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Tradition1.pdf (Download) - Medienwissenschaft - HU Berlin

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Der Begriff der Kulturtechniken ist selbst im Grunde schon<br />

tautologisch: colere meint schon den Eingriff des Pfluges, des<br />

Stichels, der Schrift. Furche und Spur aber sind auch<br />

mathematische Feldvermessungstechniken als Ursprung der<br />

Geometrie - Kultur im Sinne von Agrartechniken. An dieser<br />

Stelle kommen die antiken römischen Agrimensoren 23 ins<br />

medienarchäologische Spiel. "Kulturtechnik" als Begriff ist<br />

der Versuch, den Begriff der Kultur nicht zu allgemein (also<br />

bloß diskursiv), aber auch nicht rein technisch (reduziert auf<br />

Apparate) zu fassen, sondern genau die Schnittstelle zwischen<br />

Instrumenten und Gedanken aufzuspüren.<br />

Technologische Medien heben Kulturtechniken auf eine Mikro-<br />

Ebene. Statt Furchen im Ackerbau nun Schrift (boustrophedon),<br />

Kupferstichrille und "groove" (Schallplatte). Schrift,<br />

erinnern wir uns, hat den irreduzibel physikalischen Aspekt<br />

der materiellen Einschreibung, des Eindrucks, der Verletzung<br />

des Trägermaterials, buchstäblich invasiv. Die altgriechische<br />

Praxis des boustrophedon, also des Schreibens von links nach<br />

rechts und weiter von rechts nach links, erinnert wortwörtlich<br />

an das Furchen des Ackers mit dem Ochsenflug<br />

(„Ochsenwendung“). Das Wort Kultur selbst kommt in diesem<br />

Sinne aus die agrikulturellen Bereich: der technischen<br />

Bearbeitung des (Acker-)Bodens (von daher ist auch der Begriff<br />

der „Kulturtechniken“ etwas tautologisch. Kultur ist die Form,<br />

die dem Medium Natur negentropisch aufgeprägt wird, also<br />

buchstäblich Charaktere.<br />

In Martin Heideggers Begriff ist Technik vor allem eine Weise<br />

des Entbergens von etwas - ein herausforderndes,<br />

hervorbringendes, ein bestellendes Entbergen, das als<br />

kybernetische, als (be)rechnende Bestellung eine Esklation<br />

gegenüber bisherigen Kulturtechniken darstellt 24 , deren Begriff<br />

(als terminus technicus) auf die Bestellung des Ackers, die<br />

Agrikultur selbst, zurückgeht.<br />

Mediale Kulturtechniken sind zentral für Tradition und<br />

kollektives Gedächtnis. Damit ist auch einer Auffassung die<br />

Absage erteilt, die Traditionsbewußtsein als Kompensation die<br />

Erfahrung technischer Diskontinuitäten sieht 25 - analog zu<br />

Hermann Lübbes und Odo Marquarts Vorstellung der Erzählung als<br />

Kompensation einer traditionslosen Moderne. Aber was nun sind<br />

Kulturtechniken Gilt es die Begriffe von Kultur und<br />

Techniken, am Beispiel des Computers, vielmehr zu vielmehr<br />

dissoziieren<br />

23<br />

Helmut Minow, Vermessungsprobleme in den Schriften der römischen Agrimensoren, in: Mensuration,<br />

Photogrammétrie, Génie rural 1/2003, 14-19<br />

24<br />

Martin Heidegger, Die Technik und die Kehre, Pfullingen (Neske) 1962, 16<br />

25<br />

So Volkwin Marg, Architekturdarstellung heute. Entwürfe für die Wirklichkeit nach deren Bilde, im Rahmen<br />

des Kunstforums in der Grundkredit-Bank, <strong>Berlin</strong>, 21. Juli 2002<br />

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