Tradition1.pdf (Download) - Medienwissenschaft - HU Berlin
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Begriff der Geschichte formulieren, daß Vergangenheit "im Nu"<br />
als Bild auf blitzt; elektronisches Gedächtnis auch bei Aby<br />
Warburg: Übertragung ohne das Dazwischentreten von Zeit und<br />
Datenverlust, wie ihn Schiller noch annahm. Kulturelle<br />
Erinnerung bezieht sich bei Warburg vorrangig auf Bilder und<br />
Symbole. Seiner Theorie geht es (in Anlehnung an die<br />
Gedächtnisforschung von Semon) um unmittelbare Berührungen von<br />
Vergangenheit und Gegenwart. Durch direkte Berührung eines<br />
Artfakts aus der Vergangenheit kommt es zu einer Entladung des<br />
darin enthaltenen latenten Erinnerungsgehaltes, ohne<br />
Vermittlung durch die Zeiten. Der Weg durch die Zeit wird<br />
abgekürzt in einem Moment.<br />
Chronokommunikation und Kalendarik<br />
Greifen wir zur Etymologie, die keine Wahrheiten, aber doch<br />
eine Genealogie der Bedeutung von Worten bereitstellt.<br />
Tradition ist demnach im 16. Jh. aus dem lateinischen<br />
traditio, also: Übergabe, Überlieferung, entlehnt. Im<br />
lateinischen tradere liegt dare verborgen: Das Geben<br />
(vergleiche "Datum"). 205 Womit wir beim Zeitbezug sind, bei<br />
Tradition als Weitergabe von Information in der Zeit, im<br />
Unterschied zum raumbezogenen, synchronen<br />
Kommunikationsbegriff unter Anwesenden. Jacques Derrida hat<br />
einmal vom Donner (le temps) de la traduction geschrieben; die<br />
(Weiter-)Gabe von Zeit selbst ist Tradition.<br />
Tradition meint eben auch Chronotechnik und nicht schlicht<br />
das, „was von den Begebenheiten übriggeblieben ist,<br />
hindurchgegangen und wiedergegeben durch menschliche<br />
Auffassung“ , mithin also: human<br />
prozessierte Daten. Von Brandt nennt darunter u. a. Annalen,<br />
aber die stellen einen Grenzfall dar, denn sie sind eher ein<br />
Aufschreibesysteme von Jetztzeit, funktional an die Was in<br />
frühmittelalterlicher Kalendarik insistiert, ist nicht<br />
genuines Geschichtsbewußtsein, sondern die liturgische<br />
Notwendigkeit, das Datum von Ostern genau festzulegen.<br />
Überhaupt bietet es sich heuristisch an, das mittelalterliche<br />
Geschichtsbewußtsein (ein Terminus ex post) eher von seinen<br />
nichthistoriographischen Quellen her aufzuschließen und als<br />
diverse Modi der Verarbeitung von Zeiterfahrung zu<br />
beschreiben. 206 Eine formalistische Technik - die der Liturgie -<br />
bewahrt also eine andere spätantike Kulturtechnik, "die<br />
Techniken der astronomischen Berechnung, die andernfalls<br />
verschwunden wären." Liturgie triggert hier memoria, ohne<br />
205<br />
Duden Etymologie. Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache, Mannheim / Wien / Zürich<br />
(Bibliotgraphisches Institut / Dudenverlag) 1963, 714<br />
206<br />
In diesem Sinne Hans-Werner Goetz (Hg.), Hochmittelalterliches Geschichtsbewußtsein im Spiegel<br />
nichthistoriographischer Quellen, <strong>Berlin</strong> (Akademie) 1998; darin etwa Arnold Angerendt, Die liturgische Zeit:<br />
zyklisch und linear, 101-115<br />
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