02.11.2013 Aufrufe

Neue Weltordnungen - Vom Kolonialismus bis zum Bic Mac.pdf

Neue Weltordnungen - Vom Kolonialismus bis zum Bic Mac.pdf

Neue Weltordnungen - Vom Kolonialismus bis zum Bic Mac.pdf

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Großbritannien brauchte Märkte und keine Konkurrenz, schon gar nicht von Ägypten. Und es brauchte<br />

keinen »neuen, unabhängigen Staat am Mittelmeer, der zudem noch militärisch und wirtschaftlich<br />

mächtig und in der Lage sein würde, den britischen Interessen in der Region und am Persischen Golf<br />

einiges entgegenzusetzen«, schreibt Marsot. Britanniens Außenminister Lord Palmerston gab denn<br />

auch seinem »Haß« auf den »unwissenden Barbaren« Muhammad Ali Ausdruck und hielt dessen<br />

Pläne zu einer Zivilisierung Ägyptens für »äußersten Humbug«, während er die britische Flotte und<br />

Finanzmacht in Bewegung setzte, um Ägypten den Weg zu Unabhängigkeit und wirtschaftlicher<br />

Entwicklung zu verlegen. »Die Industrialisierung schlug fehl«, bemerkt Marsot weiter, »nicht weil die<br />

Ägypter unfähig dazu gewesen wären, sondern weil europäischer Druck, der sich der ottomanischen<br />

Kontrolle über Ägypten bediente, alle potentiellen Rivalen, die der eigenen industriellen Entwicklung<br />

gefährlich werden konnten, aus dem Feld schlug.« 146<br />

Allerdings gehen mächtige Staaten mit ihrer <strong>Mac</strong>ht durchaus unterschiedlich um. Ein Symposium der<br />

Universität Stanford, bei dem sowjetische und US-amerikanische Dependenzen miteinander<br />

verglichen wurden, kam zu dem Schluß, daß »Lateinamerikaner vorwiegend von ökonomischer<br />

Ausbeutung reden«, während »die sowjetische Ausbeutung Osteuropas hauptsächlich politisch und<br />

sicherheitsorientiert ist«. Das hatte u. a. zur Folge, daß der Lebensstandard in Osteuropa höher war als<br />

in der UdSSR, was auf umfangreiche Subventionen zurückzuführen ist, die sich, US-amerikanischen<br />

Regierungsquellen zufolge, in den siebziger Jahren auf 80 Milliarden Dollar beliefen. Der sowjetische<br />

Herrschaftsbereich bildete, so Lawrence Weschler, »in historisch einzigartiger Weise ein Imperium,<br />

bei dem das Zentrum sich selbst zugunsten seiner Kolonien, oder besser, zugunsten politischer Ruhe in<br />

diesen Kolonien, verausgabte«. 147<br />

Japan schlug einen anderen Kurs ein. Seine Kolonialpolitik in Südkorea und Taiwan war brutal, schuf<br />

aber die Grundlage für eine spätere industrielle Entwicklung. Die chinesischen Nationalisten der<br />

Kuomintang, die nach ihrer Vertreibung vom Festland sich auf Taiwan niederließen, »profitierten<br />

außerordentlich von den japanischen Staatsmonopolen, die sie übernahmen«, schreibt Alice Amsden.<br />

Taiwans bemerkenswertes Nachkriegswachstum entsprach dem Wachstum unter japanischer<br />

Herrschaft, während derer sich im Agrarsektor trotz eines Bevölkerungszuwachses von 43 Prozent das<br />

Prokopfeinkommen fast verdoppelte. Amsden geht sogar davon aus, »daß es den taiwanesischen<br />

Bauern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts besser ging als den japanischen«. 148<br />

In der Mandschurei sah das Bild jedoch ein bißchen anders aus. Japans gegen die Aufständischen<br />

gerichteten Operationen nahmen das Vorgehen der US-Truppen in Vietnam vorweg, und die Japaner<br />

führten sich auch sonst recht besatzungsmachtmäßig auf, was mit der üblichen, auch vom Westen gern<br />

benutzten, Rhetorik bemäntelt wurde. 149 Japans Weigerung, sich für seine Kriegsverbrechen unzweideutig<br />

zu entschuldigen, wurde in den USA hart kritisiert; dafür ist man hierzulande unter gewissen<br />

Umständen bereit, Vietnam seine Verbrechen zu vergeben; Amerika ist eben eine großzügige Nation,<br />

im Unterschied zu Japan.<br />

Allerdings machte die in Japan regierende Liberaldemokratische Partei als Reaktion auf die US-<br />

Vorwürfe eine andere Rechnung auf: Die einst von Japan beherrschten Gebiete haben sich<br />

nachträglich als ökonomische Erfolge erwiesen, während die von den USA bevormundeten<br />

Philippinen in dieser Hinsicht eine einzige Katastrophe sind. 150<br />

Natürlich kann, wie auch ein Blick auf die europäische Geschichte zeigt, die globale Eroberung<br />

unterschiedliche Formen annehmen. Es gibt Differenzen zwischen traditionellem und neuem (eher<br />

indirektem) <strong>Kolonialismus</strong>, zwischen »informellem Empire«, »Freihandelsimperialismus« und den<br />

Interventionen des Weltwährungsfonds. Aber bestimmte Muster sind über die Jahrhunderte hinweg<br />

gleichgeblieben, und auch die Opfer des gegenwärtigen neoliberalen Fundamentalismus wissen, woran<br />

sie sind.<br />

Die Analyse dieser Muster sollte nicht mit einer Version jener »Dependenztheorie« verwechselt<br />

werden, die die Unvermeidlichkeit einer »Entwicklung der Unterentwicklung« zu beweisen sucht.<br />

Historische Faktoren sind zu vielschichtig und zu variabel für eine Theorie, die universelle Geltung<br />

beanspruchen dürfte. Unter bestimmten Bedingungen hielten es die Beherrscher der Welt für<br />

64

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!