Tradition1.pdf (Download) - Medienwissenschaft - HU Berlin
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schaut die Muse der Geschichtsschreibung Klio andererseits dem<br />
Gott Janus nach, der auf das Antikenmuseum weist<br />
(metahistorische Ästhetik). Oszillierend zwischen diesen<br />
beiden Polen blickt sie nicht wirklich auf das, was sie<br />
schreibt - Klio registriert. Janus aber ist der<br />
doppelgesichtige Gott der Türschwelle: Wohin schaut seine<br />
rückwärtsgewandte Hälfte, während er Klio diktiert<br />
Zerstreut im Bildraum sind Museumsobjekte. Zwei Zeichenregime<br />
sind hier im Widerstreit: Registrieren und Beschreiben<br />
einerseits, narrative Geschichtsschreibung andererseits. Klio<br />
ist unentschieden auf der Grenze zwischen Geschichte und<br />
Archäologie; Mengs´ Deckenfresko ist ein Entwurf, welcher die<br />
schriftliche Dimension der Historie auf allen Ebenen, eben<br />
auch der archäologischen, akzentuiert. Janus weist ihr den<br />
Blick auf das Reich der Ästhetik (repräsentiert durch die<br />
Statue der Cleopatra respektive Ariadne im besagten Museum),<br />
während ein Genius ihr Daten beiträgt. Ein Riß verläuft durch<br />
diese Präsentation: der Deut auf Cleopatra/Ariadne als<br />
metahistorisch gültiger Maßstab von Ästhetik und andererseits<br />
die Verwiesenheit auf konkrete Daten aus dem Archiv, das alle<br />
Gültigkeit verzeitlicht. Historische Imagination bedarf der<br />
Figuration (Bilder ikonisch, Tropen rhetorisch), um in Gang<br />
gesetzt werden zu können gegenüber Daten, die an sich stumm<br />
sind. Das Imaginäre (namens Phantasie) bedarf der Form (der<br />
Narration), um Historie zu werden. Schreibt Klio hier<br />
Geschichte oder ein Inventar Und so handelt das Fresko nicht<br />
so sehr von den Gegenständen, die thematisch werden, als<br />
ebenso über das Problem der Aufschreibesysteme von Historie 111 ,<br />
speziell der Kirchenhistorie. Denn hier geht es um die<br />
katholische Tradition in ihrer Medialität. Michel Foucault<br />
fragt angesichts des tridentinischen Konzils, „in welchen<br />
Formen, durch welche Kanäle und entlang welcher Diskurse die<br />
Macht es schafft, bis in die winzigsten und individuellsten<br />
Verhaltensweisen vorzudringen“ 112 . Und wenn Ernst Kantorowicz<br />
die Formel „Überleben durch Übertragung“ prägt, dann zeigt er<br />
sich auch medienbewußt, das heißt aufmerksam auf den Akt der<br />
Übertragung, seine Wege und Vehikel. 113 Wie, "durch welche<br />
Kanäle wurden die geistlichen arcanae ecclesiae auf den<br />
Staat übertragen“ fragt er an einer anderen Stelle in seinem<br />
Aufsatz „Mysterien des Staates“ . Politische<br />
Theoreme überleben durch Übertragung; hier wird Diskursanalyse<br />
zur Medienarchäologie.<br />
Janus kann bei Mengs auch Substitut für die barocke Allegorie<br />
der Prudentia sein 114 ; in Comenius' Orbis Sensualium Pictus von<br />
1659 schaut Prudentia durch ein Teleskop. In der englischen<br />
111<br />
Vgl. White 1991: 155, über Darwins Entstehung der Arten: „Dieses Werk handelt ebensosehr über das<br />
Problem der Klassifikation wie über seinen angeblichen Gegenstand, die Daten der Naturgeschichte.“<br />
112<br />
Michel Foucault, Der Wille zum Wissen, Frankfurt/M. (Suhrkamp) 1983, 21<br />
113<br />
Ernst H. Kantorowicz, Götter in Uniform. Studien zur Entwicklung des abendländischen Königtums, hgg. v.<br />
Eckhart Grünewald / Ulrich Raulff, Stuttgart (Klett) 1998, 58<br />
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