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Neue Weltordnungen - Vom Kolonialismus bis zum Bic Mac.pdf

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Abkommen ebenso wie die Wirtschaftspolitik, deren Bestandteil es ist, wegen der schädlichen<br />

Auswirkungen auf die Gesellschaft. Homero Ardijis, der Vorsitzende von Mexikos führender<br />

Umweltorganisation, beklagte »die dritte Eroberung, unter der Mexiko zu leiden hat. Die erste war<br />

kriegerisch, die zweite spirituell, die dritte ist wirtschaftlich«. 211<br />

Selbst die mexikanische Geschäftswelt zeigte keine große Begeisterung. Auf dem Kongeß der<br />

Internationalen Handelskammern im Oktober 1993 in Cancün meinte der Generaldirektor des<br />

Panamerikanischen Unternehmerinstituts, daß die transnationalen Konzerne einen Mehrheitsanteil an<br />

mexikanischen Firmen verlangten und damit drohten, sie anderenfalls aus dem Markt zu drängen.<br />

Andere verwiesen besorgt auf die Gefahren für den Mittelstand, und eine führende Tageszeitung<br />

stellte, als die Abstimmung im Kongreß über NAFTA näherrückte, lakonisch fest: »Eins ist gewiß: Bei<br />

jedem Vertrag mit den Vereinigten Staaten hat Mexiko verloren.« 212<br />

Da in den USA trotz der fast einmütigen Befürwortung des NAFTA-Entwurfs durch Regierung,<br />

Konzerne und Medien die öffentliche Skepsis stieg, konnte das Vorhaben nicht mit der zunächst<br />

intendierten Heimlichkeit durchgesetzt werden. Allerdings spielten die Bedenken und konkreten<br />

Vorschläge der Kritiker des Entwurfs bei der Diskussion in der Presse keine Rolle. Vielmehr wurde<br />

der Konflikt dargestellt, als ginge es um den Kampf der edlen Vertreter des Freihandels »gegen das<br />

Gekreisch von Ross Perot und Pat Buchanan, fremdenfeindlicher Gewerkschaften und einer<br />

gespaltenen Umweltbewegung« - so der liberale Kolumnist Thomas Oliphant vom Boston Globe. Da<br />

der Freihandel natürlich das Gute repräsentiert, müssen die kreischenden Gegner auf der Seite des<br />

Bösen stehen, und gemäß dieser Einstellung wurden die Argumente denn auch ausgewählt. Eine<br />

ernsthafte Erörterung der eigentlich wichtigen Themen fand nicht statt. 213<br />

Die New York Times hieb in dieselbe Kerbe. In einem Aufmacher beglückte sie die stupiden Massen<br />

mit einem, so die Überschrift, »Leitfaden: Warum Ökonomen das Freihandelsabkommen<br />

befürworten«. Kritiker des NAFTA-Entwurfs sind »böswillige« Lügner, denen man die<br />

»grundlegenden Einsichten« über den Freihandel, die seit 250 Jahren unverändert geblieben sind, erst<br />

mühsam beibringen muß. So wird auf das »legendäre Lehrbuch« verwiesen, in dem Paul Samuelson<br />

John Stuart Mill mit den Worten zitiert, daß der internationale Handel »eine effizientere Verwendung<br />

der weltweiten Produktivkräfte« bewirke. Dagegen können doch wirklich nur Verrückte sein! 214<br />

Werfen wir einen Blick auf die konkrete Wirtschaftsgeschichte. Natürlich konnten nur Verrückte<br />

gegen die Entwicklung einer Textilindustrie in den <strong>Neue</strong>nglandstaaten zu Beginn des 19. Jahrhunderts<br />

sein, als die britische Textilproduktion so viel effizienter war, daß ohne hohe Schutzzölle der halbe<br />

Industriesektor <strong>Neue</strong>nglands bankrott gegangen und die industrielle Entwicklung in den Vereinigten<br />

Staaten <strong>zum</strong> Stillstand gekommen wäre. 215 Und nur Verrückte konnten gegen die hohen Zölle sein, mit<br />

denen die USA die Produktion von Stahl und anderen Gütern entwicklungsfähig machten. Und die<br />

moderne Elektronik konnte nur durch substantielle Wettbewerbsverzerrungen entstehen. Ohne all<br />

diese und andere Verstöße gegen den Freihandel würden die USA heute noch Felle exportieren,<br />

während Indien möglicherweise eine industrielle Revolution erlebt hätte und eine blühende Textil- und<br />

Schiffbauindustrie besäße. Und war die Sklaverei in den Vereinigten Staaten, durch die es überhaupt<br />

erst gelang, »König Baumwolle« <strong>zum</strong> Motor der industriellen Revolution zu machen, etwa keine<br />

Verletzung von Marktprinzipien? Ganz zu schweigen von der Ausrottung der einheimischen<br />

Bevölkerung. Warum also sollte der NAFTA-Entwurf die Sorgen und Interessen der Kritiker in allen<br />

drei vom Abkommen betroffenen Ländern berücksichtigen? Das können tatsächlich nur Verrückte<br />

fordern.<br />

Dennoch gab der Widerstand gegen den NAFTA-Entwurf nicht auf, was in den herrschenden Kreisen<br />

ernsthafte Besorgnis hervorrief. Präsident Clinton verurteilte die »Muskelspiel-Taktik« der<br />

Gewerkschaften, die sich sogar mit Bitten und Drohungen an die gewählten Repräsentanten wendeten<br />

und damit auf wirklich erschreckende Weise in den demokratischen Prozeß eingriffen. Die Zeitungen<br />

brachten große Artikel über Clintons Aufforderung an den Kongreß, sich dieser »Pressionspolitik ...<br />

der mächtigen Gewerkschaftsinteressen zu widersetzen«. Noch Monate nach der Niederlage der<br />

NAFTA-Gegner erschauerte die Presse angesichts »all dieser Drohgebärden seitens der<br />

Arbeiterorganisationen« und lobte Clinton für sein Bemühen, die NAFTA-Befürworter vor der »Rache<br />

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