56 Niederlande LÄNDERFALLSTUDIE wurden. Erstens sollte die Studiendauer der <strong>Bachelor</strong>-<strong>Studiengänge</strong> an Hogescholen e<strong>in</strong>schließlich der Praxisphasen vier Jahre betragen <strong>und</strong> damit gegenüber den Vorgänger-<strong>Studiengänge</strong>n unverändert bleiben. Zweitens bestand Übere<strong>in</strong>stimmung, dass viele <strong>Master</strong>-<strong>Studiengänge</strong> an <strong>Universität</strong>en als e<strong>in</strong>jährige <strong>Studiengänge</strong> im Anschluss an dreijährige <strong>Bachelor</strong>-<strong>Studiengänge</strong> angeboten werden sollten; somit entspricht die Gesamtstudiendauer <strong>in</strong> diesen Fällen im neuen System der vorherrschenden Studiendauer bis zu e<strong>in</strong>em universitären Abschluss. E<strong>in</strong>e zw<strong>in</strong>gende Veränderung durch das neue System bestand also <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>führung von <strong>Bachelor</strong>-Abschlüssen an <strong>Universität</strong>en nach drei Jahren. Die enge Anlehnung der niederländischen gestuften Studiengangsstruktur an die Vorgängerstruktur erhöhte die Akzeptanz der Reform <strong>und</strong> erleichterte e<strong>in</strong>e schnelle Umstellung, aber sie hat langfristig ihren Preis: + Im H<strong>in</strong>blick auf europäische Konvergenz <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Transparenz für Studierende aus anderen Ländern ersche<strong>in</strong>t es ungewöhnlich, dass die Mehrheit der <strong>Bachelor</strong>-<strong>Studiengänge</strong> e<strong>in</strong> vierjähriges Studium vorsieht <strong>und</strong> die Mehrheit der <strong>Master</strong>-<strong>Studiengänge</strong> e<strong>in</strong>schließlich der <strong>Bachelor</strong>-<strong>Studiengänge</strong> ebenfalls e<strong>in</strong> vierjähriges Studium. Dies ist für die <strong>in</strong>nerniederländische Situation nachvollziehbar, weil vier Jahre e<strong>in</strong>schließlich längerer Praxisphasen an den Hogescholen auch zuvor als gleichwertig zu zwei oder drei Jahren des Studiums an <strong>Universität</strong>en betrachtet wurden, aber im europäischen Rahmen überraschend, weil hier die Zahl der Studienjahre als die wichtigste Vergleichsbasis gilt. + Dadurch, dass viele <strong>Master</strong>-Abschlüsse auf der gleichen Zahl von Studienjahren basieren wie die vorher bestehenden unversitären Abschlüsse, wird die Neigung bestärkt, die <strong>Bachelor</strong>- Abschlüsse eher als e<strong>in</strong>e Zwischenstufe zu <strong>in</strong>terpretieren. Erwartet <strong>und</strong> offenk<strong>und</strong>ig akzeptiert wird, dass etwa 80 Prozent der universitären <strong>Bachelor</strong>-Absolventen sofort oder später e<strong>in</strong> <strong>Master</strong>-Studium aufnehmen. + Bei der schnellen E<strong>in</strong>führung der <strong>Master</strong>-<strong>Studiengänge</strong> entstand sehr bald <strong>in</strong> vielen Fällen der E<strong>in</strong>druck, dass e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>jähriges <strong>Master</strong>-Studium zu kurz sei, um die vielen Erwartungen zu erfüllen, die auf sie gesetzt werden: e<strong>in</strong>en substanziellen Beitrag zur fachlichen Spezialisierung zu leisten, Praxisphasen verstärkt <strong>in</strong> das Studium e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> die Studierenden zu temporärem Auslandsstudium zu ermutigen. So ist e<strong>in</strong>e erneute curriculare Reform vieler <strong>Master</strong>s bei gleichzeitiger Verlängerung der Studienangebote vorgezeichnet. Die E<strong>in</strong>führung der gestuften Studiengangsstruktur <strong>in</strong> den Niederlanden ist geeignet, <strong>in</strong> zweierlei H<strong>in</strong>sicht die Distanz zwischen den beiden Hochschularten zu verr<strong>in</strong>gern: + Vorher war die Vergabe von Abschlüssen <strong>und</strong> Titeln fast vollständig getrennt; nunmehr vergeben <strong>Universität</strong>en <strong>und</strong> Hogescholen die gleichen Abschlüsse <strong>und</strong> Titel. + Während zuvor die <strong>Studiengänge</strong> an <strong>Universität</strong>en implizit als wissenschaftsorientiert <strong>und</strong> die <strong>Studiengänge</strong> an Hogescholen implizit als anwendungsorientiert galten, können nunmehr zwei explizit unterschiedliche Studiengangsarten – wissenschaftsorientierte <strong>und</strong> arbeitsmarktorientierte – an beiden Hochschularten angeboten werden. Tatsächlich wird jedoch angenommen, dass sich <strong>in</strong> naher Zukunft nur e<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>ger Grad der Überschneidung ergeben wird: + Angenommen wird, dass die <strong>Master</strong>-<strong>Studiengänge</strong> der <strong>Universität</strong>en 80 Prozent der <strong>Bachelor</strong>-Absolventen der <strong>Universität</strong>en <strong>und</strong> darüber h<strong>in</strong>aus noch e<strong>in</strong>ige <strong>Bachelor</strong>-Absolventen von Hogescholen aufnehmen werden, die <strong>Master</strong>-<strong>Studiengänge</strong> der Hogescholen dagegen nur etwa zehn Prozent der <strong>Bachelor</strong>- Absolventen von Hogescholen. + Angenommen wird, dass nur e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>derheit der <strong>Studiengänge</strong> an Hogescholen wissenschaftsorientiert ist <strong>und</strong> <strong>in</strong> naher Zukunft se<strong>in</strong> wird <strong>und</strong> ebenso nur e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>derheit der universitären <strong>Studiengänge</strong> arbeitsmarktorientiert. Die schnelle strukturelle Umgestaltung der <strong>Studiengänge</strong> <strong>in</strong> den Niederlanden ohne große Koord<strong>in</strong>ationsmechanismen bei gleichzeitiger E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>es Akkreditierungssystems, das für ganz neue <strong>Studiengänge</strong> oder spätere Umgestaltung zuständig ist, ermunterte durchaus zu struktureller Adaption ohne größere curriculare Innovation. Dennoch wird von e<strong>in</strong>er Fülle von curricularen Reformen berichtet, von denen e<strong>in</strong>ige schon vorher angebahnt waren, so kompetenz-orientiertes Lernen an den Hogescholen <strong>und</strong> die Aufgliederung von Haupt- <strong>und</strong> Nebenfächern an den <strong>Universität</strong>en. Im Gefolge der E<strong>in</strong>führung der gestuften <strong>Studiengänge</strong> <strong>und</strong> -abschlüsse wird e<strong>in</strong>e neue curriculare Akzentsetzung <strong>in</strong> den Niederlanden besonders deutlich: Der universitäre <strong>Bachelor</strong> soll sehr generell angelegt werden, während die Funktion des <strong>Master</strong>s ganz stark <strong>in</strong> der fachlichen Spezialisierung liegen soll. Das hat unter anderem zur Folge, dass die Arbeitsmarktrelevanz der <strong>Bachelor</strong>s von vielen Akteuren <strong>und</strong> Beobachtern für ger<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>geschätzt wird. Unterschiedlich bewertet wird die beobachtbare Tendenz, dass an den <strong>Universität</strong>en e<strong>in</strong>e sehr große Zahl von hochspezialisierten <strong>Master</strong>-<strong>Studiengänge</strong>n entsteht. Daneben wird prognostiziert, dass <strong>in</strong> Zukunft noch mehr neue <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre <strong>Master</strong>-<strong>Studiengänge</strong> etabliert werden. Flankierende Maßnahmen im Bologna-Prozess wie die E<strong>in</strong>führung von Credit Systems werden <strong>in</strong> den Niederlanden mit nur ger<strong>in</strong>gen Problemen verwirklicht. Das liegt zum Teil daran, dass diese Schritte nicht völlig neu s<strong>in</strong>d; so gab es zuvor e<strong>in</strong> etwas anders angelegtes Credit-System. Zum anderen werden neue Reformen, selbst wenn die Konzeptionen kontroverse Reaktionen auslösen, relativ e<strong>in</strong>fach aufgenommen oder transformiert, weil man sich an den niederländischen Hochschulen <strong>in</strong>nerhalb von zwei Jahrzehnten daran gewöhnt hatte, dass e<strong>in</strong>e große Reformdynamik selbstverständliches Element des hochschulischen Alltags ist. Lediglich ist noch nicht abzusehen, wie sich die Akkreditierung <strong>in</strong> den Niederlanden entwickeln wird, weil die erste
LÄNDERFALLSTUDIE Niederlande Umstrukturierungswelle seit 2002 ohne die neuen Akkreditierungsverfahren erfolgen konnte. 57