04.01.2015 Aufrufe

Tradition1.pdf (Download) - Medienwissenschaft - HU Berlin

Tradition1.pdf (Download) - Medienwissenschaft - HU Berlin

Tradition1.pdf (Download) - Medienwissenschaft - HU Berlin

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Es kommt nicht von ungefähr, daß Sloterdijk sich für das Jahr 1945 als Bruchstelle der europäischen Geschichte<br />

entschieden hat. Denn bei der Suche nach dem, was eigentlich die europäische Identität ausmache, ist er auf<br />

den Vorgang der "Reichsübertragung" als spezifische Mythomotorik Europas gestoßen. Was Sloterdijk damit<br />

meint, ist die Idee einer "translatio imperii", die im Mittelalter als Legitimationsformel für die Wiedererrichtung<br />

und Perpetuierung des im Westen Mitte des 5. Jahrhunderts erloschenen römischen Kaisertums Verwendung<br />

gefunden hat. Es wäre sinnvoll und hilfreich gewesen, wenn Sloterdijk sich gerade in dieser Frage ein wenig mit<br />

dem historischen Material auseinandergesetzt hätte. Dabei wäre ihm unter anderem aufgefallen, daß die Idee<br />

einer "renovatio Romae" erst bei Otto III. und keineswegs bei Karl auftaucht, der im Gegenteil, als er sich als<br />

"pater Europae" apostrophieren ließ, seine Unabhängigkeit gegenüber dem Papst wie Rom betonen wollte.<br />

Überhaupt hat der Reichsgedanke als europäische Ordnungsidee nur bis zum Ende des Hochmittelalters Geltung<br />

gehabt, und Dantes Schrift "Über die Monarchie" ist bereits der Abgesang darauf. Was sich danach herausbildete,<br />

war ein Staatensystem, in dem der Reichsbegriff keine wirkliche Oberhoheit mehr anzeigte. Die Hegemonie, wie<br />

sie danach immer wieder angestrebt und auch erreicht wurde, war auf reale Macht und nicht auf Symbole und<br />

Titel gestützt. 120<br />

Doch die Fortsetzung des römischen Imperium als Übertragung<br />

liegt nicht länger in Europa, sondern in Amerika: „La ligne-<br />

Amérique, comme il sied à une nation d´ingénieurs et de<br />

pionniers d´industrie, privilegiera au contraire le moment<br />

technique de la transmission. À ses yeux, medium is message“<br />

. Und „en guise d´apologue: `l´Amérique´<br />

pense la route (ou le câble), et `l´Europe´, le missionnaire<br />

(ou le message.“ Semantik also auf Seiten Europas<br />

Schrift und Zeit (Lafitau, Moeurs des Sauvages Ameriquaines)<br />

Orlandi rekurriert in seiner erweiterten Ausgabe von Ripas<br />

Iconologia (1764/65) im Zusammenhang mit der Personifikation<br />

der Historia und ihrer Tätigekeit des Schreibens auf den<br />

Unterschied von "memoria degli animi" und "memoria del corpo",<br />

von Gedanke und Objekt, von schriftlicher und bildlicher<br />

Erinnerung. Memoria aber ist Gedächtnis, nicht Geschichte im<br />

neuzeitlich emphatischen Sinn, und ihre Schlüssel (in der<br />

Informatik heißen sie Adressen) sind Archive. 121<br />

Stellen wir der Allegorie der Geschichte von Anton Raphael<br />

Mengs eine andere Geschichtsallegorie beiseite, die zunächst<br />

einen Raum jenseits der katholischen Kirche bezeichnet:<br />

Amerika, die Neue Welt. Denn hier wird das Spiel von Bewahren<br />

und Übertragen kultureller Erinnerung nicht nur in einem<br />

zeitlichen, sondern auch räumlichen Sinne konkret.<br />

<br />

Vergleichen wir mit Mengs´ Szenario das Frontispiz zu Lafitaus<br />

1724er Publikation Moeurs des sauvages Ameriquains; das Bild<br />

zeigt "the encounter of writing and time in a closed space<br />

120<br />

Herfried Münkler, Wer schläft, sündigt nicht, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4. Oktober 1994, Nr. 230,<br />

L29, über: Peter Sloterdijk: "Falls Europa erwacht". Gedanken zum Programm einer Weltmacht am Ende des<br />

Zeitalters ihrer politischen Absence. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1994<br />

121<br />

Siehe: Le chiavi della memoria. Miscellanea in occasione del i centenario della scuola vaticana di paleografia,<br />

diplomatica e archivistica, a cura della Associazione degli ex­Allievi, Rom xxx<br />

41

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!