unterschiedlich die Probleme auch sein mögen, läßt sich der Ruf nach Solidarität und konstruktiver Beteiligung an politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen nicht mehr überhören. Der Lärm wird weiter wachsen, je mehr das »globale Experiment« fortschreitet. Wie dieses Experiment beschaffen ist, läßt sich einem Bericht der US-amerikanischen International Labor Organisation entnehmen. Sie schätzt, daß im Januar 1994 etwa 30 Prozent aller Arbeitskräfte weltweit ohne Beschäftigung waren und nicht genug verdienten, um einen minimalen Lebensstandard aufrechterhalten zu können. Diese »Langzeitarbeitslosigkeit« entspricht in ihrem Umfang der Weltwirtschaftskrise vor dem Zweiten Weltkrieg. Zugleich aber gibt es dringenden Bedarf an Arbeitskräften. Wo man auch hinschaut, gibt es Arbeit, die getan werden müßte, Arbeit, die großen sozialen und menschlichen Wert besitzt; und viele Menschen stehen bereit, sie zu leisten. Aber das Wirtschaftssystem kann hier keine Abhilfe schaffen. Seine Auffassung von »wirtschaftlicher Gesundheit« dient den Bedürfnissen der Profiteure, nicht denen der Arbeitsuchenden. Dieses Wirtschaftssystem ist, kurz gesagt, eine einzige Katastrophe. Als großer Erfolg gilt es nur denen, die darin ihre Privilegien sichern, wozu auch seine zahlreichen Lobredner gehören. 236 Wie weit soll das noch gehen? Wird es möglich sein, eine internationale Gesellschaft zu entwickeln, die in ihren Grundzügen der Dritten Welt gleicht, mit Inseln von <strong>Mac</strong>ht und Reichtum in einem Meer des Elends, und mit totalitären Kontrollmechanismen hinter einer zunehmend fassadären Demokratie? Oder wird der Widerstand der Bevölkerungen, der selbst international werden muß, um Erfolg zu haben, diese Strukturen von Gewalt und Herrschaft beseitigen und den jahrhundertealten Prozeß der Ausweitung von Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie, der jetzt in sein Gegenteil verkehrt werden soll, doch noch vorantreiben? Das sind große Fragen an die Zukunft. ANMERKUNGEN Siglen der von Chomsky zitierten Zeitschriften AP: Associated Press - BG: Boston Globe - CSM: Christian Science Monitor - FT: Financial Times - LAT: Los Angeles Times - NYT: New York Times - WP: Washington Post - WSJ: Wall Street Journal Fußnoten 1 Weiss, Boston Review, Feb./März 1994; schmeichelhafterweise bin ich das Angriffsziel. Fromkin, NYT Magazine, 27. Feb. 1994; Kennan, NYT, 14. März 1994. 2 Zum Thema »internationaler Terrorismus« vgl, u. a. Edward Herman, The Real Terror Network (South End, 1982); ders. und Gerry O'Sullivan, The »Terrorism« Industry (Pantheon, 1989); Noam Chomsky, Pirates and Emperors: International Terrorism in the Real World (Neuausg. Pluto Press, 2002), sowie Necessary lllusions: Thought Control in Democratic Societies (South End/ Pluto Press, 1989; dt. Media Control, 2003); Alexander George (Hg.), Western State Terrorism (Polity, 1991). Zum Thema »CIA und Drogenhandel« vgl. Alfred McCoy, The Politics of Heroin (Lawrence Hill, 1991); Leslie Cockburn, Out of Control (Atlantic Monthly, 1987); Peter Dale Scott und Jonathan Marshall, Cocaine Politics (California, 1991). Zum Thema »Drogenkrieg« vgl. Noam Chomsky, Deterring Democracy (Verso, 1991), Kap. 5; überarb. Taschenbuchausgabe Hill & Wang/Vintage, 1992, mit einem Nachwort <strong>zum</strong> Golfkrieg und dem »Friedensprozeß« im Nahen Osten. 