Tradition1.pdf (Download) - Medienwissenschaft - HU Berlin
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groß vielleicht als die des Unternehmens, welches den Tresor<br />
aus dem Wrack der versunkenen Titanic bargen, nur um dann ein<br />
paar halbleere Brieftaschen, nicht aber etwa Kronjuwelen zu<br />
finden. Natürlich ist auch ein Tresor eine Kapsel auf Zeit.<br />
Konkret stammt der Begriff time capsule von der Firma<br />
Westinghouse anläßlich der Weltausstellung von 1939, die ein<br />
Sortiment moderner Industrieprodukte in einem eigens dafür<br />
entwickelten Behälter für 5000 Jahre einkapselte.<br />
Den höchsten Anspruch an Repräsentativität stellt die 1936 projektierte Crypt of civilization der Oglethorpe<br />
University in Atlanta, die für die im Jahr 8113 vorgesehene Öffnung auf 57 qm neben Fotografien,<br />
Tondokumenten und mikroverfilmten Büchern auch Alltagsgegenstände wie einen Golfball bereithält.<br />
<br />
Doch sind auch die Medien, die Abspielgeräte zum Hören und<br />
Lesen dieser gespeicherten Daten mit eingeschlossen Kein<br />
Problem des Stollens Oberried bei Freiburg, wo juristisch und<br />
kulturell verbindliche Dokumente der Bundesrepublik<br />
Deutschland auf Mikrofilm sicherheitsgelagert sind, ist neben<br />
der Haltbarkeit der Filme, sondern die Zukunft der analogen<br />
Lesegeräte. Doch für Digitalisate stellt sich die ebenfalls<br />
Frage der Dekodierbarkeit. Im Reich des Digitalen tickt hier<br />
eine Uhr für alle Formen von Zeitkapseln:<br />
Im Internet abgelegte Z.n setzen auf den keineswegs gesicherten Fortbestand des Mediums. Eine von der MIT<br />
Sloan School noch vor dem Jahr 2000 ins Internet gestellte Zeitkapsel (mit Prognosen zur Zukunft dieses<br />
Mediums) deutet auf die Kurzlebigkeit des Computergedächtnisses: Sie soll bereits in fünf Jahren geöffnet<br />
werden. <br />
Florian Rötzer beschreibt in seinem Artikel „Monument und<br />
Zeitkapsel“ in der online-Zeitschrift Telepolis vom 7. Februar<br />
1999 das Experiment einer Zeitkapsel, die im digitalen Raum<br />
selbst tickt:<br />
Die MIT Sloan School versteht sich als eine Kaderschmiede, die künftige Wirtschaftsführer an der Schnittstelle<br />
von Ökonomie und Technik ausbildet und für ihre technische Erfahrung, ihre Innovation und ihre Ausrichtung<br />
auf neue Trends bekannt sei. Man hat, rechtzeitig vor dem Jahr 2000, ein neues Curriculum und eine "nextgeneration<br />
web site" eingerichtet und eben eine "digitale Zeitkapsel" auf der neuen Website eingeschlossen, die<br />
ihre Geheimnisse erst in fünf Jahren preisgeben soll, wenn denn nicht schon zuvor jemand die Verschlüsselung<br />
knackt. <br />
Dort hatte man die Idee, wichtige und vielleicht weniger<br />
wichtige Informationen aus und über das Internet als eine Art<br />
Schnappschuß des Monats Januar 1999 zu sammeln und in die<br />
"Kapsel" zu stecken. Doch die Verfallsdaten der Internet-<br />
Browser, welche diese Kapsel überhaupt zu lokalisieren und zu<br />
öffnen vermögen, werden wahrscheinlich selbst dazu führen, daß<br />
diese Form von digitaler Zeitkapsel ein unentschlüsselbarer<br />
Datenfriedhof oder eine Dateiruine wird. An dieser Stelle<br />
kommt erneut der Widerstand des Materialen als Chance und<br />
Gegenentwurf ins Spiel:<br />
Angesichts der Geschwindigkeit des Alterns und der Kurzlebigkeit von digitalen Medien, aber auch dem<br />
Alzheimer anfälligen Gedächtnis der Speicher und Netze haben einige Digerati ein Projekt initiiert, das in Form<br />
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