Neue Weltordnungen - Vom Kolonialismus bis zum Bic Mac.pdf
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»strategischen Defizite« der Ära Reagan auf eine »verborgene Agenda« zurückzuführen sind: Es galt,<br />
eine Barriere gegen Sozialausgaben und andere für die Konzerne inakzeptable Regierungsinitiativen<br />
zu errichten. Die Kürzung von Bundesmitteln erlegte den Einzelstaaten und Gemeinden unerträgliche<br />
Bürden auf, die an die schwächeren Bevölkerungsschichten weitergereicht wurden. Verschärft wurden<br />
die Probleme durch erfolgreiche PR-Kampagnen der Geschäftswelt für Steuersenkungen bei gleichzeitiger<br />
Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse seitens eines mächtigen und interventionsbereiten Staats.<br />
Eine regressive Steuerpolitik führte <strong>zum</strong> Konsum von Luxusgütern und zu finanztechnischen<br />
Bereicherungsaktionen, während im Verhältnis <strong>zum</strong> Bruttosozialprodukt die Investitionen auf den<br />
niedrigsten Stand innerhalb der G7-Staaten zurückfielen und dennoch zunehmend von<br />
Kapitalimporten abhängig wurden. Die Folge waren gigantische Handelsdefizite. Das reale Pro-Kopf-<br />
BSP fiel ebenso wie die persönlichen Sparguthaben, und die Staatsausgaben für<br />
Infrastrukturprogramme sanken auf die Hälfte dessen, was in den sechziger Jahren aufgewendet<br />
worden war. Niedrig blieb allein die Inflationsrate, was vor allem mit dem Fall der Ölpreise<br />
zusammenhing. Kredite sorgten für eine so umfassende wie scheinhafte Prosperität, die sich natürlich<br />
nicht lange aufrecht-erhalten ließ.<br />
Die Arbeitsökonomen Lawrence Mishel und Jared Bernstein wiesen darauf hin, daß im Juli 1992<br />
»über 17 Millionen Arbeiter, das sind 13,2 Prozent der arbeitenden Bevölkerung insgesamt ... ohne<br />
Beschäftigung oder nur geringfügig beschäftigt waren«, ein Anstieg von acht Millionen während der<br />
Regierungszeit von George Bush, als sich die Auswirkungen der Reagan-Programme bemerkbar<br />
machten. Zudem bedeutete der Anstieg der Arbeitslosigkeit in drei Vierteln aller Fälle dauerhaften<br />
Jobverlust. Die Reallöhne, die vor Reagan ein Jahrzehnt lang stagnierten, sanken während seiner<br />
Präsidentschaft dramatisch ab. 1987 erreichte diese Entwicklung auch die an Hochschulen<br />
Ausgebildeten, die kurz darauf ebenfalls von Arbeitslosigkeit betroffen wurden. Das hängt<br />
möglicherweise mit dem Rückgang des Pentagon-Budgets zusammen, als 1985/86 die<br />
Regierungsinvestitionen in die militärische High-Tech-Industrie zurückgingen und schließlich auf den<br />
während der Jahre des Kalten Kriegs üblichen Durchschnitt fielen. Für die unteren 60 Prozent der<br />
amerikanischen Männer sanken die Reallöhne, während sie für die oberen 20 Prozent stiegen. Rüdiger<br />
Dornbusch, Ökonom am MIT, weist darauf hin, daß von dem Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens<br />
während der Ära von Reagan und Bush »70 Prozent auf das oberste Prozent der Verdiener fielen,<br />
während die unteren Schichten in absoluten Zahlen einen Rückgang zu verzeichnen hatten«, so daß<br />
»für die meisten Amerikaner der Grundsatz, der jüngeren Generation werde es wirtschaftlich besser<br />
gehen als den Eltern, nicht mehr gilt«. Das ist ein bedeutsamer Wendepunkt in der Geschichte der<br />
Industriegesellschaften. Umfragen aus dem Jahr 1992 zufolge erwarten 75 Prozent der Bevölkerung<br />
keine Verbesserung der Lebenssituation für die nächste Generation.<br />
Während der Reagan-Jahre beschleunigten sich Prozesse, die bereits im Gang waren. Ungleichheiten<br />
in der Einkommensverteilung hatten sich <strong>bis</strong> 1968 vermindert, um dann wieder anzusteigen. 1986<br />
waren sie größer als zur Zeit der großen Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre. In den siebziger und<br />
achtziger Jahren sank das Durchschnittseinkommen des unteren Fünftels der amerikanischen Familien<br />
um etwa 18 Prozent, während es beim reichsten Fünftel um acht Prozent zunahm. In dieser Zeit, so der<br />
Wirtschaftsjournalist Richard Rothstein, »gab es in den USA von allen Industrienationen das größte<br />
Wachstum an Ungleichheit und zugleich die größten Einkommenseinbußen im Bereich der<br />
Niedriglöhne«. Eine Studie der OECD berichtet von zunehmender Einkommensungleichheit in den<br />
meisten reicheren Ländern während der achtziger Jahre, wobei Großbritannien unter Thatcher die<br />
Spitzenposition vor den USA hielt. In den USA verschlechterte sich die Lage vor allem für die<br />
wirtschaftlich Schwächeren: ältere Menschen, Kinder, alleinerziehende Mütter (die meisten davon<br />
berufstätig, in den USA häufiger als in allen anderen Ländern, obwohl die Propaganda der Rechten<br />
das Gegenteil behauptete). Die The Progress of Nations betitelte UNICEF-Studie von 1993 betonte,<br />
daß es amerikanischen und britischen Kindern weitaus schlechter geht als 1970. Unter den<br />
industrialisierten Ländern sind die USA der Spitzenreiter bei der Kinderarmut; der Anteil ist hier<br />
zweimal so hoch wie in Großbritannien, dem zweitplazierten Land, und seit 1970 um 21 Prozent<br />
gestiegen.<br />
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