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Tradition1.pdf (Download) - Medienwissenschaft - HU Berlin

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Benjamin betreibt in der Tat Medienarchäologie, wenn er den verdeckten Rahmen der Informationsspeicherung<br />

und ­übermittlung seiner eigenen Zeit reflektiert. An der Nahtstelle des Übergangs vom Wortraum zum<br />

Bildraum werden konsequenterweise die Repräsentationsleistungen verschiedener Speichermedien erörtert 176<br />

- nämlich Photographie und Film im Unterschied zur vergangenen<br />

Form der Erzählung (und der Figur des Erzählers). Es gibt eine<br />

Kanalgerechtigkeit der Überlieferung in dem Sinne, wie G. E.<br />

Lessings 1766er Traktat Laokoon oder die Grenzen von Malerey<br />

und Poesie die mediale Bequemlichkeit der Semiotik gefordert<br />

hat:<br />

Jeder Buchtypus scheint von sich aus nicht nur ihm allein entsprechende Bildformate zu verlangen, sondern auch<br />

ihm allein kongeniale bildliche Erzählweisen. Jeder Buchtypus ist ein anderes Medium , in dem andere<br />

Gestaltungsmöglichkeiten schlummern. Das kontinuierliche Band der Schriftrolle legt es nahe, die Motorik der<br />

Buchform, das Abrollen in die Bildform und bildliche Erzählweise hineinzutragen, seitlich offene<br />

Bildkompositionen zu schaffen. Der Codex mit seiner Folge relativ kleiner, separater Blätter wiederum drängt<br />

auf seitlichen Abschluß, auf Unterteilung, Insichgeschlossensein des Bildes wie der Buchseite. <br />

Doch liegt der Rhythmus kultureller Praktiken mit<br />

medienarchäologischen Einschnitten im Ungleichgewicht und<br />

zeitigt Ungleichzeitigkeiten:<br />

<br />

Wie immer man sich die Entstehung der Bilderfolge des vatikanischen Josuarotulus zu denken hat ob sie als<br />

archaisierende Neuschöpfung der mazedonischen Renaissancebewegung zu verstehen ist, wie Waitzmann<br />

vorschlägt, und das hieße als Bilderstreifen, der durch Aneinanderflicken und Auffädeln einer großen Anzahl<br />

ursprünglich getrennter Einzelepisoden entstanden ist, ­ aus in sich geschlossenen, gerahmten Bildern, ­<br />

oder aber ob die Josuaillustrationen schon ursprünglich als szenischer Film, als fortlaufendes Geschehensband<br />

erfunden worden sind, wie man lange, Wickhoffs Interpretation folgend, glaubte, auf jeden Fall ist es eine aus<br />

dem Geist des Mediums entwickelte Erzählweise ­ die kontinuierliche Erzählung ­, für die es monumentale<br />

Gegenbeispiele in der Spätantike gibt, wie das um eine Säule sprialig gewundene Reliefband der Marc­Aureloder<br />

der Trajan­Säule. Besteht Weitzmanns These zu Recht, derzufolge wir im Bilderzyklus der Josuarolle eine<br />

künstliche Rekonstruktion einer antiken Bilderrolle zu erblicken haben, die genuine antike Rollenillustration<br />

jedoch den kontinuierlichen Erzählstil nicht kannte, dann stünden wir vor dem höchst seltsamen historischen<br />

Phänomen, daß die der Buchrolle kongeniale Erzähltechnik erst post mortem des Rollenbuches von einem<br />

gelehrten Kopf erdacht worden sei. <br />

Die Weitergabe von als bedeutsam entschiedener Inhalte, also<br />

Tradition kultureller Semantik, ist ein Prozeß der Kontrolle<br />

durch Rahmungsarbeit. Heute ist diese Rahmung technisch:<br />

Formatierung von Daten, nur daß im digitalen Raum das<br />

fortfällt, was etwa für den musealen Rahmen noch gilt: der<br />

irreduzible "Konflikt zwischen dem Gegenstand und dem Rahmen" 177<br />

. Julius von Schlosser hat um 1900 in seinem Buch Die<br />

Kunstliteratur geahnt, „daß die Geschichte der Kunstformen<br />

Koselleck / Wolf Dieter Stempel (Hg.), Geschichte. Ereignis und Erzählung, München (Fink) 1983<br />

176<br />

Heiko Reisch, Das Archiv und die Erfahrung. Walter Benjamins Essay im medientheoretischen Kontext,<br />

Würzburg (Königshausen & Neumann) 1992, 22<br />

177<br />

Horst Rumpf, Über Spielarten der Aufmerksamkeit gegenüber Gegenständen, in: Julia Breithaupt / Peter<br />

Joerißen (Hg.), Kommunikation im Museum. Dokumentation im Anschluß an die Jahrestagung der<br />

Arbeitsgemeinschaft der deutsch-sprechenden Mitglieder der CECA im ICOM v. 2.-4. November 1985 in<br />

München, Typoskript, 15-26 (22)<br />

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