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Neue Weltordnungen - Vom Kolonialismus bis zum Bic Mac.pdf

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Das Leitprinzip ist einfach: Profit für die Investoren ist der höchste menschliche Wert, dem alles<br />

untergeordnet werden muß. Menschliches Leben hat Wert, insofern es zu diesem Zweck beiträgt. Je<br />

mehr die Wirtschaft globalisiert wird, desto stärker können auch Lebens- und Umweltstandards global<br />

»harmonisiert« werden, allerdings nach unten und nicht nach oben. Es ist kaum wahrscheinlich, daß<br />

die Integration Mexikos in die US-Wirtschaft unter dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen<br />

NAFTA zur Erhöhung der Löhne mexikanischer Arbeiter führen wird. Ganz im Gegenteil:<br />

»Ökonomen sagen voraus, daß in den ersten fünf Jahren nach der Umsetzung des Abkommens einige<br />

Millionen Mexikaner ihre Arbeitsplätze verlieren werden«, hieß es in der New York Times, nachdem<br />

das US-Repräsentantenhaus dem Abkommen zugestimmt hatte. Die führende mexikanische<br />

Wirtschaftszeitung El Financiero prophezeite, daß Mexiko in den ersten zwei Jahren ein Viertel seiner<br />

Industriebetriebe und 14 Prozent der Arbeitsplätze verlieren werde.<br />

Dabei hat Mexiko eigentlich schon genug unter den Reformen gelitten. In den Landgebieten ist die<br />

Anzahl der in absoluter Armut lebenden Menschen um ein Drittel gestiegen, und der Hälfte der<br />

Gesamtbevölkerung fehlen die Mittel zur Befriedigung von Grundbedürfnissen. Die Agrarproduktion<br />

wurde, gemäß Vorschriften von IWF und Weltbank, auf Exportprodukte und Tiernahrung umgestellt,<br />

während Unterernährung zu einem vordringlichen Gesundheitsproblem wurde. Die Arbeitsplätze in<br />

der Landwirtschaft gingen zurück, fruchtbare Ländereien wurden aufgegeben, und Mexiko mußte<br />

dazu übergehen, Lebensmittel in großem Umfang zu importieren. Außer Profiten für die üblichen<br />

Verdächtigen haben Mexiko die »acht Jahre Marktwirtschaftspolitik nach dem Lehrbuch« (Financial<br />

Times) jedoch wenig eingebracht; das geringfügige Wachstum verdankte sich in erster Linie<br />

umfassender finanzieller Unterstützung seitens der Weltbank und der USA, die das<br />

»Wirtschaftswunder« am Leben erhalten wollten. Hohe, Zinsraten konnten immerhin die Kapitalflucht<br />

bändigen, die einer der Hauptfaktoren bei Mexikos Schuldenkrise war. Die Schuldenlast wächst<br />

dennoch; ihre größte Komponente sind mittlerweile die Inlandsschulden gegenüber den Reichen. 205<br />

Die grundlegenden Ziele internationaler Handelsabkommen wurden bereits 1983 von Henry Gray,<br />

dem leitenden Direktor von United Technologies, umrissen: Wir brauchen »ein weltweit<br />

geschäftsfreundliches Klima ohne die Einmischung von Regierungen« wie etwa »Inhaltsangaben auf<br />

Verpackungen« und »Inspektionsmaßnahmen« <strong>zum</strong> Schutz der Verbraucher. Die US-Regierung hatte<br />

den Hinweis sofort verstanden: Als die WHO mit 118 Stimmen den Nestlé-Konzern wegen seiner<br />

aggressiven Vermarktung von Babynahrung in der Dritten Welt verurteilte, kam die einzige<br />

Gegenstimme von den USA, obwohl die Reaganisten sich der Gefahren, die von der Nahrung<br />

ausgingen, durchaus bewußt waren. 206<br />

Aber der Kapitalismus verlangt, sterbende Kinder hin oder her, offene Märkte, und sie zu schaffen,<br />

sind GATT und NAFTA da. Die Verlagerung der Produktion in Billiglohnländer funktioniert auch<br />

ohne solche Abkommen, aber NAFTA kann, wie nicht nur der Vorstandsvorsitzende von Eastman<br />

Kodak, Kay Whitmore, erklärte, »die Öffnung der mexikanischen Wirtschaft auf Dauer stellen, so daß<br />

sie nicht mehr in den Protektionismus zurückfällt«. Dabei gehörten, der OECD zufolge, die<br />

Protektionsraten in Mexiko schon 1966 zu den niedrigsten aller Entwicklungsländer. NAFTA solle es,<br />

so Michael Aho vom Council on Foreign Relations, Mexiko ermöglichen, »seine bemerkenswerten<br />

Wirtschaftsreformen zu konsolidieren«. Die »Anziehungskraft« des Abkommens für viele<br />

mexikanische Regierungstechnokraten liegt, wie die Wirtschaftspresse berichtet, genau darin, daß in<br />

puncto Wirtschaftspolitik zukünftigen Regierungen die Hände gebunden wären. Ein Arbeitskreis zur<br />

strategischen Entwicklung in Lateinamerika, der im Pentagon tagte, fand die gegenwärtigen<br />

Beziehungen zur mexikanischen Diktatur »außerordentlich positiv«, trotz gefälschter Wahlen, trotz<br />

Todesschwadronen, Folter und skandalöser Schikanierung von Arbeitern und Bauern. Allerdings gab<br />

es eine Wolke am Horizont: Eine »demokratische Öffnung« könnte die besondere Beziehung<br />

zwischen den USA und Mexiko auf die Probe stellen, d. h., eine Regierung, die »aus ökonomischen<br />

und nationalistischen Gründen eher an einer Konfrontation der USA interessiert ist«. Das ist das alte<br />

Lied: Gefährlich ist eine unabhängige, demokratische Entwicklung, die auf niedriges Wachstum und<br />

hohe Arbeitslosigkeit keinen Wert legt. 207<br />

Die US-Regierung dagegen legt keinen Wert auf Demokratie, wie schon die Durchsetzung des<br />

NAFTA-Abkommens zeigt, das von der Exekutive an der Öffentlichkeit weitgehend vorbeigeschleust<br />

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