Tradition1.pdf (Download) - Medienwissenschaft - HU Berlin
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ohne den Wechsel von der Papyrusrolle zum Pergamentkodex kaum<br />
denkbar:<br />
Wäre man nicht zum Pergamentkodex übergegangen, so wären die materiellen Voraussetzungen für das<br />
Weiterleben des antiken Schrifttums die denkbar ungünstigsten gewesen. Die Zeitbrücke, die die Vergangenheit<br />
mit der Zukunft verband, wäre äußerst eng geworden, denn von Generation zu Generation hätte sich nur das<br />
vererbt, was dem Wechsel des Publikumsgeschmacks und dem Tagesinteresse nicht unterworfen war und<br />
kontinuierlich neu aufgelegt werden mußte, und das wäre in den nachantiken Jahrhunderten praktisch nur die<br />
Heilige Schrift, die Bibel gewesen 161<br />
- und damit die Verengung von Tradition auf einen Kanal, auf<br />
den einen Schriftsinn. Von orthographischen Verirrungen<br />
abgesehen lassen sich Texte auch bei Umformatierung des<br />
Seitenlayout relativ sicher kopieren; anders sieht es mit den<br />
eingeschobenen Illustrationen aus, die an sich schon Gefahr<br />
laufen, im Kopierakt manipuliert oder fortlaufend reduziert zu<br />
werden. "Wie diese fortlaufende Reduktion stattgefunden hat,<br />
der Strom der bildlichen Überlieferung immer dünner wurde, um<br />
schließlich auf einige Titelbilder zusammenzuschrumpfen",<br />
demonstriert Otto Pächt anhand der Illustration der<br />
biblischen Makkabäerbücher in einer spätkarolingischen,<br />
wahrscheinlich in St. Gallen entstandenen Handschrift aus der<br />
1. Hälfte des 10. Jahrhunderts - die Kopie einer antiken<br />
Vorlage. Pächt verfolgt die "Geschichte dieser Tradierung";<br />
soll nicht besser, in seinem eigenen Sinne, von einer<br />
Medienkulturarchäologie dieser Tradierung gesprochen werden<br />
Tatsächlich ist Wort- und Bildtradition um den Preis eines<br />
Verlusts erkauft. "Natürlich gibt es auch bei der Tradierung<br />
von Bildvorlagen Korruption, Sinnverstümmelung infolge<br />
mangelnder Fähigkeit und Geschicklichkeit des Kopisten,<br />
Mißverstehen des Vorbildes, denn auch das passivste Kopieren<br />
beinhaltet schon eine unwillkürliche Interpretation", schreibt<br />
Pächt , doch nur, um dann in spitzer Klammer<br />
hinzuzufügen: "Es ist aber auch ein mißverstehen Müssen, im<br />
Sinn von `in der neuen Sprache ausdrücken müssen´, welches die<br />
neue Form mitbestimmt. Ein Umdeuten, Übersetzen in eigene, für<br />
die Zeitgenossen bestimmte, verständlichere Formen." Am Werk<br />
ist hier ein deviantes Begehren, eine kulturelle Energie, die<br />
am Kopieren mitschreibt wie umgekehrt die Medien an den<br />
Gedanken. So ist die variante Bildkopie auch ein Akt von<br />
aktiver Kritik. 162<br />
Medienarchäologische "Bruchstellen" sind archäologische<br />
"Fundstellen" im Sinne Walter Benjamins, nämlich<br />
wissensproduktiv:<br />
Die Gewinne, die, wenn auch nicht dank der Umstellung von der Buchrolle zum Codex, so doch in ihrem<br />
Gefolge nach und nach erzielt worden sind, sind eher abzuschätzen als die Verluste, deren Umfang und<br />
Beduetung wir heute nur mehr erahnen können. Wir können beobachten, wie aus der neuen Koexistenz von<br />
Schrift, Bild und Dekoration immer wieder völlig neue Formen und Ausdrucksweisen entstehen . Die<br />
161<br />
Otto Pächt, Buchmalerei des Mittelalters. Eine Einführung, München (Prestel) 1984, 15<br />
162<br />
Siehe Segolen Le Men, , in: xxx<br />
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