Tradition1.pdf (Download) - Medienwissenschaft - HU Berlin
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Reprise: Das memetische Modell von Kultur (und das „kollektive<br />
Gedächtnis“)<br />
Die Vorgeschichtsforschung schloß lange Zeit von Artefakten,<br />
die sich in der archäologischen Fundstreuung gehäuft<br />
vorfanden, kurzerhand auf die Existenz einheitlicher Stämme<br />
oder Völker: „Begriffe wie `Bandkeramiker´, `Streitaxtleute´<br />
oder `Trichterbecherkultur´ suggerieren diese Identität von<br />
materiellen Hinterlassenschaften mit fest umrissenen sozialen<br />
und kulturellen Gruppierungen.“ 78 Das technische Wissen<br />
autopoietischer Kulturkreise wird von höchst materiellen Memen<br />
quasi telegraphisch transzendiert:<br />
Schon die technische Verbesserung der Töpferarbeit durch Verwendung der Drehscheibe aber hat sich sicher, alle<br />
Kulturkreiszäune nicht achtend, quer über die Welt ausgebreitet, und ganz deutlich durchbricht die große, die<br />
Steinzeit beendende Werkzeug und dann auch Bewaffnungsumwälzung zur Metallverarbeitung hin sowohl in<br />
den Stufen der Ausbildung wie der Ausbreitung seit dem 4. Jahrtausend alle derartigen Schranken. Sie ist ein<br />
Zivilisationsfortschritt, der vom wohl hochasiatische Ursprungsherd überallhin vermittelt wurde, wie<br />
getragen von einer nur durch geographischhistorische Niveauunterschiede verlangsamten prähistorischen<br />
drahtlosen Telegraphie. 79<br />
Transportmedien wie das Rad sind nicht schlicht Vehikel von<br />
Memen, sondern „speichern“ (buchstäblich) das Wissen ihrer<br />
eigenen Konstruktion. Oswald Spengler kommt in einem Vortrag<br />
vom Februar 1934 unter dem Titel „Der Streitwagen und seine<br />
Bedeutung für den Gang der Weltgeschichte“ darauf zu sprechen.<br />
Zunächst beklagt er darin die einseitige, auf Literatur als<br />
Quelle von Information konzentrierte historische Forschung.<br />
Leopold von Rankes Erbe: Seinem Credo zufolge beginnt die<br />
Geschichte ja erst dort, wo auch Textquellen einsetzen. Doch<br />
dann der material culture turn: „Seitdem haben die<br />
Ausgrabungen eine andere Auffassung und andere Methoden<br />
herausgebildet“ . Aber dies<br />
ist keine andere Geschichte, sondern deren Alternative:<br />
Spengler gibt „zu bedenken, daß die Feststellung von Schichten<br />
und die Ordnung von Funden nach formalen Zusammenhängen die<br />
Gefahr in sich birgt, vom Wesen der Geschichte abzulenken. Die<br />
Keramik schweigt von den Ereignissen“ - während ihrer<br />
seriellen Anordnung Michel Foucaults Archeologie du savoir<br />
gerade eine Aussage, eine enonciation darstellen würde. Und<br />
dann hebt er doch eine Gruppe aus den Bodenfunden hervor, die<br />
„in ihrer wirklichen geschichtlichen Bedeutung immer übersehen<br />
oder unterschätzt“ werde: die Waffen. „Sie stehen der<br />
Geschichte näher als Scherben und Schmucksachen“, wenn man sie<br />
nur anders als schlicht stilgeschichtlich betrachte. „Es fehlt<br />
an einer Psychologie der Waffen.“ Was Spengler hier Waffe<br />
nennt, würde heute bereits in das Ressort Archäologie als<br />
Medientheorie fallen, die damit eine kultur-materielle<br />
78<br />
Wolfgang Krischke, Der flexible Bandkeramiker, über die Arbeitsgemeinschaft „Theorie in der Archäologie“<br />
während des 4. Deutschen Archäologenkongresses an der Universität Hamburg, in: Frankfurter Allgemeine<br />
Zeitung Nr. 127 v. 5. Juni 2002, N2<br />
79<br />
Alfred Weber, Das Tragische und die Geschichte [*Hamburg 1943], hg. v. Richard Bräu, Marburg (Metropolis)<br />
1998, 67<br />
24