3 The Challenge to the South, Report of the South Commission (Oxford, 1990). 4 Winston Churchill, The Second World War, Bd. 5 (Houghton Mifflin, 1951), S. 382. 5 Al-Ahram, zit. n, David Hirst, Guardian (London), 23. März 1992. Die Bemerkung der ägyptischen Zeitung bezieht sich auf Manöver der Regierung Bush, aus innenpolitischen Erwägungen heraus eine Konfrontation mit Ghaddafi vom Zaun zu brechen. Vgl. Pirates and Emperors, Kap. 3. 96
6 Zit. n. Paul Drake, »From Good Men to Good Neighbors«, in Abraham Lowenthal (Hg.), Exporting Democracy (Johns Hopkins, 1991). 7 Quellen und weiterführende Erörterungen in Noam Chomsky, Turning the Tide: The U.S. and Latin America (South End/Plu-to, 1985), sowie Deterring Democracy, Kap. 6. In Großbritannien wurden diese Fakten lange Zeit geheimgehalten, aber einiges kam während des Golfkriegs von 1991 ans Tageslicht. Zum Einsatz der britischen Luftwaffe vgl. David Omissi, Air Power and Colonial Control (Manchester, 1990). Zu Haiti vgl. Noam Chomsky, Year 501: The Conquest Continues (South End/Verso, 1993; dt. Wirtschaft und Gewalt, zu Klampen, 2. Aufl. 2001), Kap. 8, Abschn. 2. 8 Keegan zit. n. Richard Hudson, Wall Street Journal, 5. Feb. 1991; Peregrine Worsthorne, Sunday Telegraph, 16. Sept. 1990. Christopher Bellamy, International Affairs, Juli 1992. 9 Vgl. die Einleitung zu Deterring Democracy, Bergsten, Foreign Policy, Sommer 1992. Zu den Kriegsgewinnen vgl. Seymour Hersh, New Yorker, 6. Sept. 1993. 10 Bush, 29. Jan. 1991. Baker, »Why America is in the Gulf«, Ansprache vor dem Los Angeles World Affairs Council, 29. Okt. 1990. Friedman, NYT Week in Review, 2. Juni 1992. A. d. Ü.: Gatekeeper ist ein in der »wettbewerbspolitiscben Diskussion häufig gebrauchter Begriff, um die <strong>Mac</strong>htposition von Handelsbetrieben bei der Distribution von Waren zu beschreiben. Handelsbetrieben wird eine Schlüsselstellung im Absatzkanal zuerkannt, die es ihnen ermöglicht, den Weg von Waren und Informationen entweder zu öffnen oder auch völlig zu verschließen«. (Gabler Wirtschaftslexikon, 1997, Bd. F-K, Art. »gate-keeper«.) 11 Lars Mjoset, The Irish Economy in a Comparative Institution-al Perspective (National Economic and Social Council, Government Publications, Dublin, Dez. 1992), S. 200. Das Buch ist eine wichtige vergleichende Untersuchung über Irlands fehlgeschlagene Entwicklung und den Einfluß der kolonialen Erbschaft auf ein Land, das eigentlich zu den reichen Industriegesellschaften Westeuropas gehören sollte. 12 Joseph Lee, Ireland 1912-1985 (Cambridge, 1989), zit. n. Mjoset, op. cit., S. 29. 13 Vgl. dazu Deterring Democracy, Kap. 6, sowie das Nachwort. Die beste allgemeine Darstellung des Golfkonflikts ist Dilip Hiro, Desert Shield to Desert Storm (HarperCollins, 1992.). Howell zit. n. Mark Curtis, »Obstacles to Security in the Middle East«, in Seizaburo Sato und Trevor Taylor (Hg.), Prospects for Global Order, Bd. 2 (Royal Institute of International Affairs and International Institute for Global Peace, London, 1993). 