Tradition1.pdf (Download) - Medienwissenschaft - HU Berlin
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Amphitheater von Pula auf Istrien steht, beschreibt er ihn<br />
ganz präsentistisch, nicht antiquarisch: "Der Palast ist ganz<br />
rund so weit, daß ein Mäher das wohl nicht in einem Tag<br />
abmähen könnte, wenn es inwendig voll Grass stünde." 92 Gras,<br />
auseinandergeschrieben ... (Paul Celan, Engführung). Hier wird<br />
beschrieben, was vor Augen ist: am Nullpunkt der Beschreibung,<br />
der wissensarchäologische Modus - i. U. zur Begriffsverwendung<br />
bei Esch : "Wie formuliert sein (mit<br />
archäologischer Fachsprache noch unvertrauter) Mund, was sein<br />
(antiquarisch noch ungeschultes) Auge wahrnimmt"<br />
Der Maler Mantegna, pädagogisiert durch die Textkultur des<br />
Humanismus und der Renaissance, malt dann, wie sich in<br />
scheinbar entropischen Schuttmassen als Grundierung eines<br />
italienischen Platzes antikes Mauerwerk einmischt, als sei es<br />
die memetische List etwa einer antiken Inschrift, erst eine<br />
Phase des Mülls zu durchlaufen, bevor sie - Michael Thompsons<br />
Theorie des Abfalls gemäß 93 - von späteren Archäologen als<br />
Kulturgut wiederentdeckt werden kann. Thompson schlußfolgert,<br />
daß „die Abgrenzung zwischen Abfall und nicht-Abfall sich<br />
entsprechend dem sozialen Druck verändert“ - nicht<br />
anders als die signal-to-noise ratio in der<br />
Nachrichtentheorie.<br />
Einer der interessantesten Fonds im Staatsarchiv Bern trägt den seltsamen Titel „Unnütze Papiere“ eine<br />
Sammlung von Originalbriefen, Verhörprotokollen, Abrechnungen , die uns als Quellen heute<br />
hochwillkommen sind. Berner Ordnungssinn hatte sie als nunmehr „unnütz“ ausgegliedert, bernische<br />
Bedächtigkeit zögerte indes die Beseitigung so lange hinaus, bis neue Historikergenerationen wieder Interesse an<br />
diesen Archivalien fanden und sie für archivwürdig erklärten. 94<br />
Mantegna malt an antiken Mauern "auch die Phasen ihrer<br />
Entstehung"; Esch beschreibt seine Neigung, "ihr die Narben<br />
ihres späteren Schicksals einzugraben, kurz: ihr eine<br />
historische Dimension zu geben." 95<br />
<br />
Vor einem Tor öffnet sich ein gepflasterter Platz, der vorn, gegen den Betrachter, vor einer auf den ersten Blick<br />
unscheinbaren Terassenmauer unterfangenist, die bei näherem Zusehen aber bemerkenswerte Einzelheiten zu<br />
erkennen gibt, ja wie ein Sondierschnitt durch denhistorischen ntergrund der<br />
abgebildeten Stadt wirkt. Über einer unteren Schicht mörtelverbundener Feldsteine lagert eine<br />
Packungbearbeiteter Stücke . vermauert ist da auch in leichter, natürlich beabsichtigter Schräglage ein<br />
Stein mit deutliche gemeißelter Rahmung , vermutlich eine Inschrift, deren untere Rahmenleiste<br />
weggebrochen ist. Und jedenfalls als Inschrift gemeint ist der Stein mit oberer Rahmenleiste und<br />
angedeuteten Buchstaben, quer gepackt wieunverstandene römische Inschriftenin so mancher Spolienmauer.<br />
<br />
92<br />
Zitiert nach: Arnold Esch, Staunendes Sehen, gelehrtes Wissen: zwei Beschreibungen römischer Amphitheater<br />
aus dem letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 50, Heft 3 / 1987, 385-393<br />
(385)<br />
93<br />
Michael Thompson, Die Theorie des Abfalls: über die Schaffung und Vernichtung von Werten [*Rubbish<br />
Theory. The creation and destruction of value, Oxford UP 1979], Stuttgart (Klett-Cotta) 1981<br />
94<br />
Arnold Esch, Der Umgang des Historikers mit seinen Quellen. Über die bleibende Notwendigkeit von<br />
Editionen, in: Lothar Gall / Rudolf Schieffer (Hg.), Quelleneditionen und kein Ende, München (Oldenbourg)<br />
1999, 129-147 (132)<br />
95<br />
Arnold Esch, Mauern bei Mantegna, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 47, Heft 1 / 1984, 293- (293)<br />
29