Tradition1.pdf (Download) - Medienwissenschaft - HU Berlin
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Materialitäten mit ins Spiel. Kulturgeschichte als Tradition<br />
verläuft über konkrete Kanäle, ist damit anfällig für<br />
Überlieferungsstörungen und -katastrophen sind. Durch<br />
sozioalkonstruktivistische Konstruktionen von Tradition 35 „wird<br />
allerdings die Tatsache in den Hintergrund gedrängt, dass die<br />
hierfür genutzten Elemente oft eine Materialität von großer<br />
historischer Tiefe und Unveränderlichkeit aufweisen (vgl.<br />
Relikt), die es nicht zulässt, sie ausschließlich als<br />
zeitgenösssiche `Erfindung´ zu bezeichnen“ 36 - womit die<br />
Historizität von Tradition in der Resistenz des Materialen<br />
selbst liegt.<br />
Der Kulturwissenschaftler Thomas Macho hat es anhand des<br />
Motivs und Befunds literarischer Schreibhemmungen beschrieben.<br />
Das Syndrom des „weißen Blatts“ nämlich erinnert daran, der<br />
modernen Fiktion autonomer Hervorbringung von Texten mit<br />
medienarchäologischem Bewußtsein zu entkommen und<br />
wahrzunehmen, daß Schreiben höchst materiell formatiert wird<br />
von seinen organischen oder anorganischen, monumentalen oder<br />
flüchtigen Schriftträgern. 37<br />
Der Mediologe Régis Debray unterscheidet zwischen<br />
negentropischer matiére organisée und organisation<br />
matérialisée 38 . Die Entropie betrifft beide Seiten: die<br />
physikalische („les archives aussi sonst soumises à l´entropie<br />
générale (le papyrus est détruit par l´humidité, le parchemin<br />
par le feu, le papier par l´acide, les disques en vinyle par<br />
la chaleur, les bandes magnétiques par la désaimantation“<br />
) wie die nachrichtentheoretische. Claude<br />
Shannon definiert Kommunikation als physikalisches Verhältnis<br />
von Signal und Rauschintergrund; der digitale Code im Zuge<br />
Turings ermöglicht es hingegen, „jede der alten Analogien<br />
zwischen physischem und physikalischem Körper auf eine völlige<br />
Indifferenz zu reduzieren“ 39 . Erneut stellt sich damit die<br />
medienkulturarchäologische Kardinalfrage: „Mathematisierung<br />
der Maschine oder Maschinisierung der Mathematik“<br />
Debray differenziert die agencements de communication zwischen<br />
„ce qui relève du mode sémiotique (le type de signe utilisé:<br />
texte, image ou son), du dispositif de diffusion (pierre,<br />
bois, papyrus, papier, ondes), ainsi que les moyens de<br />
transport des hommes et des messages (chemins, véhicules,<br />
infrastructures, réseaux, etc.)“ ; er trennt<br />
also zwischen Übertragen (transmettre) und Kommunizieren<br />
kultureller Daten. Kommunikation ist der Transport von<br />
35<br />
Etwa E. Hobsbawm / T. Ranger (Hg.), The Invention of Tradition, Cambridge 1983<br />
36<br />
Gisela Welz, Eintrag „Tradition“, in: Pethes / Ruchatz 2001: 587-590 (589)<br />
37<br />
Thomas Macho, Shining oder: Die weiße Seite, Typoskript 2003 <br />
38<br />
Régis Debray, Transmettre, Paris (Jacob) 1997, 28<br />
39<br />
Eckhard Hammel, Medien, Technik, Zeit, in: Mike Sandbothe / Walther Ch. Zimmerli (Hg.), Zeit - Medien -<br />
Wahrnehmung, Darmstadt (Wiss. Buchges.) 1994, 60-78 (71)<br />
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