DA Elisabeth Lambrecht.pdf
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Aus dem vom Kulturrelativismus inspirierten Verständnis von Moral, welche als Zusammensetzung<br />
von moralischen Einstellungen und Praktiken in einer Kultur auch<br />
durch Escobar begriffen wird, resultiert – wenn auch nicht beabsichtigt – die zweite<br />
paradoxe Implikation. Escobar vertritt ein Kulturverständnis, das – wie schon weiter<br />
vorne ausgeführt – vorgibt, ein konstruktivistisches zu sein, doch aufgrund der spezifischen<br />
Rezeption von Moral und Kultur vielmehr einem kulturrelativistischen Verständnis<br />
ähnelt. In Escobars Augen drang der Universalismus als Idee einer kapitalistisch<br />
orientierten Entwicklung in die Länder der südlichen Hemisphäre ein und brachte damit<br />
die Reproduktion von sozial wertvollen Formen der Identität durch die Zerstörung von<br />
kulturellen Praktiken zum Erliegen (Escobar 1995: 170 f.). In dieser Paraphrase steckt<br />
nicht nur die Idee, dass Identität durch kulturelle Praktiken erworben wird, sondern<br />
auch, dass diese, falls sie isoliert von der universell orientierten Entwicklungsidee bestehe,<br />
von dieser unterminiert würde. Da die Aushöhlung einer Kultur durch verschiedenste<br />
Formen des Widerstands, der nach Escobar der grundlegenden kulturellen<br />
Differenz entspringe, wieder rückgängig gemacht werden solle, geht er auch hier von<br />
geschlossenen kulturellen Räume aus, in denen die Mitglieder aufwachsen und Kultur<br />
affirmieren.<br />
Deklariertes Ziel des Widerstands sei es, so Escobar, die kulturelle Ordnung wiederherzustellen,<br />
um den Prozess der Selbstaffirmation, der wie hier ausgeführt als Kulturaffirmation<br />
– und eben nicht als Individualisierung, also als am Einzelnen orientierter<br />
Prozess in einem gesellschaftlichen Zusammenhang – verstanden wird, zu ermöglichen.<br />
Wenn aber Moral entlang der gegebenen Kultur gefasst wird, wenn sie also das umschreibt,<br />
was in Form traditioneller Bräuche, Werte und Normen in einer Gesellschaft<br />
praktiziert wird, wie kann dann individuelles Verhalten gedeutet werden, das sich einer<br />
oder mehreren kulturellen Praktiken entgegenstellt? Kann eine Perspektive den Anspruch<br />
der Gültigkeit für sich in Anschlag bringen, die das zur Kultur konforme als moralisch<br />
interpretiert, das Non-konforme dagegen als amoralisch? Es sei auch darauf hingewiesen,<br />
dass der Kulturrelativismus keineswegs die Verneinung einer Veränderung<br />
innerhalb der Kultur beinhaltet. Es geht daher im Folgenden nicht darum, zu fragen, wie<br />
individuelles Verhalten gedeutet werden kann, das auf Reformierung oder leichte Veränderungen<br />
abzielt, sondern darum, nach jenem Verhalten zu fragen, das gegen den<br />
konkreten Brauch gerichtet ist. Auch an dieser Stelle sei wiederum auf das Beispiel von<br />
Franca Viola verwiesen, die sich gegen eine jahrhundertealte, sehr extreme sizilianische<br />
Tradition stellte. In der Sichtweise des Kulturrelativismus würde ihr Verhalten als amo-<br />
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