br />
wie eine britische Untersuchungskommission 1832 befand. Auch der Direktor der Ostindischen<br />
Handelskompanie gab zu, daß »das Elend in der Geschichte des Handels seinesgleichen sucht. Die<br />
Ebenen Indiens sind übersät mit den Knochen der Baumwollweber«.<br />
Die von heutigen Theoretikern entworfenen Experimente von Weltbank und Weltwährungsfonds sind<br />
also nicht ohne historische Vorbilder.<br />
Immerhin war das indische Experiment kein vollständiger Fehlschlag, denn es schuf, wie Lord<br />
Bentinck, Generalgouverneur von Indien ausführte, »eine umfangreiche Schicht von Großgrundbesitzern,<br />
die am Fortbestand des britischen Dominions interessiert waren und die Massen in Schach<br />
halten konnten«.<br />
Im 19. Jahrhundert finanzierte Indien mehr als zwei Fünftel des britischen Handelsdefizits, war ein<br />
Markt für britische Waren und stellte Truppen für weitere koloniale Eroberungen und den<br />
Opiumhandel, die Grundlage der Beziehungen zu China. Bengalen wurde <strong>zum</strong> Exportland für Indigo<br />
und Jute gemacht, die man andernorts verarbeitete; die Briten bauten dort nicht eine einzige Fabrik.<br />
Als Indien endlich nach dem Zweiten Weltkrieg unabhängig wurde, war es ein armes, überwiegend<br />
agrarisches Land mit hohen Sterblichkeitsraten, das sich jedoch mit den Kolonialherren zugleich der<br />
langen Stagnation entledigte und in den fünfziger und sechziger Jahren dreimal so schnell wuchs wie<br />
unter britischer Herrschaft. 145 Allerdings wuchs Indien in eine bereits von viel mächtigeren<br />
Konkurrenten beherrschte Welt hinein.<br />
In einer erhellenden Studie über das moderne Ägypten sieht Afaf Lutfi Al-Sajjid Marsot in der<br />
Geschichte ihres Landes Parallelen zu Indien. In den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts, als<br />
Muhammad Ali mit dem Aufbau einer Baumwollindustrie begann, »hatte sich England auch gerade<br />
darauf eingestellt und die industrielle Revolution auf der Grundlage dieser einen Ware« und mit<br />
reichlich Protektionismus betrieben. Schon 1817 wies der französische Konsul darauf hin, daß »die<br />
Seidenfabriken, die in Ägypten aufgebaut werden, den italienischen und sogar unseren den Todesstoß<br />
versetzen werden«.<br />
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