14 Friedman, NYT, 7. Juli 1991. 15 Ebd. Zu diesen und anderen Reaktionen aus der Dritten Welt vgl. meine Artikel im Z magazine, Feb. und Mai 1991, sowie meinen Beitrag in Cynthia Peters (Hg.), Collateral Damage (South End, 1992). Vgl. auch Hamid Mowlana, George Gerbner und Herbert Schiller, Triumph of the Image (Westview, 1992). Zur ara<strong>bis</strong>chen Welt vgl. Barbara Gregory Ebert, »The War and Its Aftermath: Arab Responses«, Middle East Policy, 1.4, 1992. 16 Zu Einzelheiten vgl. die Angaben in den Anm. 13 und 15. 17 Lawrence Freedman und Efraim Karsh, The Gulf Conflict 1990--1991: Diplomacy and War in the New World Order (Princeton, 1992). 18 Maureen Dowd, NYT, 2. März und 23. Feb. 1991. 19 Dionne, WP Weekly, 11. März; John Aloysius Farrell, BG Magazine, 31. März; Martin Nolan, BG, 10. März; Oliphant, BG, 27. Feb. 1991. Zu Roosevelt vgl. Turning the Tide, S. 61, 87. 20 Ropp, »Things Fall Apart: Panama after Noriega«, Current History, März 1993. Vgl. auch Deterring Democracy, Kap. 5. 21 Bob Woodward, The Commanders (Simon 8c Schuster, 1991), S. 251 f. Quandt, Peace Process (Brookings Institution und Univ. of California, 1993), Anm. S. 579. Daß niemand die von Woodward aufgeführten Tatsachen bestritten habe, wird auch von Richard Cohen, Chief of Air Force History, 1981-91 erwähnt; National Interest, Frühjahr 1994. Freedman und Karsh, op. cit., S. 67f. 22 Vgl. die in Anm. 14 gegebenen Hinweise und die darauf bezogenen Zitate als einzige mir bekannte Ausnahmen. 23 Über die Ansichten irakischer Demokraten, soweit ich sie entdecken konnte, habe ich in meinen Artikeln im Z magazine (Feb. und Mai 1991) berichtet; vgl. auch Deterring Democracy. Aus der US-Presse ist mir nichts Vergleichbares bekannt. Mehr über ihre Positionen bei Curtis, op. cit. 24 Vgl. meine in Anm. 16 zit. Artikel. Zu türkischen Greueltaten gegen Kurden vgl. Desolated and Profaned, Bericht von Lord Avebury (Vorsitzender der U. K. Parlamentarischen Menschenrechtsgruppe) und Michael Feeny (Flüchtlingsbeauftragter der kath. Diözese von Westminster) über ihre Entsendung in die kurdische Region der Türkei vom September 1992; Helsinki Watch, The Kurds of Turkey: Killings, Disappearances and Torture, März 1993 (Human Rights Watch, New York). Zur zynischen, westlichen Bedürfnissen angepaßten Berichterstattung über die Kurden vgl. Necessary Illusions, Anh. 53. 25 WP, 24. Juni; Andrew Whitley, »Saddam's Other Victims«, oped, NYT, 26. Juni 1993. 26 Sonderbeitrag, Alberto Ascherio u. a., »Effect of the Gulf War on Infant and Child Mortality in Iraq«, New England Journal of Medicine, Bd. 327, Nr. 13,1993. Ekvall, AP, »UN says Shiites flee Iraqi Attacks«, BG, 24. Juli; AP, »Report: US lags on child health«, BG, 23. Sept.; Dalyell, Scotland on Sunday, 23.Mai 1993. 27 Vgl. Noam Chomsky, Enter a World that is Truly Surreal (Open Magazine Pamphlet series, Westfield, Sept. 1993), aus dem einiges oben angeführte Material stammt. 28 Eric Schmitt, Reuters, NYT, 28. Juni; Boustany, WP Weekly, 4. Juli; Tim Weiner, NYT, 27. Juni; Charles Glass, Sunday Telegraph, 4. Juli; Paul Quinn-Judge, BG, 28. Juni 1993. 97
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