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Tradition1.pdf (Download) - Medienwissenschaft - HU Berlin

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Bilderzyklen, die mit der Vernichtung der illustrierten Rollen zugrunde gegangen sind, wird kein Spaten eines<br />

Archäologen auch nur fragmentweise ausgraben können. Daß man die Verluste nicht hoch genug veranschlagen<br />

kann, wird man sich noch am ehesten am Beispiel der Bibelillustration vergegenwärtigen, deren Tradition <br />

trotz des Wechsels des Mediums, trotz Kulturkatastrophen und Krisen der Kunst nie ganz abgerissen ist. <br />

Was hier insistiert, heißt Macht (der Ideologie).<br />

Im Sinne der Memetik transportiert die jeweilige mediale Form<br />

des Buches (Rolle, Kodex) nicht nur den Inhalt der Texte und<br />

Bildern, sondern auch das Wissen um das eigene Medium mit sich<br />

und an sich. Hinzu tritt das Gedächtnis der Bilder:<br />

mittelalterliche Illustrationen transportieren neben<br />

Illustration des jeweiligen Textes immer auch formal und<br />

ikonologisch das antike Bildgedächtnis fort, asymmetrisch zum<br />

konkreten, etwa biblischen Text.<br />

Aby Warburgs Projekt des Mnemosyne-Atlas und sein Begriff der<br />

"mnemischen Energie" im kulturellen Akt greifen hier. Dieser<br />

(von ihm formulierte) „Versuch einer Psychologie menschlicher<br />

Orientierung auf universeller bildergeschichtlicher Grundlage“<br />

versuchte auf 63 Bildtafeln mit rund 1000 photographischen<br />

Einzelabbildungen das abendländische Fortleben antiker<br />

„Engramme leidenschaftlicher Erfahrung als gedächtnisbewahrtes<br />

Erbgut“ evident zu machen - hier ganz anlog zu Memen. 163<br />

Obgleich Warburg ein ausgesprochenes Mißtrauen gegenüber den<br />

elektrischen Übertragungsmedien (Telegraphie etwa) zeigt, ist<br />

er sensibel für die Materialitäten von Tradition als medialer<br />

Überlieferung:<br />

Die Wucht des Eintritts der antikisierenden Gebärdensprache erklärt sich indirekt aus der zweifach<br />

angeforderten reaktiven Energie, die die Wiederherstellung der umrißklaren Ausdruckswerte der Antike aus den<br />

Fesseln einer nicht homogenen Überlieferung beanspruchte. Faßt man demgemäß Stilbildung als ein Problem des<br />

Austausches solcher Ausdruckswerte auf, so stellt sich die unerläßliche Forderung ein, die Dynamik dieses<br />

Prozesses in Bezug auf die Technik seiner Verkehrsmittel zu untersuchen. Die Zeit zwischen Piero della<br />

Francesca und der Raffael­Schule ist eine Epoche der beginnenden intensiven internationalen Bildwanderung<br />

zwischen Norden und Süden, deren elementare Gewalt, sowohl was die Wucht des Einschlags wie den Umfang<br />

ihres Wandergebietes angeht, dem europäischen Stil­Historiker verdeckt wird durch den offiziellen `Sieg´ der<br />

römischen Hochrenaissance. Der flandrische Teppich ist der erste noch kolossalische Typus des automobilen<br />

Bilderfahrzeugs, der, von der Wand losgelöst, nicht nur in seiner Beweglichkeit, sondern auch in seiner auf<br />

verfielfältigende Reproduktion des Bildinahltes angelegten Technik ein Vorläufer ist des bildbedruckten<br />

Papierblättchens, d. h. des Kupferstiches und des Holzschnittes, die den Austausch der Ausdruckswerte zwischen<br />

Norden und Süden erst zu einem vitalen Vorgang im Kreislaufprozeß der europäischen Stilbildung machten 164<br />

- Benjamins Kunstwerk-These avant la lettre.<br />

Als konkreter kultureller Nord-Süd-Kanal und sein politisches<br />

Medium fungierte Burgund. Flandern und Burgund einerseits,<br />

Italien und Rom insbesondere andererseits unterhielten im<br />

Mittelalter komplizierte wechselseitige rechtspolitische,<br />

163<br />

M. Koos u. a. (Hg.), Begleitmaterial zur Ausstellung Mnemosyne, Hamburg 1994, Tafel 5; dazu der<br />

Kurzeintrag von Manfred Weinberg in: Pethes / Ruchatz 2001: 380f<br />

164<br />

Aby Warburg, Einleitung, in: ders., Der Bilderatlas Mnemosyne, hg. v. Martin Warnke unter Mitarb. v.<br />

Claudia Brink, <strong>Berlin</strong> (Akademie) 2000, 3-6 (5)<br />

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