Neue Weltordnungen - Vom Kolonialismus bis zum Bic Mac.pdf
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lernen, der wir erhobenen Hauptes entgegenmarschieren und mit Bestürzung bemerken, wie wenig<br />
unsere traditionellen Opfer es vermocht haben, unserem Lebensstandard und unseren hohen<br />
moralischen Maßstäben auch nur nahezukommen. Diskussionen über die moralische Verpflichtung<br />
zur humanitären Intervention - beileibe kein triviales Problem - sind nur selten von Reflexionen über<br />
Bedeutung, Einfluß und institutionelle Wurzeln der Rolle Amerikas in der Welt angekränkelt. Nur<br />
wenige haben darauf gedrängt, daß der Iran sein Angebot wahrmachen und in Bosnien humanitär<br />
eingreifen solle. Warum? Aufgrund seiner Vergehen in der Vergangenheit und der Fragwürdigkeit<br />
seiner Institutionen. Nicht nur im Hinblick auf den Iran ist es angemessen, solchen Fragen<br />
nachzugehen. Bei uns jedoch gilt derlei lediglich als »Radiogeschwätz und abfälliges Gerede über die<br />
historisch böse Außenpolitik«, schreibt Thomas Weiss, Spezialist für internationale Beziehungen,<br />
spöttisch, und könne daher »einfach ignoriert werden«. Ein nachdenklicher Kommentar, der die<br />
wertgeschätztesten Grundsätze der offiziellen Kultur enthüllt.<br />
Heute sind »die amerikanischen Motive weitgehend humanitär«, erklärt der Historiker David Fromkin.<br />
Die augenblickliche Gefahr besteht in übermäßiger Gutwilligkeit: Wir führen eine selbstlose Aktion<br />
nach der anderen durch, ohne zu begreifen, daß man »von außen nur begrenzt Einfluß nehmen kann«<br />
und daß »die von uns aus humanitären Gründen in ferne Länder entsandten Armeen« vielleicht nicht<br />
in der Lage sind, »die Menschen vor sich selbst oder anderen zu schützen«. Dieser Ansicht ist auch<br />
der Elder Statesman George Kennan, ein führender Kritiker der Politik des Kalten Kriegs, für den es<br />
ein Fehler war, daß die Vereinigten Staaten vierzig Jahre lang keinen Versuch unternommen haben,<br />
zusammen mit den Sowjets eine friedliche Einigung anzustreben. Immerhin kann man seit dem Ende<br />
des Kalten Kriegs solche Themen <strong>zum</strong>indest öffentlich diskutieren. Auch Kennan erneuert die<br />
traditionelle Haltung, wonach wir unser Engagement im Ausland beschränken sollten, weil »ein Land<br />
wie das unsrige vor allem durch das Beispiel, nicht aber durch Vorschriften den nützlichsten Einfluß<br />
jenseits der Grenzen ausübt«. Da mögen doch andere Länder, Länder, die anders sind als das unsrige,<br />
sich die Finger schmutzig machen. Außerdem dürfen wir nicht vergessen, daß »ein souveräner Staat« -<br />
und sei er noch so tugendhaft - »einem anderen nur in begrenztem Maße helfen kann«. Andere<br />
dagegen sind der Auffassung, es sei unfair, der leidenden Menschheit unsere gutwillige (was sonst?)<br />
Zuwendung zu entziehen. 1<br />
Natürlich unterscheiden sich, wie bereits erwähnt, die Kontrollmechanismen eines totalitären Staats<br />
von denen einer staatskapitalistischen Demokratie, doch gab es während der Nachkriegsära<br />
augenfällige Übereinstimmungen. Als die Sowjets ihre Panzer nach Ost-Berlin, Budapest oder Prag<br />
schickten oder Afghanistan verwüsteten, konnten sie die einheimische Bevölkerung und die<br />
Satellitenstaaten durch die Beschwörung des <strong>zum</strong> Atomschlag bereiten amerikanischen Teufels<br />
mobilisieren. Ebenso verfuhren sie, als sie einen brutalen staatlichen Unterdrückungsapparat<br />
errichteten, der zugleich der Nomenklatura, d. h. den Streitkräften, Geheimdiensten und der<br />
Militärindustrie <strong>Mac</strong>ht und Privilegien garantierte. Ähnliche Kontrollmethoden wurden in den<br />
Vereinigten Staaten angewandt, als diese weltweit Gewalt und Unterdrückung beförderten. Dabei war<br />
die eng mit dem Pentagon verknüpfte staatliche Industriepolitik einer der Hauptfaktoren<br />
ökonomischen Wachstums, während von der Bevölkerung »Opferbereitschaft und Disziplin« erwartet<br />
wurden. So jedenfalls lautete die Forderung des im April 1950 formulierten Memorandums NSC 68,<br />
in dem der Nationale Sicherheitsrat die »Notwendigkeit einer gerechten Unterdrückung« umriß, die er<br />
für einen entscheidenden Wesenszug der »demokratischen Verfahrensweise« hielt, um den »Dissens<br />
bei uns« zu marginalisieren und zugleich die öffentlichen Gelder den Bedürfnissen der High-Tech-<br />
Industrie zufließen zu lassen.<br />
Diese Muster sind <strong>bis</strong> heute intakt geblieben. Ein besonders bezeichnendes Beispiel ist die geläufige<br />
Interpretation des mit Massakern, Folter und Zerstörung durchgeführten Feldzugs, den die Vereinigten<br />
Staaten während der achtziger Jahre in Mittelamerika organisierten und lenkten, um die z. T. unter der<br />
Schirmherrschaft der Kirche sich herausbildenden bevölkerungsnahen Organisationen zu zerschlagen.<br />
Diese nämlich drohten zur Basis einer funktionierenden Demokratie zu werden und den Völkern der<br />
von den USA unterjochten Region größere Eigenständigkeit zu verschaffen, weshalb sie vernichtet<br />
werden mußten. Diese schändliche Episode imperialer Gewalt wird jetzt gewöhnlicherweise als<br />
leuchtendes Beispiel für unseren Idealismus hochgehalten, mit dem wir diesen primitiven Gegenden<br />
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