Tradition1.pdf (Download) - Medienwissenschaft - HU Berlin
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Quellengattung auf eine spezifische Art überhaupt erst<br />
erschließt und somit zu so etwas wie einer Hilfswissenschaft<br />
der Kulturhistorie wird: „Jede Waffe redet auch von dem Stil<br />
des Kämpfens und damit von der Lebensanschauung der Träger.“<br />
In der Erfindung, Verbreitung oder Ablehnung einer<br />
Kriegstechnologie entdeckt Spengler einen Ethos: „Der Bogen z.<br />
B. ist die erste Fernwaffe, die von einer Gruppe europäischer<br />
Stämme als unritterlich instinktiv abgelehnt wird“ . Und<br />
dann betreibt Spengler das, was in der Medientheorie Paul<br />
Virilios als Dromologie bezeichnet wird und in der Theorie der<br />
Deterritorialisation, also den Mille Plateaux von Deleuze /<br />
Guattari, eine Rolle spielt:<br />
Keine Waffe ist so weltverwandelnd geworden wie der Streitwagen, auch die Feuerwaffe nicht. Er ist die<br />
erste komplizierte Waffe. Vor allem tritt hier das Tempo als taktisches Mittel zuerst in die Weltgeschichte<br />
ein. 80<br />
Der medienarchäologische Aspekt an der Memetik ist der, daß<br />
sich nicht nur kulturelle Wissenseinheiten namens Meme<br />
vermittels von Vehikeln übertragen, sondern diese Vehikel -<br />
McLuhan nennt sie Medien - selbst Wissensträger sind, schon<br />
als Apparate, die ein Wissensaggregat aufspeichern, unabhängig<br />
davon, welches Wissen mit ihnen vermittelt wird - so daß<br />
Nietzsches Einsicht gilt, daß das Schreibwerkzeug an den<br />
Gedanken mitschreibt.<br />
Anhand der Schreibmaschinen läßt sich nachweisen, wie Medien<br />
nicht nur kulturelles Wissen (Meme) übertragen, sondern es an<br />
sich tragen. So haben Schreibmaschinen schon als Maschinen ein<br />
kulturtechnisches Wissen, und damit übertragen sie Kultur<br />
transitiv wie intransitiv. Die Schreibmaschine hat ein<br />
Bewußtsein für diskrete Prozesse der Informationsvermittlung<br />
kultiviert und wurde zum Modell für den Schreib/Lese-<br />
Mechanismus der Turing-Maschine. Leibniz wiederum macht das<br />
alphabetische Dispositiv dieser Maschinen deutlich, das<br />
bestimmte Gedanken zu denken überhaupt erst erlaubt: die<br />
Vorstellung einer Kombinier- und Rekombinierbarkeit der Welt<br />
aus kleinsten diskreten Symbolen. Dies wiederum schließt sich<br />
kurz mit der aktuellen Debatte um die Entzifferung der<br />
menschlichen Genomsequenz, welche die menschliche Biologie<br />
selbst kalkulierbar macht. Und an dieser Stelle kommt erneut<br />
die Analogie zwischen kulturellen Übertragungsprozessen und<br />
biologischer Vererbung ins Spiel, die mit der Analogiebildung<br />
von Memen am Modell der Gene einsetzt. Zur Diskussion, ob DNA<br />
als „Text“ verstanden werden kann, gesellt sich nun umgekehrt<br />
die Analyse der Stammesgeschichte mittelalterlicher<br />
Manuskripte mit Hilfe von für DNA-Sequenzen entwickelten<br />
Methoden - der medienarchäologische Blick (jenseits der<br />
Hermeneutik). Auch hier wurde mehrfach und fehlerhaft<br />
kopiert. 81<br />
80<br />
Spengler ebd., 149. Siehe Gilles Deleuze / Félix Guattari, Mille Plateaux, <strong>Berlin</strong> (Merve) xxx<br />
81<br />
Thomas Weber, Evolution von Texten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 61 v. 13. März 2002, N4, unter<br />
Bezug auf einen Beitrag in Endeavour Bd. 25 (September 2001)<br />
25