Tradition1.pdf (Download) - Medienwissenschaft - HU Berlin
Tradition1.pdf (Download) - Medienwissenschaft - HU Berlin
Tradition1.pdf (Download) - Medienwissenschaft - HU Berlin
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Eine petitio principii: Die „romantisierende Metaphorik“ 189 des<br />
Quellen-Begriffs ist mehr als ein Bild: Sie unterstellt<br />
zugleich das, was sich aus ihnen erst ableitet, die<br />
Kulturhistorie. Kulturbildende Quellen werden damit zu Quellen<br />
der Kultur (als genitivus subiectivus) umdeklariert, post<br />
festum. "Aber nicht erschöpft kann er werden, der so<br />
herrliche, durch die Thaeler der Vorzeit stroemende Quell",<br />
heißt es in Die Vorzeit (1817). Tatsächlich ist dies eine<br />
Halluzination, eine Fata Morgana von Wasserstellen in der<br />
Wüste des archivischen Gedächtisses. Der Informationswert<br />
solcher Quellen liegt gerade in ihren Umwegen:<br />
Die Flüsse bleiben für gewöhnlich in ihrem Bett, sie suchen sich selten ein Tal, das höher liegt als ihr eigener<br />
Talweg. Dazu sind Abweichungen, Fluktuationen nötig. Der Informationsgewinnt ist dann erheblich.<br />
<br />
Für Droysen sind Quellen beschränkt auf die „mündliche oder<br />
schriftliche Überlieferung zum Zweck, historische Kenntnis zu<br />
verschaffen“ - und damit intentional im Sinn von Gadamers<br />
Horizontverschmelzung. Eine wissensarchäologische Lage:<br />
"Genügt etwa, daß irgendetwas irgendwo noch jetzt vergraben<br />
liegt und niemand weiß davon Ist das gegenwärtig Es ist<br />
vielmehr, als wäre es nicht." 190 Ist Memetik als Modifikation<br />
von Droysens Modell historischer Überlieferung zugleich eine<br />
Gedächtnismedien-Historik Das, was im dead media archive<br />
zuhanden ist, kann Monument oder Dokument sein.<br />
Was die Rückschau früherer Zeiten in i h r e Vergangenheit, die aufgezeichnete Vorstellung oder Erinnerung<br />
über dieselbe bietet, nennen wir Q u e l l e n . Daß diese Quellen zugleich Ü b e r r e s t e der Gegenwart sind,<br />
in der sie entstanden, ist für uns zunächst nebensächlich<br />
- die "äußere Kritik" in der Diplomatik, den Hardware-Aspekt<br />
der Quellen, blendet Droysen gerade aus. Für eine Medienphysik<br />
der Historie aber ist dieser Zustand entscheidend.<br />
Wesentlich ist uns an ihnen, daß die, von denen sie stammen, die Absicht hatten, Nachricht von früheren<br />
Vorgängen oder Zuständen zu geben. Von ganz anderer Art ist es, wenn aus der Vergangenheit selbst allerlei<br />
Dinge noch erhalten und entweder mannigfaltig umgestaltet oder trümmerhaft und um so unkenntlicher noch in<br />
unserer Gegenwart da sind. So ein altes Gebäude, eine alte Zunfteinrichtung; unsere Sprache selbst ist noch ein<br />
gut Stück Vergangenheit, wenn auch noch lebendig und in vollem Gebrauch. Nur von dem Forschenden werden<br />
sie als Material für seine Forschung erkannt und benutzt. 191<br />
Droysen macht in seinem Grundriß der Historik einen<br />
Unterschied zwischen geschäftlichen Papieren, die er zu den<br />
Überresten, und Urkunden, die er zu den Denkmälern rechnet;<br />
Differenzkritierium ist die Absicht der Überlieferung zum<br />
Zweck der Erinnerung. In seinem Sinne gehört ein großer Teil<br />
189<br />
Peter Hüttenberger, Überlegungen zur Theorie der Quelle, in: Bernd A. Rusinek / Volker Ackermann / Jörg<br />
Engelbrecht (Hg.), Einführung in die Interpretation historischer Quellen, Paderborn / München / Wien / Zürich<br />
(Schöningh) 1992, 253-265 (253)<br />
190<br />
Johann Gustav Droysen, Historik. Historischkritische Ausgabe, hg. von Peter Leyh, StuttgartBad Cannstatt<br />
1977, hier: "Historik. Die Vorlesungen von 1857", 67<br />
191<br />
Johann Gustav Droysen, Historik, hg. v. Rudolf Hübner, München / <strong>Berlin</strong> (Oldenbourg) 1937, 37 (Kapitel<br />
"Die Heuristik", § 20)<br />
65