Tradition1.pdf (Download) - Medienwissenschaft - HU Berlin
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Gedächtnis und Medien." 250 Erst Speicherung sichert die<br />
Wiederholbarkeit von Kultur und garantiert damit bewußte, d.<br />
h. artifiziell konstruierte Kontinuierbarkeit. Um<br />
reproduzierbar zu sein, bedarf Kultur der medialen Formgebung,<br />
d. h. Standardisierung (das Gegenstück zu Maurice Halbwachs´<br />
Definition von Gedächtnis als gesellschaftlicher Rahmung 251 ):<br />
"Durch Materialisierung auf Datenträgern sichern die Medien<br />
den lebendigen Erinnerungen einen Platz im kulturellen<br />
Gedächtnis" . Speichergedächtnis bedeutet dabei die<br />
gesamte Menge gesammelter Information; Funktionsgedächtnis den<br />
Prozess der tatsächlich aktivierten Auswahl. Neben<br />
Gedächtnismedien ersten Grades (kodifizierte und gespeicherte<br />
Dokumente) treten dabei, um sie zu aktivieren, Medien zweiten<br />
Grades (Monumente), welche den Dokumenten erst soziale<br />
Gedächtnisenergie verleihen.<br />
Friedrich Kittler sieht den wissenschaftsgeschichtlich<br />
bedingten Zerfall der akademischen Disziplinen in zwei<br />
Kulturen unter den Bedingungen rechnender Medien aufgehoben<br />
und konstatiert:<br />
Nur wenn die historisch überlieferten Bestände so formalisiert sind, daß sie auch unter hochtechnischen<br />
Bedingungen überlieferbar bleiben, ergeben sie ein Archiv von Möglichkeiten, das in seiner Vielfalt keinen<br />
minderen Artenschutz als Pflanzen oder Tiere beanspruchen darf. Umgekehrt geraten die technischen<br />
Implementierungen, in denen die ehedem sogenannte Natur kristallisiert, mehr denn je in Gefahr, mit ihrer<br />
Herkunft auch ihre Bewandtnis zu vergessen. Schon jetzt gibt es Unmengen von Daten, die schlicht deshalb<br />
unlesbar sind, weil sich die Computer, die sie geschrieben haben, nicht mehr zum Laufen bringen lassen. Ohne<br />
Gedächtnis und d. h. ohne eine Geschichte, die auch und gerade Maschinen unter Artenschutz stellt, ist die<br />
Erbschaft dieser Zeit also nicht an die kommende weiterzugeben. Daß sich die Stanford University eben<br />
anschickt, die halbvergessenen Privatarchive aller Silicon ValleyFirmen zu sammeln, könnte sehr bald rettend<br />
wirken wo nicht auf Menschenleben, so doch auf Programme, von denen Menschenleben (nicht nur im Airbus)<br />
mehr und mehr abhängen. 252<br />
An die Stelle dauerhafter Gedächtnisse treten Zwischenspeicher<br />
als temporäre Kanäle; statt Wissen eine Fließform:<br />
Gedächtnisorte waren bisher eindeutig bestimmt, hatte eine finale Struktur. Solche Gedächtnisorte werden im<br />
Cyberspace des Internet zu Zwischenspeichern. Das Archiv wird zum Durchlauferhitzer, es ist nicht mehr<br />
Reservoir. Der größte Teil dessen, was im Cyberspace transportiert wird, existiert nur kurzfristig, weshalb es<br />
falsch wäre, die Inhalte dieser Signaltransporte als Wissen zu bezeichnen. 253<br />
"Qu'est-ce que ça s'archive! ces paradoxes de<br />
l'archivation, de ses blancs, de l'efficacité des ses détails<br />
250<br />
Aleida Assmann u. Jan Assmann, Das Gestern im Heute. Medien und soziales Gedächtnis, in: Klaus Merten /<br />
Siegfried J. Schmidt / Siegfried Weischenberg (Hg.), Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die<br />
Kommunikationswissenschaft, Opladen (Westdeutscher Verlag) 1994, 114<br />
251<br />
Maurice Halbwachs, Kollektives und historisches Gedächtnis, in: ders., Das kollektive Gedächtnis,<br />
Frankfurt/M. 1985, 34-77<br />
252<br />
From: Friedrich.Kittler@Desk.nl (Friedrich=Kittler@rz.huberlin.de)<br />
3 Feb 1999, to: nettimel@Desk.nl<br />
Friedrich Kittler, Von der Implementierung des Wissens. Versuch einer Theorie der Hardware<br />
253<br />
Hans Ulrich Reck, Metamorphosen der Archive / Probleme digitaler Erinnerung, in: Götz-Lothar Darsow<br />
(Hg.), Metamorphosen. Gedächtnismedien im Computerzeitalter, Stuttgart-Bad Cannstatt (frommann-holzboog)<br />
2000, 195-237 (226)<br />
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