Tradition1.pdf (Download) - Medienwissenschaft - HU Berlin
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Archäologie vertraut. Durch seine archäologische Freilegung<br />
wurde die antike Kleinstadt Pompeji der "Beleuchtung früherer<br />
Begebenheiten durch die späteren" (Kerenyi) exponiert. Diese<br />
Lage ist ihrerseits Resultat eines zu spät, nämlich jener<br />
vulkanischen Katastrophe, die Pompeji quasi photographisch<br />
festbrannte und gar xerographisch (weil trocken) fixierte.<br />
Die Belichtungsmetapher ist ihrerseits ein Produkt des<br />
aufklärenden Blicks von Quellenforschung. "`Dunkel´ meint hier<br />
nämlich nicht die Unerleuchtetheit (wie beim Wort vom<br />
`finsteren´ Mittelalter), sondern die Unbeleuchtetheit des<br />
Zeitalters, eben seinen Quellenmangel" . Der Romancier des Untergangs von Pompeji aber,<br />
Edward Bulwer-Lytton, versteht unter Beleuchtetheit nicht die<br />
Quellenlage Pompejis, sondern seine museale Ausleuchtung - ein<br />
präziser technischer Begriff des Museums.<br />
Arnold Esch beschreibt den Fall Pompeji(s) als den einer<br />
scheinbar idealen Überlieferungslage aus dem Bereich der<br />
Denkmäler, der nicht-schriftlichen Quellen":<br />
Und doch wird niemand meinen, dieses Leben genommen und wie in Zement gegossen, dieses Leben überrascht<br />
von VulkanAsche, sei die ideale Überlieferungslage, dieses Präparat, diese gigantische Momentaufnahme bilde<br />
Geschichte ab. Halten wir also den Film der Geschichte nicht weiter an, lassen wir auch auf diese Stadt<br />
versuchsweise einmal den historischen Prozeß los und damit den Prozeß der Auslese. <br />
Es ist der Effekt eines von technischen Medien geprägten<br />
Begriffs der kulturellen Tradition, daß Esch bei der<br />
Diskussion der Überlieferungschancen von schriftlichen Quellen<br />
und Denkmälern auf die Sprache der technischen Medien,<br />
konkret: Photographie und Film, zurückgreift. In der Tat war<br />
es ein historistisches Ideal der Romantik, Geschichte in<br />
gigantischen Momentaufnahmen geradezu photographisch<br />
abzubilden, eine Geschichte gleichsam im "Naturselbstausdruck"<br />
zu schreiben (Grillparzer bezüglich Ranke). Damit ist die<br />
Faszination, die Pompeji auf die historische Imagination des<br />
19. Jahrhunderts ausübte, definiert. Der Vulkanausbruch hatte<br />
einen Moment dieser Stadt geradezu im photographischen Blitz-<br />
Licht festgefroren, und hier denkt sich die Korrelation von<br />
Historiker und Kameramann, die Sigfried Kracauer ausgerechnet<br />
unter dem Titel Geschichte - vor den letzten Dingen, also in<br />
unheimlicher Nähe zur pompejanischen Katastrophe, aufstellt.<br />
Es war das neue Medium Photographie, das in der Museologie des<br />
19. Jahrhunderts eine neue Ästhetik des immediaten Einblicks<br />
in Räume der Vergangenheit bewirkte, und in der<br />
Historiographie der preußischen Schule (Leopold von Ranke) das<br />
Ideal des "bloß zeigen, wie es eigentlich gewesen" zeitigte.<br />
Mit Pompeji tritt dieser medieninduzierte ästhetische<br />
Historismus auf sein archäologisches Korrelat.<br />
Mit dem 20. Jahrhundert ist die kulturelle Tradition als<br />
Technik der Speicherung und Übertragung um den Komplex<br />
zeitbasierter Apparate wie dem Film erweitert worden. Daß auch<br />
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