Tradition1.pdf (Download) - Medienwissenschaft - HU Berlin
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Buchstäbliche Symbole, an Elektrizität gekoppelt, werden<br />
materialiter nicht mehr als Zeichen, sondern als Signale<br />
übertragen: "Die Signifikation, als einzige Leistung des Worts<br />
von Semantik zugelassen, vollendet sich im Signal" .<br />
Was die akademische Textphilologie lange nicht ertragen<br />
konnte, war die Koexistenz von Hoch- und Volkskultur im<br />
Minnesang, ein "krasser Gegensatz" (Herchert) von<br />
idealisierender und sexueller Minne. Die romantische<br />
Forschung, die aus politischen Gründe ein ideales Bild des<br />
Mittelalters prägte (die Vermittlung des Mittelalters), konnte<br />
diese strukturale Koexistenz nicht ertragen und hat sie daher<br />
verzeitlicht, als Modell einer Reifezeit einerseits und<br />
Verfallszeit andererseits interpretiert. Die Manessische<br />
Handschrift als Liedersammlung entstand um 1300 als<br />
Prunkhandschrift:<br />
Die kostbare Ausstattung macht es unwahrscheinlich, daß sie zum Verbrauch geschrieben wurde, sie diente wohl<br />
eher repräsentativen Zwecken. Daß diese Liedtexte überhaupt so aufwendig schriftlich fixiert wurden, zeigt<br />
Sammelinteresse, d. h. ein Interesse daran, vor dem Untergang zu bewahren. <br />
Genau das ist eine Funktion von Speichermedien: Gedächtnis<br />
gegen Zerstörung zu sichern. Und so beschreibt auch diese<br />
Liedersammlung aus einer meist mündlich tradierenden Zeit den<br />
Rand gegenüber einer ungeheuren Leere: des nicht-Fixierten.<br />
Das Recht auf Überlieferung heißt copyright: „Tradition<br />
besteht nicht aus Relikten, sondern aus Testaten und Legaten“,<br />
beschreibt Hans Blumenberg das Rechtsdispositiv des<br />
Traditionsbegriffs. 257 Eine Absage an der „Materialität der<br />
Kultur“ zugunsten eines Medienbegriffs jenseits der Hardware<br />
Hier schreibt sich noch einmal der Widerstreit zwischen dem<br />
archäologischen, monumentalen und dem historischen,<br />
dokumentarisch-(recht-)urkundlichen Blick - wo die Geschichte<br />
als ein Repositorium von Urkunden betrachtet wird, von denen<br />
die Recht der Regierungen abhängen. Andererseits stammt der<br />
Begriff traditio aus dem römischen Erbrecht und meint dort die<br />
höchst materielle Übergabe einer beweglichen Sache aus einer<br />
Hand in die andere - Besitzverhältnisse. Hier geht es um die<br />
„materielle Identität der Bestandswahrung“ .<br />
Tradition im Sinne „geistiger Überlieferung“ ist also eine<br />
verdeckte Metapher (Walter Magaß), welche die rechtliche<br />
Fundierung dissimuliert. 258 Ein kulturtechnischer Medienbegriff<br />
aber versteht darunter sowohl Technologien wie Institutionen<br />
und regelgeleitete (also kybernetisch angeregte) Praktiken.<br />
Die Weitergabe von Wissen aber ist an Urheberrechte gekoppelt<br />
- das juristische Dispositiv von Tradition als Kapital. Wer<br />
verfügt über dieses Kapital in der digitalen Medienkultur,<br />
also über die mathematischen Algorithmen<br />
257<br />
Hans Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, Frankfurt/M. 1981, 375<br />
258<br />
Walter Magaß, Klassik, Kanon und Lektüre, Bonn 1980<br />
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